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Beitrag vom 05.06.2008
Interview mit Angelika Lipp-Krüll zur 6. WORLD WOMEN WORK
Silvy Pommerenke
Die TV-Journalistin, Gleichstellungsbeauftragte und erste stellvertretende Vorsitzende des SWR-Gesamtpersonalrates hat seit Jahrzehnten vor allem eins zum Ziel: über den Tellerrand hinausblicken,...
...grenzüberschreitende Projekte ins Leben zu rufen oder zu unterstützen und den Mädchen von heute eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen, damit diese im späteren Berufsleben auch tatsächlich die Hälfte des Himmels für sich beanspruchen können.
AVIVA-Berlin: Nach Ihrem Übersetzungsstudium haben Sie 1983 das erste deutsch-französische Fernsehmagazin "Vis-à -vis" mit entwickelt. Was hat Sie zu diesem Projekt veranlasst?
Angelika Lipp-Krüll: Ich habe Sprachen studiert und im Anschluss überlegt, ein Jugendprogramm im Radio zu machen, so wie es Anfang der 70er Jahre meine Kollegen Hermann Stümpert und Robert Hetkämper gemacht haben. Aber erst mal brauchte ich einen Job, den ich beim damaligen Intendanten des Saarländischen Rundfunks fand, der auch Vorsitzender der deutsch-französischen Hörfunk- und Fernsehkommission war. Die Kooperation mit Radio France lief dann sehr gut, man hatte deutsch-französische Senderpartnerschaften auf der regionalen Ebene, aber irgendwie kamen die Pläne für Journalistenaustausch und Programmkooperation nicht recht voran. Nach vier Jahren machte ich schließlich ein Volontariat und arbeitete zunächst im aktuellen Fernsehen, bis ich 1983 zum damaligen SWF nach Baden-Baden wechselte, um etwas neues Deutsch-Französisches zu entwickeln.
AVIVA-Berlin: War das wirklich so einfach oder gab es Widerstände?
Angelika Lipp-Krüll: Der Südwestfunk hat einen größeren Blick auf grenzüberschreitende Inhalte und es war auch mehr Geld da. Ich habe zusammen mit einem französischen Kollegen von France 3 Alsace das Angebot bekommen, ein Konzept für ein Fernsehmagazin zu entwickeln. Das war die Chance und wir haben sofort alles zweisprachig gemacht und auch als erste gemeinsam zweisprachig moderiert. Wir waren auf dem richtigen Weg, so steinig er auch war, um ein deutsch-französisches Medien-Projekt als Modell für europäische grenzüberschreitende Programme auszuprobieren.
AVIVA-Berlin: In Deutschland ist es üblich, die meisten Filme synchronisiert im Fernsehen auszustrahlen. Andere Länder zeigen, dass es für die (Aus-)Bildung von Fremdsprachen einen positiven Einfluss haben kann, wenn statt dessen OmU-Fassungen gezeigt werden. Was halten Sie beispielsweise von einer Quote, die einen bestimmten Anteil an Filmen in OmU-Fassungen festlegt?
Angelika Lipp-Krüll: Ich halte viel mehr von Anreizen als von Geboten. Wie zum Beispiel gerade in Cannes, wo die EU-Kulturminister ein europäisches Förderprogramm für den Vertrieb europäischer Filme beschlossen haben. Dort könnte man zum Beispiel einen Talentwettbewerb für die besten Untertitel oder die interessantesten Drehbücher ausschreiben. Oder man könnte ein Euro-Label schaffen, das für besondere europäische Produktionen vergeben wird.
AVIVA-Berlin: Sie arbeiten seit 1995 als Gleichstellungsbeauftragte. Was hat Sie letztendlich dazu gebracht, diese Stelle anzutreten?
Angelika Lipp-Krüll: Das war durchaus nicht ganz zufällig und auch nicht unbedingt ganz freiwillig. Ich habe 1991 meine Tochter bekommen und glaubte auch, meinen Wiedereinstieg gut geregelt zu haben. Aber das war offensichtlich nicht so. In der Zwischenzeit gab es einen neuen Abteilungsleiter, der gegen Absprachen handelte und mich in meinen Funktionen sehr beschnitt, womit ich auf Dauer nicht zurecht kommen konnte und wollte. Zwei Jahre später wurde dann das Amt der Gleichstellungsbeauftragten geschaffen, und ich nutzte die Chance.
AVIVA-Berlin: Hatten Sie Konkurrenz?
Angelika Lipp-Krüll: Ja, sieben Frauen, aber ich schaffte es einstimmig. Es war eine große Herausforderung, aber auch eine tolle Chance. Ich konnte mich intensiv mit beiden Seiten befassen und habe dann auch gesehen, welche Fehler ich - bewusst oder unbewusst -, gemacht habe. Das nutzte ich dann sehr strategisch und journalistisch und habe ein Stufenkonzept entwickelt, Stichwort "Abbau von unternehmensinternen Hindernissen".
AVIVA-Berlin: 1998 fusionierten die beiden Sender SDR und SWF zum SWR. Was hat sich seitdem geändert und welche Umgestaltungen gab es dadurch?
Angelika Lipp-Krüll: Die Fusion war für beide Sender ein klarer Einschnitt. Wir hatten auf einen Schlag zu viele männliche Führungskräfte und mussten deswegen Hilfskonstrukte unterhalb der natürlich geschrumpften Führungspositionen einbauen. Das war mit vielen unliebsamen Kompromissen verbunden und ging zu Lasten der Frauen. Wegen des Planstellenabbaus haben wir dann ganz systematisch die Frauen im Mittelbau im Auge behalten. An der Spitze konnten wir zunächst gar nichts ausrichten, das war uns klar. Mittlerweile sind wir bei allen Personalentscheidungen unterhalb der Geschäftsleitung beteiligt, und wir werden nicht mehr mit irgendwelchen Vorurteilen bedacht, sondern als erfahrene Kolleginnen gesehen, die über den Tellerrand hinaus gucken, die das Gesamtwohl des Hauses und nicht irgendeine Quote im Auge haben.
AVIVA-Berlin: Sie meinen also, man bräuchte keine Quote? Zeigen nicht die skandinavischen Länder, dass sie notwendig und effektiv ist?
Angelika Lipp-Krüll: Wir arbeiten natürlich nach der Vorgabe, dass bei gleichen Voraussetzungen und gleicher Qualität die Frau genommen wird, sofern es sich um eine Stelle handelt in einem Bereich handelt, in dem ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen besteht. Aber das ist nicht eine Quote im eigentlichen Sinne, sondern die Einhaltung von Regeln. Wir haben ganz tolle Frauen im SWR. Wenn ich das zum Beispiel an den jungen Journalistinnen festmache, die sich für ein Volontariat bewerben, so sind sie fast durchweg besser als die Männer. Sie haben die interessanteren Lebensläufe, die besseren Noten und die reifere Persönlichkeit. Wir haben in den letzten Jahren Mühe gehabt, junge Männer zu finden, die da mithalten können.
AVIVA-Berlin: Das ist erstaunlich, denn eigentlich müssten Männer und Frauen vom Grundsatz her die gleichen Qualifikationen mitbringen. Woher kommen diese jungen JournalistInnen?
Angelika Lipp-Krüll: Viele studieren Geisteswissenschaften und machen dann ein Volontariat. Die meisten der Journalisten, die bei uns tätig sind, gehen immer noch diesen klassischen Weg. Die suchen wir nach bestimmten Kriterien aus, und da schneiden die Frauen um Klassen besser ab. Wenn ich aber den technischen Bereich nehme, da ist es genau umgekehrt. Die analoge Technik war absolut männerbesetzt. Die digitale Technik lockert das ein bisschen auf, aber wir haben dort extreme Schwierigkeiten mit weiblichem Nachwuchs. Da gibt es eine Schieflage.
AVIVA-Berlin: Was könnten Sie tun, um diese Schieflage zu beheben? Könnte man da vielleicht direkt an die Universitäten gehen oder noch früher ansetzen? Es gibt den Girl `s Day, mit dem man Mädchen für technische Gebiete interessieren will.
Angelika Lipp-Krüll: Das sind die richtigen Ansätze. Dieses Jahr machen wir den Girl `s Day zum fünften Mal, was auch das Haus sehr überzeugt. Der Girl `s Day richtet sich an Mädchen zwischen zehn bis fünfzehn Jahren, aber die Elf- bis Zwölfjährigen sind eigentlich die Richtigen. Die Mädchen verbringen ihn zum Beispiel mit den Ingenieuren auf einem unserer Sender. Das hat mich auch dazu bewogen, noch mehr zu machen, als nur den Girl `s Day. Der bringt zwar für viele eine Erkenntnis, aber wichtiger sind die Lehrer und die Eltern, denn die haben kaum Ahnung von den neuen medientechnischen Berufen. Unsere Medien-Azubis drehen deshalb gerade kleine Filme über die neuen Berufe, die wir dann ins Internet stellen.
AVIVA-Berlin: Sie unterstützen unter anderem die Fernsehdokumentation "Im Schatten des Bösen - Der Krieg gegen die Frauen im Kongo", bei der es um schwer verletzte, traumatisierte Frauen und Mädchen durch Vergewaltigungen geht. Wenn man bei solchen Projekten mitarbeitet, erscheinen einem dann die Kämpfe im eigenen Land nicht marginal, gemessen am Leid dieser Frauen?
Angelika Lipp-Krüll: Ich glaube, das Eine ist von dem Anderen gar nicht zu trennen. Wenn ich die Universalität von Menschrechten wirklich ernst nehme, kann ich die Tür nicht vor Deutschland oder Europa zumachen. Susanne Babila hat diese Dokumentation gemacht, und es war schwierig für mich, dafür einen Sendeplatz und Geld zu bekommen. Der Weg über ARTE war in dem Fall die Chance, den Film auch in meinem Haus interessant zu machen. Mitte Juli wird er in der ARD ausgestrahlt Ich finde diese Themen wichtig und kann darin auch keinen Gegensatz erkennen. Wir haben schon viele Veranstaltungen dazu gemacht, Rotary engagiert sich und Amnesty macht die diesjährige Kampagne mit diesem Film.
AVIVA-Berlin: Afrika ist wohl der Verlierer-Kontinent der Globalisierung. Wahrscheinlich wird es irgendwann einen großen Rückschlag für die Industrieländer geben, und sie müssen für die ständige Expansion zahlen.
Angelika Lipp-Krüll: Das glaube ich hundertprozentig, das tun wir wohl auch schon. Der einzige Weg, Afrika nicht fallen zu lassen, ist vermutlich der, den die NGOs, die Netzwerke und die Kirchen konsequent viel früher beschritten haben. Vielleicht könnte die GTZ vermehrt in Kleinprojekte mit NGOs gehen und den Leuten vor Ort Fähigkeiten vermitteln, damit sie nicht nur überleben, sondern gut leben können. Man muss aber auch wirtschaftspolitisch andere Entscheidungen treffen. Wenn ein tiefgekühltes Hähnchen aus Europa oder USA ein Zehntel dessen kostet, was eine Bäuerin auf dem Markt verlangen muss, damit sie ihre Kinder ernähren kann, dann ist das in hohem Maße ein Verbrechen, solche Exporte zu tätigen. Wir brauchen Global Governance Rules, denn ansonsten sehe ich, dass das, was in Afrika passiert auch woanders passiert.
AVIVA-Berlin: Glauben Sie, dass andere Länder von unseren Strukturen in Bezug auf Globalisierung lernen können? Amerikanische Studien werden oft für europäische Ziele herangezogen, aber sollten wir nicht eigene Ziele definieren?
Angelika Lipp-Krüll: Ich glaube, es gibt in den USA sehr viel Exzellenz und sehr viel Unterbildung. Europa mauschelt sich irgendwie in der Mitte zurecht, und wenn ich jetzt mal die Frage bezogen auf Deutschland sehe, dann haben wir wahrscheinlich immer noch einen Nachkriegsknack. Da sehe ich jetzt nicht unbedingt, dass man aus unseren Strukturen lernen könnte. Ich halte es für ein fundamentales Problem, dass wir Kultur immer noch - gerade auf dem Erziehungssektor -, als Ländersache betrachten. Das halte ich für zutiefst antieuropäisch. Aber ich bin ganz optimistisch, denn ich glaube, dass die Europäer dabei sind zu erkennen, dass sie ein gemeinsames Erbe und einen gemeinsamen Auftrag haben. Von Amerika können wir wahrscheinlich die Rigidität lernen, mit der bestimmte Dinge durchgedrückt werden. Ansonsten bin ich mit der etwas differenzierteren Gesellschaft in Europa ganz glücklich.
AVIVA-Berlin: Was genau meinen Sie mit Nachkriegsknack?
Angelika Lipp-Krüll: Ich meine es psychologisch. Weil viele Frauen durch einen von ihnen sicherlich nicht gewollten Krieg und ein von ihnen sicherlich auch nicht aktiv mitgetragenes politisches System in einer Art und Weise gezwungen wurden, Dinge zu tun, die sonst Männer getan haben. Da hat es einen Backlash gegeben, denn die wenigen Männer, die nach 1945 zurück kamen, waren plötzlich die Paschas. Viele Frauen waren auch froh, dass sie sich wieder ihrem Haus und den Kindern widmen konnten. Ich versteh das alles, aber es hat dazu geführt, dass bis heute Frauen immer nur dann gefragt sind, wenn es ein Loch zu stopfen gilt oder wenn ein Fachkräftemangel droht, aber Frauen eigentlich nicht richtig gewollt sind. Das ist in anderen Ländern etwas anders. Ob tatsächlich der Gedanke der Gleichwertigkeit etwas ausgeprägter ist, das weiß ich nicht, aber die Bedingungen sind in anderen europäischen Ländern für Frauen besser als bei uns, das ist immer noch so.
AVIVA-Berlin: Um gegen die bestehenden Strukturen anzugehen, gibt es Veranstaltungen wie die World Women Work. Sie haben bei dieser Tagung in verschiedenen Plenen gesessen. Was werden Sie davon mit nach Hause nehmen?
Angelika Lipp-Krüll: Dass wir Frauen uns tatsächlich nicht mehr die Frage stellen, ob wir kompetent genug sind, sondern die Frage lautet heute, wieso die Kompetenz nicht bei den Entscheidern ankommt. Mehrheitlich kamen wir im Gespräch zu der Ansicht, dass es immer wieder die gleichen Punkte sind, die Frauen hindern. Andererseits gehen Frauen heute vermehrt in die Selbständigkeit, wo sie ihre Talente so einbringen können, wie sie es möchten. Ich fühle mich motiviert und habe vor allem das Panel "Karriere mobil – Chancen und Herausforderungen in der vernetzten Arbeitswelt" als sehr anregend empfunden.
AVIVA-Berlin: Eine letzte Frage an Sie als Journalistin: Die Verdienstmöglichkeiten in diesem Beruf gehen immer stärker zurück, zumal die Konkurrenz riesig ist und heutzutage mehr dazu übergegangen wird, dass man frei und nicht mehr festangestellt arbeitet. Wo sehen Sie die Zukunft des Journalismus?
Angelika Lipp-Krüll: Ich glaube, unabhängig von der Frage der aktuellen Marktchancen, ist das A und O eine gute trimediale Ausbildung. Daneben finde ich eine fundierte breite Sachausbildung wichtig, und ich glaube, dass es oft einfacher ist, sich als Gruppe selbständig zu machen. Ein Gemeinschaftsbüro mit verschiedenen Spezialisierungen kann sich besseres Equipment leisten, Themen breiter abdecken und Qualität bringen. Qualität und Originalität behaupten sich immer noch am Markt. Auch professionelle Netzwerke sind wichtig, wie der Journalistinnenbund, den ich nur empfehlen kann. Das wäre mein Rat.