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Beitrag vom 29.12.2007
Interview mit Sylke Enders zum Filmstart von Mondkalb
Anna Tremper
Die Regisseurin und Drehbuchautorin, die vor vier Jahren mit ihrem Debut "Kroko" über Nacht zum KritikerInnenliebling avancierte und dafür den Bundesfilmpreis in Silber erhielt, stellt ihren...
...neuesten Film "Mondkalb" vor, der ab dem 31. Januar 2008 in den Kinos zu sehen sein wird.
AVIVA-Berlin sprach mit Sylke Enders über Mondkälber, Betriebsblindheit im Business, dem Unterschied zwischen professionellen und LaiendarstellerInnen und zu guter Letzt über Tarnkappen und Armeeklamotten...
AVIVA-Berlin: Sie schreiben die Drehbücher zu Ihren Filmen selbst. Wie gehen Sie dabei vor? Haben Sie zunächst Personen bzw. Figuren im Kopf, oder ist zuerst die Geschichte da?
Sylke Enders: Nein, meistens sind das die Personen. Sicherlich gibt es einen Katalysator, wie beispielsweise eine Geschichte, die jemand erzählt hat, oder Dinge, die mir selbst passiert sind. Daraus entsteht schnell eine Figur im Kopf. Ohne die ginge es nicht, weil ich ja keine Themenfilme mache. Ich sehe mich jedenfalls nicht dort angesiedelt. Es passiert einfach, es kommt zu mir, es drängt sich mir beim Schreiben auf, und manchmal kann man gar nicht so richtig dafür gerade stehen, weil es etwas Magisches hat. Es ist eher so, dass es im Diskurs mit den beteiligten Personen entsteht, nämlich den Redakteuren und jetzt auch vielfach mehr mit Produzenten. Das ist dann sehr spannend, denn man wird plötzlich gewahr, was man geschrieben hat, und muss sich dafür erklären. Das fällt mir unwahrscheinlich schwer, und ich mache es gar nicht gerne. Das muss ich ehrlich sagen. Ich muss vielleicht auch einräumen, dass ich ja wirklich nur einen Ausschnitt bediene. Das ist ja auch wichtig, und steht nicht für die Allgemeinheit, aber ich hoffe, dass das, was ich selbst mitunter beim Schreiben fühle, später auch inszenieren kann. Aber dafür gibt es keine Gewissheit. Manchmal herrscht Sprachlosigkeit, wenn ich das alles erklären soll.
AVIVA-Berlin: Glauben Sie, dass es Ihnen bei diesem Film gelungen ist, Ihr Vorhaben zu inszenieren bzw. umzusetzen, oder gibt es da Zweifel?
Sylke Enders: Wissen Sie was, da sag´ ich Ihnen mal Folgendes: Die Zensurverteilung überlasse ich anderen. Wirklich! Wenn mich jemand fragt, dann sage ich meistens nichts. Was heißt das? Ich bin betriebsblind, ich schalte ab. Aber ich weiß, ob ein Film polarisiert oder nicht. Ich weiß ganz genau, dass die Menschen mit ihren ureigensten Erfahrungen diesen Film sehen und sich gestatten, mitzugehen oder nicht. Es ist ja kein Stoff, der sich in kommerzieller Hinsicht irgendwie verwerten lässt. Das ist zuvor bereits klar, wenn man eine Figur zeichnet, die sich dem Leben, der Liebe verweigern will. Es ist etwas, über das nur wenige Autoren schreiben, und es ist ein Wagnis, denn es klingt nicht nach Humor. Aber darüber darf ich gar nicht nachdenken.
AVIVA-Berlin: Für Ihren Film "Kroko" haben Sie hauptsächlich mit LaiendarstellerInnen gearbeitet, für "Mondkalb" nun mit einer erfahrenen Schauspielerin, wie Juliane Köhler. Welche Zusammenarbeit liegt Ihnen mehr, und welche Vor- oder Nachteile sehen Sie jeweils?
Sylke Enders: Machen wir uns nichts vor, denn ob großartige Schauspieler wirklich auch Erfahrung brauchen oder haben, sei dahin gestellt. Das kann gar nicht genau katalogisieren, aber natürlich ist es bei diesem Stoff wichtig, zwei solcher Akteure zu haben. Das ist super und einfach! Da muss man nicht von vorne anfangen, und Leute wie Axel und Juliane bringen schon viel mit. Die sind so was von uneitel und verwenden ihren ganzen Erfahrungshaushalt. Diese Uneitelkeit ist das Tolle, weil sie gleichzeitig auch eine Unsicherheit enthält, die erlaubt ist, um auch das Unsichere in den Figuren spüren lassen zu können. Man setzt es bewusst ein.
Laien würde ich nicht über einen Kamm scheren wollen, denn für mich sind es einerseits die Schauspieler, die mich ansprechen, andererseits die Laien. Es gibt natürlich auch schlechte Laien, aber es gibt auch besondere Fälle, die unheimlich begabt sind, weil sie nicht hörig sind. Axel und Juliane haben eben nicht dieses Bild "der Regisseur" im Kopf, sondern man muss ihnen schon mit etwas anderem kommen. Das meine ich auch mit gleicher Augenhöhe: dass es möglich ist, so zusammenzuarbeiten, und dass alle das gleiche Gefühl haben, an einer Sache beteiligt zu sein und einander Respekt zu zollen. Darüber kann man natürlich die Dinge auch immer wieder neu hinterfragen, und das soll jedem möglich sein - auch dem Laien. Der darf nicht vor lauter Respekt oder Angst vor mir seine Meinung nicht kundtun. Um Gottes Willen, er soll sie kundtun! Ich glaube, da entsteht - das war zumindest bisher die Erfahrung - definitiv immer etwas zu Gunsten des Films! Alles an Gefühlslagen, an Befindlichkeiten oder auch mal an Wut muss man zulassen. Es ist nicht gut, wenn man das nicht tut und glaubt man muss Professionalität walten lassen – was auch immer das dann sein soll.
AVIVA-Berlin: Von Hierarchien am Set halten Sie demnach auch nicht viel?
Sylke Enders: Genau! Ich sage immer Folgendes: Ich weiß, dass ich dort wichtig bin, das muss ich nicht noch dreifach herausstellen. Allen ist sonnenklar, dass da ohne mich nichts läuft, und die anderen wissen das doch genauso. Da sind mir doch die lieb, die sich eben handwerklich wirklich auf einem Level befinden, und die den gesamten Quark von Stargelüsten zu Hause lassen. Den brauchen wir nicht, und das weiß ich natürlich schon vorher, wenn ich sie besetze. Ich spüre das, sonst hätte ich das nicht machen können.
AVIVA-Berlin: "Mondkalb" spielt in einem sehr idyllischen Nest im Osten. Gibt es einen speziellen Grund dafür, dass der Film dort verortet ist, oder war das eher zufällig?
Sylke Enders: Ja, das hat vielleicht was mit meiner Sozialisation zu tun. Das ist fast eine Fangfrage, weil das ja hieße, ich hätte es ganz bewusst so entschieden, aber das stimmt nicht. Das liegt vielleicht einfach daran, weil ich diesen Ingenieur kenne. Dieser Mensch lebt in der Prignitz (gemeint ist Piet, die Rolle von Axel Prahl). Er ist in meinem Alter und interessiert sich für Fledermäuse. Außerdem kenne ich diesen schwulen Mirko, so sind das also richtige Personen, von denen ich mir Attribute geklaut habe. Ich finde es verrückt, dass diese Kleinstädte und Dörfer solche Leute hervorbringen und nicht nur diese Klischees von ungebildeten Prolls, die durch die Gegend laufen. Sicherlich tragen manche Tarnkappen und Armeeklamotten, und man würde sofort denken, was das denn für ein Verrückter ist. Dann erfährt man aber, dass der Vogelrecherchen macht und deswegen diese Tarnklamotten trägt. Solche Sachen übernehme ich, weil ich es wahrscheinlich von dort kenne, es mein zu Hause ist, und weil ich in der unberührten Natur aufgewachsen bin. So ist es also der Osten geworden.
AVIVA-Berlin: Sie bringen demnach immer viel Autobiographisches mit in den Film hinein, beziehungsweise das, was Sie so aufschnappen?
Sylke Enders: Ja, was ich so aufschnappe und vielleicht viel mehr. Ich denke, dass alles was darunter liegt, natürlich auch mich ausmacht. Das ist dieses "sich selbst ansehen", sonst würde man, wenn man nicht an solche Punkte gekommen ist, gar nicht schreiben können. Aber vielleicht zwanzig Jahre früher als andere, denn bereits damals hat man so geschrieben. Ich habe mir vielleicht schon früher Fragen gestellt, mit denen ich nicht klar kam, weil sie so widersprüchliche Antworten boten. Das sieht ja nicht jeder so, andere haben mehr Filter. Ich glaube, man ergreift nicht ohne Grund einen Job. Ich hätte schon etwas anderes machen können, insofern greift natürlich auch das Autobiographische.
AVIVA-Berlin: Danke für das Interview und viel Erfolg für Ihren Film!
Lesen Sie auch unsere Filmrezension zu "Mondkalb" von Sylke Enders und unser Interview mit der Hauptdarstellerin Juliane Köhler.