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Beitrag vom 30.08.2007
Joy Denalane im Interview
Sharon Adler/Silvy Pommerenke
Im Rahmen des Projektes "Selma - In Sehnsucht eingehüllt", bei dem Gedichte der jüdischen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger vom Schweizer Musiker David Klein vertont wurden, traf AVIVA-Berlin...
...Joy Denalane, die deutsche Soulgöttin, zum Gespräch. Sie ist eine von vielen deutschen SängerInnen, die dabei mitwirkten und der all zu früh Verstorbenen wieder eine Stimme geben.
AVIVA-Berlin: Das Projekt "Selma - In Sehnsucht eingehüllt" hat - von den ersten Ideen bis zur Aufnahme - insgesamt fünf Jahre gedauert. Wann ist David Klein an Dich heran getreten?
Joy Denalane: Das müsste Anfang 2005 gewesen sein. Die Kommunikation ging anfangs über einige E-mails, bis wir uns dann getroffen haben. Ich bin eigentlich, für meine Verhältnisse, relativ schnell auf den Zug aufgesprungen. Weil mir einfach die Texte sehr gut gefallen haben, auch im Zusammenhang mit ihrer Geschichte. Dass sie so jung war, war eigentlich das, was mich am meisten ergriffen hat. Der geschichtliche Hintergrund ist auch nicht zwingend am Holocaust fest zu machen. Er ist relativ zeitlos. Ich glaube, es gibt heute, gestern und auch morgen Situationen im Leben, in denen man sich befindet und die relativ ausweglos erscheinen. Ob es jetzt ein Arbeitslager ist oder ein anderes Krisengebiet, in dem man leben muss.
Ich fand es erstaunlich, dass sie, obwohl sie unter Druck stand und offensichtlich Angst hatte, Angst vor dem Tod oder vor dem Verlust, an einem Punkt war, an dem sie als junger Mensch das erste Mal das Gefühl hatte, erwachsen zu sein und zu erfahren, was es bedeutet zu lieben. Eine Liebe vielleicht auch zum ersten Mal als das Größte zu empfinden, was einem bis dahin passiert ist. Ich glaube, dass sie in dieser Phase ihres Lebens war, als sie anfing ihre Texte zu schreiben. Ich habe dann an mich gedacht, wie ich in dem Alter war, und das ist ein riesengroßer Unterschied. Nicht, dass ich keine Tiefe besessen hätte, aber ich war weit entfernt von dieser Gefühlswelt und dieser Ernsthaftigkeit Selmas.
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© Foto: Sharon Adler |
AVIVA-Berlin: Heißt das, Du hast früher keine Lyrik gelesen?
Joy Denalane: Ich habe keine Lyrik gelesen und fand erstaunlich, auf welch hohem Niveau - für meinen Geschmack - sie in dem Alter geschrieben hat. Deutsch war ja nicht einmal ihre erste Sprache. Für mich war sie ein Phänomen, und ich fand toll, dass man sie entdeckt hat. Es hätte ja auch anders gehen können, und ihre Gedichte hätten irgendwo in einem Schrank bei einer Freundin, oder wer auch immer sie mitgenommen hat und herübergerettet hat, liegen können. Es hat mich einfach gefreut, dass so jemand, der so viel Tiefe hat, entdeckt wurde – einfach aus Zufall. Ich war froh, dass ich gefragt wurde, ob ich das vertonen will. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass ich mir nicht sicher war ob ich es wirklich wagen kann daran zu gehen. Ich habe es sehr ernst genommen.
AVIVA-Berlin: Das heißt, es gab Zweifel bei Dir oder Gedanken, dem unter Umständen nicht ganz gewachsen zu sein.
Joy Denalane: Ja, ich hatte anfangs totale Zweifel.
AVIVA-Berlin: Ich wollte gerne noch einen Schlenker machen zur literarischen Qualität. Selma war ja auch die Cousine von Paul Celan. Hast Du vielleicht auch etwas von ihm gelesen, z.B. die Todesfuge, als Du Dich in Selma vertieft hast?
Joy Denalane: Das wollte ich eigentlich, habe es aber doch nicht gemacht.
AVIVA-Berlin: Bei ihr war es ja auch ein schleichender Prozess. Sie wusste, was um sie herum geschehen ist, und es passierte nicht von heute auf morgen. Es gab durchaus Gespräche darüber: "Was passiert mit uns, wenn die Deutschen einmarschieren. Es sind Leute deportiert worden." Und die Juden sind auch stark eingeschränkt worden. Sie durften keine Haustiere mehr halten und mussten den gelben Stern tragen. Sie wurden nicht von einer Minute auf die nächste deportiert, sondern es war für sie ein langsamer Prozess.
Das Gedicht "Schlaflied für die Sehnsucht", das Du bei diesem Projekt singst, ist leider nicht datiert. Alle anderen Texte tragen ein Datum, nur bei diesem steht nichts. Weißt Du darüber mehr?
Joy Denalane: Ich kann dazu nichts sagen. Aber ich gehe davon aus, dass sie es für ihren Freund geschrieben, der neunzehn war, als sie starb. Da müsste man einfach recherchieren, wann sie sich begegnet sind, und dann kann man es relativ gut eingrenzen.
AVIVA-Berlin: Selma sah dieses Gedicht auch als Lied an, denn sie vermerkte, dass es nach der Melodie von Morderchai Gebirtig gesungen werden sollte. Weißt Du, ob David Klein sich an diese Melodie gehalten hat, oder ob er dafür eine völlig neue geschaffen hat?
Joy Denalane: Das weiß ich leider nicht. Ich wusste auch nicht, dass Selma diesen Vermerk gemacht hatte. Aber für mich war sehr schnell klar, dass ich das machen möchte. Es hat mich wirklich berührt und hat viel mit mir gemacht. Ich fand diese Verzweiflung, eingehüllt in Lyrik, diese Poesie, so bewundernswert. Ich war eigentlich wie ein Fan von ihr.
AVIVA-Berlin: Hat Dir David die Gedichte zur Auswahl gegeben, oder das fertig komponierte Stück?
Joy Denalane: Er hat mir erst einmal die Gedichte geschickt, um mir zu zeigen, dass das etwas ist. Viel, viel später kam erst die Komposition. Ich habe auch in der Zwischenzeit weiter an meinen Projekten gearbeitet, war unterwegs auf Tour und mein Kind war da. Ich steckte selber in vielen Dingen, und irgendwann kam er auf mich zurück und sagte, dass es jetzt ernst würde. Er gab mir Komposition und Melodie und fragte mich, ob ich es mir vorstellen könnte, mit dem Material, dass er mir zuschickte, das Gedicht zu interpretieren. Ich fand, dass er es sehr schön komponiert hatte, weil er viel Platz gelassen hat. Es war überhaupt nicht platt, sondern direkt und klar. Das hat mir sehr gut gefallen. Es war nicht verspielt, zu süß oder zu tragisch. Es war warm, klar, direkt und offen.
AVIVA-Berlin: So, wie Du das Stück interpretierst, muss man sich mehrfach vergewissern, dass Du diejenige bist, die da singt. Es hebt sich deutlich von Deinen anderen Sachen ab. Du singst hier sehr weich und gehst in die Jazz-Richtung. David hat in Interviews mehrfach gesagt, dass er die Stücke explizit für die einzelnen SängerInnen komponiert hat. Welche Freiheiten hat er Dir dennoch bei der Interpretation gelassen?
Joy Denalane: Er kennt natürlich meine Stücke und auch meine Art zu singen. David hat in meiner Stimme einfach noch anderes gehört, als das was ich sonst so mache. Er fragt mich jedes Mal, wenn wir uns sehen "Weißt Du Joy, dass Du eigentlich auch eine Jazzsängerin bist?" Und ich sage "Ehrlich? Nee!" Und er sagt: "Doch!". Es ist irgendwie seine feste Überzeugung, und da ist natürlich auch etwas dran. Ich glaube, dass das sein Ansatz war. Aber darüber hinaus ist Jazz nichts für mich, aber ich hätte dieses Gedicht nie in eine soulige Richtung interpretiert. Das fände ich furchtbar.
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© Foto: Sharon Adler |
AVIVA-Berlin: Wie war das Gefühl, Selma eine Stimme zu geben?
Joy Denalane: Das ist für mich schwierig zu sagen, weil ich die ganze Zeit versucht habe, ihr gerecht zu werden. Ihren Gefühlen und Gedanken gerecht zu werden. Ich habe mir weniger überlegt, wie das für mich ist. Ich bin eigentlich gar nicht wirklich da. Da steht mein Name, aber eigentlich bin ich jetzt nicht Joy Denalane, sondern ein Fan. Jemand hat mich angesprochen und gemeint, dass ich das gut machen könnte, und ob ich nicht Lust hätte. Ich mache das aber als Fan und nicht als Ich. Obwohl ich natürlich Ich bleibe, denn ich singe es ja auch, und es kommt aus mir heraus.
AVIVA-Berlin: Du hast also Dich, beziehungsweise Deine Stimme instrumentalisiert, um ihr noch einmal zum Leben zu verhelfen.
Joy Denalane: Ich habe versucht, ihren Schritten zu folgen, nicht meinen. Das sind
ihre Gedanken und Gefühle. Auch wenn ich diese selbst erfahren hätte, so würde ich sie vielleicht anders aufgeschrieben und an anderen Punkten auch anders empfunden haben, weil jeder seine eigene Gefühlswelt hat. Ich habe versucht bei ihr einzutauchen. Es war für mich wirklich eine große Herausforderung. Eine der größten musikalischen Herausforderungen bisher, und auch eine große, große Ehre. Wobei ich finde, dass man aufpassen muss, und Selma nicht überstilisiert. Sie war eine wahnsinnig talentierte, junge Lyrikerin, und man weiß nicht, was aus ihr geworden wäre. Vielleicht hätte sie es ja ad acta gelegt und wäre Mutter geworden, oder sie wäre nur Übersetzerin geblieben. Oder aber sie hätte die großartigste Literatur verfasst. Das alles wissen wir nicht. Sie ist nicht mehr da, hat aber etwas hinterlassen, das eigentlich zur Weltliteratur gehört. Sie war ein besonderes Talent, und als solches sollte man sie auch sehen. Ich bin Fan ihrer Arbeit, aber ich kann nicht viel über sie sagen. Ich weiß nicht, wer sie ist, wer sie war, und nicht, wer sie geworden wäre. Das ist alles sehr schwer zu sagen. Aber ich kann sagen, dass ich ihre Texte, ihre Arbeit, ihr Material bewundere.
AVIVA-Berlin: Hattest Du Austausch mit den anderen MusikerInnen?
Joy Denalane: Ich habe sie für dieses Projekt nie getroffen. Natürlich treffe ich sie ab und zu auf Veranstaltungen, aber das ist unabhängig von dem Projekt.
AVIVA-Berlin: Wusstest Du, wer alles mitmacht?
Joy Denalane: Ja, das wusste ich.
AVIVA-Berlin: Am 8. September 2007 findet im Rahmen der 21. Jüdischen Kulturtage ein einmaliges Konzert des Selma-Projektes in der wiedereröffneten Synagoge in der Rykestraße statt. Warst Du bereits dort und werdet ihr gemeinsam auftreten?
Joy Denalane: Ich war da noch nicht. Aber ich denke, wir werden nacheinander auftreten. Thomas D. [Fantastische Vier] sehe ich ja oft. Das wird sicher ganz normal, ihn zu sehen. Volkan [Orange Blue] habe ich auch schon ab und zu gesehen, kenne ihn aber nicht weiter. Auf Hannelore Elsner bin ich sehr gespannt!
AVIVA-Berlin: Wirst Du unter Umständen selbst ein Lied über Selma schreiben?
Joy Denalane: Ich würde es mir nicht anmaßen, ein Lied über Selma zu schreiben.
AVIVA-Berlin: War die Arbeit mit einem Symphonieorchester neu für Dich?
Joy Denalane: Wir haben in dem Sinn nicht zusammen gearbeitet, denn sie waren nicht mit mir ihm Studio. Aber die Arbeit mit einem Orchester ist mir nicht neu, denn letztes Jahr habe ich in Potsdam mit einem gespielt. Außerdem habe ich für
"Born and raised", meinem aktuellen Album, verschiedene Besetzungen und arbeite häufig mit einem Streicherquartett zusammen. Mit den Streichern ist es wirklich eine sehr schöne Besetzung und macht richtig Spaß. Letztens habe ich auch ein Radiokonzert gegeben, insofern kenne ich das schon.
AVIVA-Berlin: Was nimmst Du aus diesem Projekt für Deine spätere Arbeit mit?
Joy Denalane: Ich habe eine musikalische Neuerkenntnis aus dem Projekt mitgenommen. Nicht auf Jazz bezogen, denn das habe ich schon vorher gemacht. Beispielsweise habe ich auf meiner ersten Platte "Mamani" ein Stück von Billie Holiday interpretiert. Diese Art von simplem Gesang, wo es nur um Text geht, ist schon etwas neues. Da geht es nicht um Schlenker, ob ich drei Oktaven am Stück durchsingen kann oder von einem zum andern C springen kann. Hier geht es darum, sich zurück zu nehmen etwas zu interpretieren. Das ist für mich schon eine neue Erkenntnis.
AVIVA-Berlin: Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Dir einen unvergesslichen Abend in der Rykestraße.
Weitere Informationen:21. Jüdische Kulturtage in Berlin Selma - In Sehnsucht eingehülltJoy Denalane im NetzInterview mit David Klein