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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 15.08.2007


Romola Garai im Interview
Tatjana Zilg

François Ozon liebt die Abwechslung. Nach den Erfolgen "Acht Frauen" und "Swimming Pool" inszenierte er den Kostümfilm "Angel". AVIVA sprach im Rahmen der 57. Berlinale mit der Hauptdarstellerin




Die junge Britin ist längst kein unbekanntes Gesicht auf der Leinwand mehr. Sie spielte bereits Haupt- und Nebenrollen in Filmen wie "Dirty Dancing 2", "Vanity Fair" und "Scoop".
Im Februar stand sie gemeinsam mit François Ozon und Charlotte Rampling im Blitzlichtgewitter der FotografInnen, als "Angel" bei der Abschlussgala der 57. Berlinale gezeigt wurde.

AVIVA-Berlin: Wie haben Sie sich dem Charakter der Angel angenähert? Fiel es Ihnen am Anfang schwer sich mit ihr zu identifizieren, weil sie so selbstbezogen und egozentrisch ist? Oder konnten Sie sich ihr schnell innerlich nahe fühlen?
Romola Garai: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal, gelesen habe, war ich in der Tat etwas verwirrt. Es ist schwer, die Komplexität gleich zu verstehen, denn es werden sehr viele Themen berührt. Offensichtlich sollte es auf der Leinwand stilisiert herüberkommen. Aber das war aus dem Drehbuch so nicht herauszulesen. Man konnte nicht gleich erkennen, an welchen Stellen es ironisch und stilisiert umgesetzt werden sollte. Als ich zum Casting ging und mit François über die Rolle sprach, verstand ich ein wenig mehr, wie er Angel zeigen wollte.
Eigentlich mochte ich sie von Anfang an. Ich denke, sie ist ein großartiger Charakter, zwar sehr extrem, aber intuitiv gefiel sie mir. Die Rolle konnte auch nur von jemand gespielt werden, der sie mag. Wenn man sie nicht mag, wird man sie niemals verstehen können.

AVIVA-Berlin: Was hat Sie am Charakter der Angel besonders fasziniert?
Romola Garai: Dass sie sehr mutig ist und niemals ein "Nein" akzeptiert. Sie lebt in Übereinstimmung mit ihren eigenwilligen Grundsätzen. Irgendwann entscheidet sie sich dafür, in einer Fantasie-Seifenblase zu leben. Sie schert sich nicht darum, was andere denken, obwohl Anerkennung ihr wichtig ist. Aber es geht ihr um die eigene Anerkennung, aus sich selbst heraus, nicht um die anderer Leute. Ich denke, sie konnte sich nie mit den Bedingungen anfreunden, die ihr die Zeit, in der sie lebte, aufdiktieren wollte. In ihrer Epoche war es für eine intelligente Frau wie sie schwer, ihren Weg zu finden. Es gab restriktive gesellschaftliche Zwänge, die sehr einengend sein konnten. Aber Angel ignoriert diese gesellschaftlichen Regeln einfach. Das fand ich sofort sehr faszinierend.

AVIVA-Berlin: Haben Sie über diese Epoche recherchiert?
Romola Garai: Das ist etwas diffiziler. Angel gehört nicht wirklich in diese Zeit. Sie soll keine Reflexion einer Frau darstellen, die zu dieser Zeit lebte. Hilfreicher für meine Vorbereitung war, dass der Charakter der Angel an der Persönlichkeit und dem Lebensweg der Romanschriftstellerin Marie Corelli orientiert ist, die in der viktorianischen Epoche sehr erfolgreich zahlreiche Novellen schrieb. Das war um 1850, einige Zeit, bevor sich die Geschichte von Angel zuträgt. Aber ihr Charakter war dem Angels sehr ähnlich: Genauso extrem und außergewöhnlich und sie stand im Widerstreit zu den gesellschaftlichen Regeln der strengen viktorianischen Gesellschaft.

AVIVA-Berlin: Warum verrennt sich Angel, die in vielen Punkten sehr selbstbewusst ist, in eine einseitige Liebe zu dem erfolglosen Maler Esmé, der von Anfang an unehrlich zu ihr ist?
Romola Garai: Angel hat bewusste und unbewusste Seiten. Ihre bewusste Seite möchte ein Fantasiegebilde: Einen Prinz Charming an ihrer Seite, einen liebenden Ehemann. Ihre unbewusste Seite, die sie nie wirklich zulässt, versteht, dass Esmé anders ist, auf seine Art besonders. Er ist ein künstlerisches Genie, hochtalentiert, so wie Angel es niemals sein wird. Es gibt diese eine Szene im Film, in der er die Blumen in seiner expressiven, düsteren Art malt und sie in das Zimmer kommt, um ihm ein Glas Tee zu bringen. Sie möchte wissen, warum er in diesen dunklen Farben malt, warum er die Realität in einer so anderen Art und Weise sieht. Sie ist sehr neugierig in diesem Moment.

AVIVA-Berlin: Warum möchte sie ihn verändern?
Romola Garai: Ich denke, sie fühlt sich bedroht durch seine Kunst. Er sieht die Realität in ihrer Dunkelheit, und erkennt dabei mehr die negativen Seiten, die das Leben prägen. Das steht im Kontrast zu Angels Idee der Realität. Wenn sie ihn davon überzeugen kann, dass ihre eigene Idee der Realität die Bessere, die Wahre ist, würde das ihre Welt bestätigen.

AVIVA-Berlin: Sie sind in vielen wunderschönen, farbenprächtigen Kostümen zu sehen. Hat es Ihnen viel Spaß gemacht, die Gelegenheit zu haben, sich einmal ganz anders zu kleiden als im Alltag oder in Gegenwartsfilmen?
Romola Garai: Oh ja, das habe ich sehr genossen. Pascaline Chavanne ist eine brillante Kostüm-Designerin. Ein Großteil der Kostüme war bereits fertiggestellt, bevor ich gecastet wurde. Sie zeigte mir die Kostüme, die in den einzelnen Szenen getragen werden sollten und so gewann ich anhand dieser bereits eine gute Vorstellung, in welch unterschiedlicher Weise der Charakter im Laufe des Films gezeigt werden soll.

AVIVA-Berlin: Im zweiten Teil des Filmes sind Sie in einigen Szenen zu sehen, in denen Angel ihren Glanz verloren zu haben scheint, ungeschminkt und depressiv. War es für Sie schwer, sich so vor der Kamera zu zeigen?
Romola Garai: Nein, das war eine Erleichterung. Zuerst musste ich immer wunderschön aussehen. Das war auch eine Menge Druck und nicht immer einfach. Ich hatte zuvor noch keine weibliche Hauptrolle, die so außergewöhnlich gut aussehen musste. So war ich erleichtert, als Angel sich veränderte und ich mehr wie ein Charakter aussehen durfte, und nicht mehr wie eine stilisierte Schönheit.

AVIVA-Berlin: Wie wurden Sie für die Rolle ausgewählt? Haben Sie an einem klassischen Casting teilgenommen?
Romola Garai: Ich bin schon lange ein großer Fan von François Ozon und seinen Filmen. Er kam nach England und bat den Casting Director, ihm viele junge SchauspielerInnen vorzustellen. Vermutlich kannte er viele von ihnen nicht dem Namen nach, obwohl sie in England bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatten. Auch ich sprach fünf- bis sechsmal vor, bis er mir die Rolle gab.

AVIVA-Berlin: Wie war es, mit einer weltberühmten Schauspielerin wie Charlotte Rampling zusammenzuarbeiten?
Romola Garai: Es war sehr beeindruckend. Ich habe ihre Arbeit schon immer verehrt. Alle Filme, in denen sie mitgewirkt hat, nicht nur diejenigen, die sie mit François Ozon gedreht hat. Sie ist eine sehr erfahrene Schauspielerin. Es war sehr interessant, mit ihr in einem Film zusammenzuarbeiten, in dem ich so übertrieben spielte, während sie mit ihrer klein gehaltenen, aber sehr ausdrucksstarken Gestik und Mimik arbeitete. Sie lässt eine ganz besondere Atmosphäre um sich entstehen.

AVIVA-Berlin: Und mit François Ozon? Was mögen Sie besonders an seiner Art, Filme zu machen?
Romola Garai: Oh, ich habe es geliebt, mit ihm zu arbeiten. Er ist ein so erstaunlicher Regisseur. Er hatte sehr präzise Ideen über die Rolle der Angel und wusste sehr genau, wie er sie interpretiert haben wollte. So war es sehr einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten. Und er ist so vielseitig talentiert. Zum einen ist er auch technisch sehr begabt. Er kennt sich sehr gut mit Licht und Ton aus, steht manchmal selbst hinter der Kamera. Dann ist da die intellektuelle Seite seiner Filme, die Cleverness, die vielen außergewöhnlichen Ideen. Ich bewundere beides sehr.

AVIVA-Berlin: Haben Sie schon Pläne für einen nächsten Film?
Romola Garai: Nein, ich arbeite im Moment für die Royal Shakespeare Company und spiele in zwei Theaterstücken mit, "King Lear" und "The Seagull".

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!



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Beitrag vom 15.08.2007

AVIVA-Redaktion