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Beitrag vom 12.06.2008
Rupa Marya im Interview
Tatjana Zilg
Die Sängerin, Songwriterin und Ärztin, die in den USA, Indien und Frankreich aufwuchs, lebt und arbeitet heute in San Francisco. AVIVA-Berlin traf sie nach ihrem Konzert bei der Popeurope ...
... in Berlin zu einem Gespräch über ihre Kindheit in Indien, die Problematik der Hochsicherheitsgrenze zwischen den USA und Mexiko, den Einsatz verschiedener Sprachen beim Songschreiben und wie es ihr gelingt, zwei anspruchsvolle Berufe nebeneinander auszuüben.
AVIVA-Berlin: Gestern hast Du beim Popeurope Festival in der Arena gespielt. Es war ein sehr schönes Konzert. Die Stimmung im Publikum war sehr lebhaft. Fast alle haben viel getanzt, was in Berlin nicht immer so ist.
Rupa Marya: Ja, es war unglaublich, es war toll. Ich werde das Konzert als eines meiner Lieblingskonzerte in Erinnerung behalten. Der Veranstaltungsort ist sehr schön, der Tag war einfach magisch, den ganzen Tag schien die Sonne und die Leute sind draußen im Badeschiff geschwommen. Ich war überrascht, wie schnell das Publikum sich von der Musik mitreißen ließ. Zuvor haben wir in der Schweiz gespielt, die Leute dort waren viel reservierter. Ich habe noch nie in Deutschland gespielt und angenommen, das Publikum hier würde auch so reserviert reagieren.
AVIVA-Berlin: Wie kann man sich ein Konzert von Dir in San Francisco vorstellen?
Rupa Marya: Die Leute in San Francisco sind sehr expressiv. Das Publikum, das Gefallen an unserer Musik finden, ist sehr durchmischt. Es kommen viele sehr junge Leute, aber auch viele ältere. Außergewöhnlich ist, dass in der Stadt sehr viele ZirkusdarstellerInnen leben. Diese kommen oft privat zu unseren Konzerten und zeigen ihre Künste im Publikumsraum bis sie irgendwann spontan auf die Bühne springen und sich an der Show beteiligen. Das wird dann oft sehr wild und lebendig.
AVIVA-Berlin: Berlin wird oft als multikulturelle Stadt bezeichnet. Hattest Du Zeit, Dich etwas umzusehen? Wie ist Dein Eindruck von Berlin? Wie erlebst Du die Stadt im Vergleich mit San Francisco?
Rupa Marya: Es gibt sicher Ähnlichkeiten zu San Francisco. Ich habe mir etwas Zeit genommen, um mich umzuschauen. Gestern war ich auf dem Flohmarkt am Mauerpark. Ich mochte die Atmosphäre dort sehr. Es waren viele KünstlerInnen da, es gab witzige und schöne Sachen zum Verkauf. Als ich über den Flohmarkt lief, empfand ich die Stimmung ein wenig wie in San Francisco. Ich wünschte, ich könnte mehr Zeit in Berlin verbringen, vielleicht ein paar Wochen. Dann könnte ich andere KünstlerInnen treffen und mich mit ihnen austauschen. Berlin fühlt sich im Moment sehr gut an. Man kann spüren, wie die jungen Leute auf die spezielle Situation reagieren, sie befinden sich in einem Schwebezustand zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die besondere Vergangenheit ist nicht ganz verschwunden, sie ist noch spürbar. Dieses Gefühl prägt die Stadt, es ist sehr intensiv, aufregend und wunderschön.
AVIVA-Berlin: Gestern auf dem Konzert hast Du davon erzählt, wie die USA die Grenzpolitik gegenüber Mexiko verschärft, einige Deiner Songs beschäftigen sich mit dieser Problematik.
Rupa Marya: Im Moment ist die Situation so, dass die US-Regierung an der Grenze eine Mauer baut, die am Meer beginnt und weit ins Land hineinreicht. Es gab schon zuvor eine Mauer, aber jetzt bauen sie eine Hochsicherheits-Mauer. Das bedeutet, dass der Übergang bei Tijuana in der Nähe des Meeres illegalen MigrantInnen unmöglich gemacht wird. Die Menschen weichen weiter ins Inland, Richtung Arizona, aus, wozu sie die Wüste durchqueren müssen. Das bezahlen viele mit dem Tod. Die Zahl derjenigen, die im oft an Hunger und Durst Grenzgebiet sterben, ist im letzten Jahr immens angestiegen. Diese Mauer ist ein großes Problem, denn sie hält die Menschen nicht vom Versuch ab, die Grenze zu überschreiten. Aus Verzweiflung probieren sie andere Wege aus, was sie häufig das Leben kostet.
AVIVA-Berlin: Engagierst Du Dich auch als Ärztin für die MigrantInnen?
Rupa Marya: Ja, im Moment bin ich in ein Projekt involviert, bei dem ich die MigrantInnen darüber aufkläre, welche Rechte sie haben.
Als Ärztin habe ich erlebt, wie illegale MigrantInnen sich erst sehr spät an mich wenden. Eine 53jährige Frau, die einen Tumor in der Brust ertastet hatte, ging acht Monate lang nicht zur Ärztin, weil sie Angst hatte, dass sie den Behörden als illegale Migrantin gemeldet wird. Als sie mich konsultierte, war der Krebs schon in einem weit fortgeschrittenen Stadium. Er hatte sich im ganzen Körper verteilt. Sie kam ins Krankenhaus, aber nur, um dort zu sterben. Ich halte es für unakzeptabel, dass so etwas in San Francisco passiert. Dass eine Frau in einer Stadt, die für ihre warmherzige, weltoffene Atmosphäre berühmt ist, mit einer solchen Angst leben muss.
Es gab in den letzten Monaten Razzien durch die Einwanderer- und Zollbehörde (ICE), bei denen 60 illegale MigrantInnen entdeckt wurden. Dadurch wird die Angst verstärkt. Ich möchte mit meinem Engagement bewirken, dass die Leute sich sicher genug fühlen, um die medizinischen Dienste in Anspruch zu nehmen. Die illegalen MigrantInnen leisten viel schwere Arbeit in San Francisco und es wäre extrem unmenschlich, sie von der ärztlichen Hilfe auszuschließen.
AVIVA-Berlin: Wie wichtig ist es Dir, mit Deinen Songs eine politische Botschaft zu vermitteln?
Rupa Marya: Es gehört auf jeden Fall dazu. Aber es geht mir keinesfalls nur um politische Inhalte. Alles in meinen Leben inspiriert mich zu meinen Songs. Ich habe viele PatientInnen getroffen, die von der Migrationsproblematik betroffen waren und deshalb hat mich das sehr beeinflusst. Mit der Band fahre ich einige Male im Jahr für ein paar Tage an die Grenze. Wir sprechen mit den Menschen dort und geben Konzerte für ausgewiesene MigrantInnen. Ich habe auch einige Monate in Oaxaca in Mexiko gelebt.
Aber da sind noch so viele andere Dinge: Sich Verlieben ist inspirierend, Sich über die Grenzen hinweg zu Verlieben ist genauso inspirierend.
AVIVA-Berlin: Warum hast Du Dich entschieden, einen Großteil Deiner Songs in Französisch zu schreiben? Wenn sie Englisch wären, könnten sie mehr Leute verstehen...
Rupa Marya: Das Wesen eines Songs besteht für mich in meiner ursprünglichen Idee: In dem, was ich ausdrücken möchte. Danach entscheide ich, in welcher Sprache ich den Text schreibe. Es fing mit einer künstlerischen Übung an, bei der es darum ging, Melodie und Rhythmus einer Sprache zu erspüren. Wenn ich die Reaktionen des Publikums bei den Konzerten beobachte, habe ich das Gefühl, dass die Menschen unabhängig von der verwendeten Sprache verstehen, worüber ich singe. Dass sie die Aussage eines Songs auch über andere Sinne als die sprachliche Ebene wahrnehmen können. In den Vereinigten Staaten von Amerika, wo die Angst vor dem Fremden immer größer wird, ist es genau aus diesem Grund wichtig, in anderen Sprachen zu singen. Die Leute werden dadurch mit dem Fremden konfrontiert. Wenn sie an der Musik Spaß gewinnen, wird auch die Neugier für das Fremde geweckt. Wenn viele Elemente miteinander vermischt werden, kann die Erfahrung gemacht werden, wie wunderschön das sein kann. Und dass es nicht notwendig ist, Trennungen vorzunehmen, Grenzen zwischen Menschen zu setzen. Welche Magie entstehen kann, wenn sich unterschiedliche Einflüsse begegnen.
AVIVA-Berlin: Wie ist Dein Verhältnis zu Indien heute? Besuchst Du öfters Deine Familie und FreundInnen dort?
Rupa Marya: Das letzte Mal war ich 2005 dort. Meine Eltern haben eine Misch-Ehe: Mein Vater ist Hindu, meine Mutter Sikh. Wir kommen aus dem Bezirk Punjab, wo die beiden religiösen Gruppen verfeindet waren und sich gegenseitig umbrachten. Deshalb konnten meine Eltern dort für längere Zeit nicht hinreisen. Aber in 2005 besuchten meine Mutter und ich einen Monat lang ihr Heimatgebiet. Es war sehr schön. Seitdem hatte ich leider keine Zeit mehr, aber ich möchte auf jeden Fall wieder nach Indien reisen.
AVIVA-Berlin: Wie erlebst Du die Rolle der Frau in Indien? In den westlichen Ländern sind viele Faktoren bekannt, die das Bild entstehen lassen, dass Frauen dort in vielen Punkten unterdrückt werden. Manchmal ist diese Sichtweise natürlich auch von Klischeevorstellungen beeinflusst.
Rupa Marya: Ja, ich denke, das westliche Bild von der Frauenrolle in Indien wird oft in zu einfachen Kategorien gedacht. Es ist etwas schwierig, mich dazu zu äußern, denn ich bin selbst vorrangig in westlichen Ländern aufgewachsen.
Frauen in Indien werden in bestimmten Bereichen verehrt. Im Haushalt nehmen sie meist eine eher dominante Rolle ein während sie in den Außenbereichen weniger Rechte haben. Innerhalb der Haushalte sind die Strukturen eher matriarchalisch angelegt. Da ist die Gesellschaft durchaus widersprüchlich. Durch den wirtschaftlichen Wandel gab es in Indien in den letzten Jahrzehnten einige Veränderungen, die es der jungen Generation ermöglichen, Wege außerhalb des traditionellen Rollenverständnisses auszuprobieren. Die Anzahl junger Frauen, die eine sehr gute Ausbildung haben, in ihrer eigenen Wohnung leben, nicht an eine Heirat denken und Verhütung nutzen, steigt. Lange Zeit war es nicht denkbar, dass Frauen vor der Heirat allein für sich leben. Als ich zuletzt in Indien war, war ich sehr überrascht von der neuen Situation, denn als ich dort als Kind lebte, war es ganz anders. Die Haltung der Männer hinkt da etwas nach, sie sehen diese Entwicklung skeptisch. Die Frauen setzen sich aber immer stärker durch und treiben die Veränderung voran. Das ist sehr aufregend zu beobachten.
AVIVA-Berlin: Wie hast Du die kulturellen Wechsel als Kind erlebt? War es schwierig für Dich, in den unterschiedlichen Umgebungen zurechtzukommen?
Rupa Marya: Nun, ich wurde in Kalifornien geboren und es war sehr schwierig für mich, als kleines Mädchen von dort nach Indien geschickt zu werden. Aber ich bin in einer sehr außergewöhnlichen Familie aufgewachsen, meine Großmutter in Indien war eine sehr offene, direkte Frau. Sie strahlte eine sehr starke, feminine Energie aus, die mich als Kind umgab und beeinflusste. Wenn wir auf den Markt gingen, kam es zum Beispiel vor, dass Männer einen schubsten und in die Taschen greifen wollten. Üblicherweise sagt bei solchen Vorfällen niemand etwas. Meine Großmutter blieb aber stehen, schaute den Verursacher direkt an und sagte mit kräftiger, lauter Stimme: "Du! Wie kannst du es wagen?" Als Kind sah ich das natürlich mit gemischten Gefühlen. Keine andere Frau benahm sich so, und deshalb war es mir peinlich. Aber bald sah ich auch, wie wichtig ihr Verhalten war, eine Revolution im Kleinen. Und dann wurde aus mir ein sehr offenes, direktes Mädchen. Es war für mich kaum auszuhalten, dass die Bräuche in Indien es von Frauen verlangen, in sozialen Kontexten zu schweigen: Zum Beispiel, wenn in der Familie meines Vaters viele Männer in einem Raum zusammenkamen. Ich war nie bereit, die Unterscheidung zwischen Mädchen- und Jungen-Rolle zu akzeptieren. Ich redete dann einfach in die Unterhaltung hinein und deshalb bekam ich als kleines Mädchen oft Ärger mit den anderen Familienmitgliedern.
AVIVA-Berlin: Später, als Du wieder in San Francisco lebtest, hast Du Dich für die Ausübung von zwei anspruchsvollen Berufen gleichzeitig entschieden. Du arbeitest als Ärztin und Deine Karriere als Sängerin läuft auch sehr gut. Wie gelingt es Dir, beide Tätigkeitsfelder unter einem Hut zu bringen?
Rupa Marya: Es ist nicht ganz so schwierig, denn ich habe die Möglichkeit, sechs Monate lang im Krankenhaus zu arbeiten und sechs Monate etwas anderes zu tun. Ich bin Professorin für Medizin. Die meisten meiner KollegInnen arbeiten innerhalb eines Jahres vier Monate im Krankenhaus und widmen sich dann acht Monate lang der Forschung. Für mich wurde die Lösung gefunden, sechs Monate lang im Krankenhaus tätig zu sein und mich dann als "Forschung" offiziell meiner Musik zu widmen mit allem, was dazugehört: Songs schreiben, Studioaufnahmen, Konzerte geben, Pressearbeit, Eindrücke an der Grenze sammeln. Mein Arbeitgeber verhält sich da glücklicherweise sehr unterstützend. Zudem ist meine Arbeit als Sängerin auch wichtig, um die Schwellenangst der Leute vor der Medizin abzubauen. Ich selbst nehme die Musik und meine Arbeit als Ärztin als sehr ergänzend wahr. Das eine beeinflusst das andere und gibt mir die Energie, weiterzumachen in beiden Bereichen.
AVIVA-Berlin: Der Titel Deines aktuellen Albums ist "extraordinary rendition" "extraordinary rendition": Deine Musik ist eine einzigartige Mischung aus unterschiedlichen Genres. Wie würdest Du selbst Deinen Stil beschreiben?
Rupa Marya: Ich würde ihn als Mischung unterschiedlicher Folk-Richtungen beschreiben, inspiriert von der Musik, die man überall auf der Welt auf der Straße finden kann. Es ist eine Musik für alle Menschen, die Leute aus den verschiedensten Kulturen verstehen können. Manchmal wird mir erzählt, welche Einflüsse jemand aus meiner Musik herausgehört hätte, dass da ein wenig Klezmer drinnen wäre, und dieses oder jenes Genre. Aber so entwerfe ich meine Lieder nicht. Ich denke, dass die Architektur, die den Songs zugrunde liegt, sich mit der Art, wie sie dann von der Band gespielt werden – und da wirken sich auch all die verschiedenen kulturellen Hintergründe der Bandmitglieder aus – sich zu dem verbindet, was den Ausdruck und die Stärke der Songs ausmacht.
AVIVA-Berlin: Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus?
Rupa Marya: Wenn wir die Europa-Tournee abgeschlossen haben, steht gleich wieder eine Tour in Amerika an. Danach habe ich hoffentlich einige Zeit frei. Ab August werde ich wieder für sechs Monate im Krankenhaus arbeiten. Anschließend werde ich mit der Arbeit an der nächsten CD anfangen. Daneben gehe ich meiner Tätigkeit in dem Health Care Project in San Francisco nach.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!
Weitere Informationen zu Rupa Marya finden Sie unter: www.rupamarya.com
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