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Beitrag vom 23.12.2011
Interview mit der Autorin des Romans Bessere Zeiten, Susanna Alakoski
Marie-Luise Wache
AVIVA-Berlin sprach mit der ehemaligen Sozialarbeiterin und heutigen Journalistin und Autorin über ihren Debütroman, der seit der Erscheinung in Schweden mit Themen wie Gewalt gegen Frauen,...
... Kinderarmut und -verwahrlosung, Alkoholsucht, sowie Finnland-Schwedische-Identität eine bis dahin schweigende Gesellschaft zur Diskussion auffordert.
Die 1962 in Vasa geborene Autorin und studierte Sozialarbeiterin Susanna Alakoski veröffentlichte ihren Debütroman "Svinalängorna" im Jahr 2006 im Albert Bonnier Förlag. Im Herbst 2011 erschien bei der edition fünf nun die deutsche Übersetzung unter dem Titel "Bessere Zeiten".2010 wurde das Buch von Schauspielerin Pernilla August unter gleichnamigem Titel verfilmt und startete im Dezember 2011 in den deutschen Kinos.
Die Geschichte dreht sich um das Leben dreier Mädchen, die unter ärmsten Bedingungen in einem Vorort des südschwedischen Ystads aufwachsen. Ihre Eltern, finnische GastarbeiterInnen, die sich eine goldenere Zukunft im Nachbarland erhofften, sehen ihre Träume gescheitert und ertränken Sorgen und Geldprobleme im Alkohol. Das Leben der unter diesen Umständen aufwachsenden Teenies gleicht einem Karussell aus uneingelösten Versprechen, falsch gesetzten Hoffnungen, Dreck und Gewalt. Bis sich schließlich jede für ihren eigenen Weg entscheidet, die Verantwortung von nun an nur noch für sich selbst übernimmt und die Weichen für eine geordnetere Welt stellt.
Mit einer eindrucksvoll-klaren und nichts beschönigenden Sprache setzt Susanna Alakoski Themen in Szene, die allzu oft hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. Mit ihrem Mut, diese literarisch umzusetzen, erregt sie europaweit Aufmerksamkeit und bringt schließlich auch gesellschaftliche Institutionen dazu, die Augen zu öffnen und umfassende Hilfsprogramme zu entwickeln.
AVIVA-Berlin sprach mit ihr über die Reaktionen zum Buch, die eigene Geschichte und die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Pernilla August.
AVIVA-Berlin: Sie sind seit fast zwei Wochen auf Lesereise, Berlin ist Ihre letzte Station, bevor Sie zurück nach Schweden fahren. Wie war die Atmosphäre während der Lesungen und wie ist die Reaktion der deutschen LeserInnen im Gegensatz zu den Schwedischen?
Susanna Alakoski: Die Tournee war fantastisch und ich finde, dass das deutsche Publikum ebenso engagiert war wie in Schweden, denn die Fragen, die mein Buch aufgreift, sind schließlich allgemein menschlich. Es gibt so viele, die bereits Erfahrungen mit Missbrauch in ihrem Leben oder in dem von Bekannten gemacht haben oder mit dem Gefühl der Ausgeschlossenheit umgehen mussten, einfach deswegen, weil sie mit einer Art Funktionsunfähigkeit in näherer Umgebung aufgewachsen sind.
AVIVA-Berlin: Im Alter von vier Jahren sind Sie mit Ihren Eltern in den 1960ern nach Südschweden gezogen. Obwohl Sie betonen, dass Ihr Roman keineswegs autobiografisch ist, möchte ich fragen, ob Sie das Milieu der 1960er/1970er kennen, in dem die Hauptcharaktere Ihres Buches aufwachsen?
Susanna Alakoski: Ich habe sowohl das Umfeld, das ich beschreibe als junger Mensch erlebt, als auch mich als Erwachsene dafür interessiert. Das, was ich erzähle, sind von Anfang an meine persönlichen Erfahrungen gewesen, aber mit den Jahren haben sich diese zu wirklichen, künstlerischen Interessen entwickelt. Dadurch habe ich angefangen, mich gesellschaftlich stark zu engagieren und besonders für soziale Fragen zu interessieren.
AVIVA-Berlin: Was war Ihre Motivation, das Buch zu schreiben?
Susanna Alakoski: Mir lag am meisten daran, ein Buch über soziale Ausgrenzung aus der Perspektive eines Kindes schreiben. Ein nuanciertes Bild von moderner Armut, der Alkoholproblematik wieder zu geben und die gegen Frauen gerichtete Gewalt zu schildern und wie dies alles besonders mit Kinderaugen gesehen wird. Auch will ich eine Problematik ans Licht bringen, die die Ethnizität betrifft. Wie es ist, mit einer doppelten Identität (finnisch-schwedisch) zu leben, die einem vielleicht nicht angesehen wird, aber sehr wohl spürbar ist.
AVIVA-Berlin: "Bessere Zeiten" wurde 2006 mit dem renommiertesten Literaturpreis, dem Augustpreis, ausgezeichnet, es wurde für ein Theaterstück des Rikstheatern in Stockholm umgeschrieben und der Film von Pernilla August mit Ihrem Buch als Vorlage erschien letzte Woche in den deutschen Kinos. Es scheint, Sie haben genau die richtigen Worte zur richtigen Zeit gefunden, um die Themen, die für lange Zeit in Schweden verschwiegen wurden, an die Oberfläche zu bringen. Wie fühlt sich das an, gibt es auch politische Reaktionen, zum Beispiel seitens der Ämter oder anderer Netzwerke?
Susanna Alakoski: Es gab zahlreiche Reaktionen auf das Buch und ich habe darüber jahrelang in vielen Bibliotheken des Landes, von Nord nach Süd, gesprochen. Ich wurde eingeladen, sowohl im Schwedischen Reichstag, als auch vor SozialarbeiterInnen, Schulen und viele anderen Foren zu sprechen. Das scheint nie ein Ende zu nehmen, denn das Buch hat viele wichtige Fragestellungen angestoßen und wird heutzutage vielfach verwendet. Sowohl wird es als Kursliteratur in gesellschaftlichen-orientierten Hochschulen, als auch von Jugendlichen in der Schule gelesen und von LehrerInnen, SozialarbeiterInnen, PolizistInnen, ÄrztInnen und PsychologInnen angewandt. Ich denke, dass das Buch hilft, schwierige Dinge anzusprechen und wenn das geschieht, wird es auch möglich, diese öffentlich zu diskutieren.
AVIVA-Berlin: Die Hauptcharaktere aus Ihrem zweiten Buch "Håpas du trifs bra i fengelset" (dt. "Ich hoffe, Dir geht es gut im Gefängnis") stammen ebenfalls aus dem finnischen GastarbeiterInnenmilieu in Ystad. Inwiefern beeinflusst Ihre eigene Geschichte beziehungsweise das Schicksal Ihrer Eltern die Wahl der Charaktere?
Susanna Alakoski: Das worüber ich schreibe, habe ich durchaus selbst erfahren. Ich habe Gewalt und Missbrauch im unmittelbaren Umfeld gesehen und bin in Schweden unter ärmlichen Bedingungen aufgewachsen. Dennoch kann ich selten sagen, was ich schreibe, wenn ich schreibe. Aber ich weiß immer, was mich bewegt. Wenn ich in der Bibliothek bin oder in Schreibkursen vorlese, spreche ich oft vom Unterschied zwischen Roman, Selbstbiografie und Dokumentarroman. Die dokumentarische Schreibweise erhebt Anspruch an die Wahrheit, also an die Zeitchronologie, im Gegensatz zur Belletristik. Und ich habe keinerlei solche Ansprüche. Das hingegen, worauf ich mich stütze, sind meine Erfahrungen und darauf kommt es mir an. Deshalb verwende ich diese, wenn ich schreibe.
AVIVA-Berlin: "Bessere Zeiten" wird während der Lesereise zusammen mit dem Regiedebüt Pernilla Augusts präsentiert. Struktur und Tempus der Geschichte im Film ist ein wenig unterschiedlich. Wie viel Freiraum haben Sie der Regisseurin gegeben, ihre Version der Geschichte zu erzählen?
Susanna Alakoski: Ich hatte die Möglichkeit, am Filmprozess teilzunehmen, habe aber dankend abgelehnt. Zum Teil hatte ich keine Zeit, zum Teil wollte ich "Bessere Zeiten" bewusst neuen Projekten überlassen. Ich hege ein großes Vertrauen in den künstlerischen Blick und das Verständnis anderer Menschen. Auch war ich sehr neugierig, wie die Erzählung meines Buches ausgelegt werden könnte und wohin sie sich entwickeln kann. So war es sehr spannend, die Geschichte in andere Hände zu geben. Als Pernilla August sich als Regisseurin des Films anmeldete, jubelte ich innerlich - yes! Und sie hat alle Freiheiten bekommen, außer zwei Bedingungen, die ich stellte: so sollten die Hauptrollen von finnischen SchauspielerInnen besetzt werden, um die Identität und das "Finnisch-Sein" aus dem Roman zu unterstreichen, und unbedingt aus der Kindheitsperspektive erzählt werden. Das ist ihr auch gut gelungen, denke ich, denn Pernilla war auf der selben Seite wie ich, hat mich stets verstanden, sodass keinerlei Befürchtungen aufkamen.
AVIVA-Berlin: Im Roman endet die Geschichte, mit Leena als Teenagerin, die noch zu Hause lebt. Wie gefällt Ihnen die Idee von Pernilla August, einen älteren Charakter zu kreieren, der rückblickend auf die Kindheit schaut und den ZuschauerInnen so die Schwierigkeiten aufzeigt, die Gegenwart mit dem Vergangenen zu kombinieren?
Susanna Alakoski: Bestenfalls passiert genau das, was mit diesem Projekt geschah: eine gelungene Transformation des Romans mit filmischen Mitteln. Das Filmteam hat sich treu an die Vorlage gehalten, aber eben auch eine eigenständige und freistehende Erzählung geschaffen, in der Leena als Erwachsene auftritt. Im Film wird sie gezwungen, auf ihr Leben zurückzuschauen und indem sie das tut, rückt die Kindheitsperspektive in den Vordergrund, was ja eine meiner Bedingungen war. Das bewirkt, dass ich mein Buch stark im Film wiederfinde, obwohl dieser nicht alles behandelt. Das Buch erzählt von drei jungen Mädchen, die es auf unterschiedliche Art und Weise alle schwer haben, der Film konzentriert sich auf Leena.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!
Weitere Infos unter:
www.susannaalakoski.se
Zum Buch: www.editionfuenf.de
Zum Film: www.besserezeiten-derfilm.de
Bessere Zeiten
Susanna Alakoski
Band 6 der edition fünf
Aus dem Schwedischen von Sabine Neumann
Dt. Erstausgabe, 304 Seiten
Leinenband mit Banderole und Lesebändchen
Euro 19,90
ISBN 978-3-942374-10-1