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Beitrag vom 28.02.2008
Cathy Randall im Interview
Tatjana Zilg
Auf der Berlinale zeigte die australische Regisseurin ihren Spielfilm "Hey Hey It´s Esther Blueburger" in der Generation Kplus. AVIVA-Berlin traf sie zu einem Gespräch über ihren cleveren ...
... Hauptcharakter, Außenseiterinnen-Dasein an der Schule, Mädchenfreundschaften und dem Wechselspiel zwischen Humor und Dramatik im Film.
Starke Mädchen, die sich gegen Familie, MitschülerInnen, ArbeitskollegInnen, TrainerInnen und LehrerInnen durchsetzen müssen, waren in einigen Filmen der Generation Thema. Der dänische Film "Fighter" (Regie: Natasha Arthy) handelte von einem türkischen Mädchen, dem von der Familie verboten wird, Kung Fu zu erlernen. Sie tut es natürlich trotzdem. Denn eine der wichtigsten Dinge, die Teenager heute lernen müssen, ist die Entscheidung zwischen dem eigenen Weg und Kompromissen mit ihrem Umfeld.
Die Heldin in dem Film von Cathy Randall ist etwas jünger, und gleich am Anfang beobachtet man sie, wie sie an einer Privatschule von allen Seiten geärgert wird. Bewundernswert, wie Esther Blueburger dabei ihren Humor behält und ihren "Feindinnen" mutig Contra bietet mit ihrem Wortwitz und dem Talent, immer ein wenig über den Dingen zu stehen. Bald bietet sich für Esther eine Gelegenheit, der Privatschul-Welt zu entrinnen. Sie begegnet der etwas älteren Sunni, die mit leicht punkigem Outfit und rebellischem Charme an ihrer öffentlichen Schule gut klar kommt. Sunni hilft Esther, heimlich die Schulen zu wechseln und fortan gehen beide zusammen jeden Morgen in Sunni´s Klasse. Nun schlägt Esther selbst öfter über die Stränge. Sie probiert vieles aus, was sie kurz zuvor nie gewagt hätte. Die Eltern, insbesondere die Mutter, nehmen das pikiert zur Kenntnis, aber trotzdem bekommen sie nicht wirklich mit, was in ihrer Tochter vorgeht. Esther testet die Grenzen aus, bis sie zu dem findet, was ihr wirklich wichtig ist. Dabei besteht sie gemeinsam mit Sunni kleine und große Alltagsabenteuer in einer australischen Großstadt.
Das Regie-Debut von Cathy Randall, die auch das Skript schrieb, ist eine flotte Teenager-Tragikomödie, die nicht nur beim jungen Publikum sehr gut ankam.
2002 wurde Cathy Randall ein an die Skriptvorlage gebundenes Stipendium im Rahmen des Los Angeles Film School´s Feature Development Programms angeboten. Ein Jahr lang konnte sie dort ihr Projekt mit Unterstützung von Hollywood´s Profi-FilmmacherInnen weiterentwickeln. Im Folgejahr wurde das Skript in Australien für den ANGIE Award für das beste unverfilmte Skript nominiert. Zurück in Australien fand sie mit Miriam Stein eine Produzentin, die ihr den Weg zur Realisierung des Films ebnete.
AVIVA-Berlin: Fast jede Schülerin hat davor Angst, in eine Außenseiterinnen-Position zu geraten. Sich selbst treu zu bleiben und sich nicht unterkriegen zu lassen, ist in dieser Situation alles andere als einfach, aber Esther Blueburger gelingt das auf eine sehr aufgeweckte Art.
Wer hat Sie für die Entwicklung Ihres Hauptcharakters inspiriert?
Cathy Randall: Ich bin von meinen eigenen biografischen Erfahrungen ausgegangen. 13 ist ein faszinierendes Alter. An der Schwelle zu sein zwischen dem Ende der Kindheit und dem Beginn des Erwachsenwerden ist für jede eine aufregende Sache. Es ist die Phase, wo man zum ersten Mal Gefühle spürt, die man zuvor nie hatte. Dadurch bekommt dieses Alter seine ganz besondere Intensität. Ich bin als Teenager auch zu einer Schule gegangen, wo ich überhaupt nicht hineinpasste und habe deshalb auf eine andere Schule gewechselt.
AVIVA-Berlin: Wo haben Sie Ergänzungen vorgenommen und wo entsprechen die Ereignisse direkt der Realität?
Cathy Randall: Oh, das ist schwer zu sagen. Natürlich waren die beiden Schulen, die ich besuchte, nicht so wie im Film gezeigt. Ich habe aus meinen eigenen Erfahrungen geschöpft, aber das ist nur die Ausgangsbasis. Vieles habe ich ergänzt und anders geschrieben, um eine Film-Story zu kreieren. Da achtet man dann darauf, dass die Dinge lustig oder traurig wirken, vieles wird betont und ein wenig übertrieben, anderes fällt weg.
AVIVA-Berlin: Warum ist Esther vom ersten Moment an so fasziniert von Sunni?
Cathy Randall: Weil Sunni so ungemein cool wirkt: Die Art, wie sie schaut, die Art, wie ihre Haare geschnitten sind, die Art, wie sie auf Andere reagiert. Wenn Esther sie beobachtet, wie sie Drums spielt oder mit den Jungen an der Bushaltestelle flirtet, merkt Esther, dass sie so ist, wie sie selbst gerne wäre.
AVIVA-Berlin: Warum nimmt Sunni die jüngere Esther so schnell an ihre Seite und hilft ihr – wenn auch auf sehr ungewöhnliche Art – der Situation an der Privatschule zu entkommen?
Cathy Randall: Sunni selbst ist ein bisschen zu schnell erwachsen geworden, hat manchmal Streit mit ihrer Mutter, obwohl sie sich mit ihr eigentlich gut versteht. In Esther erkennt sie ein Mädchen, das wie sie eine Außenseiterin ist und zugleich eine ganz einzigartige Person. Auf der praktischen Ebene ist es auch so, dass Esther sie immer wieder zum Lachen bringt. Zum Beispiel als sie bei einer der ersten Begegnungen erklärt, sie hätten in der Privatschule Barcodes zur Identifizierung. Sunni trifft in ihr auf eine Person, die oft noch witzigere Pointen als sie selbst findet Und als Sunni dann zu ihrer Bat Mitzwa–Party kommt, wo Esther gegen Ende Break Dance tanzt, ohne es richtig zu können, aber alle dadurch ganz ausgelassen werden, ist Sunni von ihr richtig begeistert.
AVIVA-Berlin: Wie wichtig war Ihnen für Ihre Storyline, dass Esther´s Familie jüdisch ist?
Cathy Randall: Oh, das steht nicht im Vordergrund, aber es ist ein Teil ihrer Identität. Sie gehört dadurch einer Minderheit an. Die jüdischen Gemeinden in Australien sind nicht besonders groß. Es ist jetzt aber nicht ausgesprochen wichtig für die Story, es ist einfach nur ein Teil von dem, was Esther Blueburger ausmacht.
AVIVA-Berlin: Anders zu sein kann eine Schülerin auch an einer öffentlichen Schule in Schwierigkeiten bringen. Hier in Deutschland ist das oft ein Problem, manchmal kommt es dabei auch zu Gewaltfällen, Privatschulen gibt es kaum.
Esther hilft aber gerade der Wechsel von einer Privatschule zu einer öffentlichen Schule, um mit ihren Problemen besser zurechtzukommen.
Cathy Randall: Nun, an keiner der beiden Schule geht es ja wirklich gewalttätig zu. Ich würde sagen, dass die eine Schule eine strengere Grundhaltung hat als die andere. Die öffentliche Schule erlaubt mehr Individualität und sie findet eine Freundin, auf die sie sich beziehen kann. Sie muss sich dennoch selbst verändern, um besser zurechtzukommen. Ich würde das nicht so Schwarz-Weiß sehen. Auch an der zweiten Schule ist es nicht so einfach: Man kann da zwar eher Anders sein. Aber die Schülerinnen bilden auch hier viele unterschiedliche Gruppen. Ich wollte das nicht an der Art der Schulen festmachen. Es gibt überall Druck, jemand zu sein, der man gar nicht ist, sich an bestehende Strukturen anzupassen oder sich den beliebtesten Mädchen unterzuordnen. Und das besonders unter Teenagern. Ein Mädchen, das zum Beispiel als Nerd bezeichnet wird, muss lernen, sich davon abzugrenzen, und einen Weg finden, sie selbst zu sein, ohne sich von den Anderen runterziehen zu lassen und unabhängig zu werden von der Umgebung.
AVIVA-Berlin: Im Film gibt es viele sehr lustige Momente, die aber immer auch satirische Elemente enthalten. Woher nehmen Sie Ihr Gespür für guten Humor? Für wie wichtig halten Sie Humor für einen Film?
Cathy Randall: Ich denke, das ist eine typische Art von jüdischem Humor. Als ich die einzelnen Szenen schrieb, war mir gar nicht so klar, dass sie so lustig herüberkommen werden. Ich war schon einige Male überrascht, als bei manchen Episoden alle anfingen zu lachen, die ich aus meiner Sicht gar nicht als so lustig empfunden hatte. Ich denke, es ist beim Filmemachen unglaublich wichtig, dass die ZuschauerInnen Gelegenheit haben, während der Story auch lachen zu können. Aber genauso sollte es auch Stellen geben, die ernst sind, wo Manche Tränen in den Augen bekommen werden. Ich denke, um die Botschaft eines Filme zu vermitteln, ist es ganz wichtig die Leute emotional zu bewegen. Und das sollte in beide Richtungen hin passieren: Sie sollten Momente finden, an denen sie lachen können und welche, die sie traurig stimmen. Wenn man Licht und Dunkelheit in einem Film mischt, ist Tiefe da, aber die Leute werden auch gut unterhalten.
AVIVA-Berlin: Im letzten Teil des Filmes gibt es einen dramatischen Wendepunkt. Sunni´s Mutter stirbt bei einem Unfall, gerade in dem Moment, wo sie sehr glücklich war. Warum haben sie sich dafür entschieden, die Geschichte an diesem Punkt so tragisch werden zu lassen?
Cathy Randall: Nun, der Film zeigt Esther in einer Phase, wo sie sehr starke Veränderungen durchmacht. Ich war der Meinung, dass das nur in der Tiefe wirken kann, wenn etwas Extremes passiert. Esther gewinnt hier eine Reife, an die sie sonst nicht so schnell gelangt wäre. Sie versteht dadurch, dass Aktionen mit Konsequenzen verbunden sind. Etwas sehr Erschütterndes musste passieren, damit Esther wirklich auf sich selber schaut und an einen persönlichen Wendepunkt gelangt. Sie versucht zuvor, jemand zu sein, der sie gar nicht wirklich ist und das hätte sie sonst weiter bis ins Extrem getrieben.
Tragik auf diesem Level kann die Welt verändern. Ich sehe mich da auch in der Tradition einer bestimmten Art des Storytellings, wo die Heldin einen emotionalen Prozess durchläuft und eine wichtige Person sterben muss, bevor sie zur vollen Reife gelangt.
AVIVA-Berlin: In welcher Stadt spielt der Film eigentlich?
Cathy Randall: Ich habe das Skript mit Gedanken an Sydney geschrieben, aber wir haben es dann in Adelaide gedreht. Von der Intention sollte es eine anonyme Stadt irgendwo in Australien sein.
AVIVA-Berlin: Auf der Berlinale wird der Film in der Sektion Kplus gezeigt. An welche Zielgruppe dachten Sie selbst, als Sie das Skript schrieben?
Cathy Randall: Im Programmheft wird mein Film ab 11 Jahren empfohlen. Ich selbst hätte ihn ab 13 Jahren eingeordnet. Aber ich denke schon, dass auch jüngere Kinder den Film sehen können. Sie werden nicht alles verstehen und vielleicht auch das Ende nicht emotional nachvollziehen können. Aber auch wenn sie mit manchen Szenen nichts anfangen können, werden ihnen andere Stellen gefallen und sie werden von anderen Sachen bewegt werden.
AVIVA-Berlin: Wie finden Sie die Idee, dass es bei der Berlinale eine Sektion gibt, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richtet?
Cathy Randall: Ich halte das für eine großartige Idee. Jugend ist für mich eine faszinierende Lebensphase. Viele der Filme würde ich nicht als Filme für Kinder und Jugendliche bezeichnen, sondern als Filme, die aus der Jugendperspektive gedreht sind. Sie sind sehr intelligent gemacht und eröffnen einen Zugang zu vielen unterschiedlichen Aspekten des Lebens.
Ich war auch sehr überrascht, wie unvoreingenommen und neugierig das Publikum der Berlinale den Filmen begegnet, und die progressive Haltung, die dahinter steht. Bei der Generation wird mit der Auswahl des Programms den Kindern und Jugendlichen eine Menge zugetraut. Das hat mich sehr beeindruckt und das finde ich sehr gut so. Ich habe mit einigen ZuschauerInnen gesprochen, die sich Filme angeschaut haben, die in Australien vermutlich als nicht als für ihre Altersgruppe empfehlenswert eingeschätzt worden wären. Es gibt dort ein Punkte-System, das die Altersbeschränkungen für Filme festlegt. Kinder und Jugendliche sind aber oft intelligenter und reifer, als die Erwachsenen ihnen zutrauen. Sie setzen sich detailliert mit den Filminhalten auseinander und wollen nicht, das bestimmte Aspekte des Lebens in der Darstellung vermieden werden.
AVIVA-Berlin: Haben Sie schon Ideen für Ihre nächsten Filmprojekte?
Cathy Randall: Ich habe ein paar Ideen, aber da ist es noch zu früh darüber zu sprechen.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für Ihren Film und zukünftigen Projekte!
Die positive Resonanz auf das Skript sorgte für zwei beliebte Namen im Cast: Toni Collette spielt die vor Leben sprühende, aber auch mit vielen Schwierigkeiten kämpfende, alleinerziehende Mutter von Sunni. Das freche Girlie mit dem rebellischen Touch verkörpert Keisha Castle Hughes, die in Australien längst über den Newcomerinnen-Status hinaus bekannt ist. Jede/r wird sich sicherlich an ihre Interpretation der Paikea in der neuseeländischen Produktion "Whale Rider" erinnern.
Mit Danielle Catanzariti wurde für die Rolle der Esther in einem zeitintensiven Casting ein hochtalentiertes Mädchen entdeckt, das nach der Fertigstellung von "Hey Hey It´s Esther Blueburger" kräftig durchstartete: Sie nahm eine Rolle in "Elise" an, wo sie an der Seite von Natalie Imbruglia spielen wird. Unter der Regie von Cate Blanchett wird sie im Ensemble von "Blackbird" mit der Sydney Theatre Company zu sehen sein.
Der Film im Web:
www.mtv.com.au/estherblueburger