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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 02.04.2012


Interview mit Modjgan Hashemian
Annika Hüttmann

AVIVA-Berlin traf die Tänzerin und Choreografin am Ballhaus in der Naunystraße, wo im April gleich zwei ihrer Stücke gezeigt wurden, und sprach mit ihr über Iran und die Leidenschaft zum Tanz.




Die Revolution in Iran 1979 erlebte die 1975 geborene Tänzerin und Choreografin Modjgan Hashemian als kleines Kind. Mitte der 80er Jahre zog ihre Familie von Teheran nach Deutschland, wo ihr Vater zuvor studiert hatte. Sie absolviert in Berlin ihre Ausbildung als Choreografin an der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst. Ihre persischen Wurzeln fließen oft in ihre Arbeit hinein, vor allem ihre letzten drei Produktionen beschäftigen sich intensiv mit dem Iran:

MOVE IN PATTERNS erzählt von Schicksalen iranischer Frauen 1979. Anhand von Kindheitserinnerungen zeigt Hashemian die ersten Tage der Islamischen Revolution in Teheran, die Einschränkungen und den Kampf der Frauen.

DON´T MOVE setzt sich mit dem Tanzverbot auseinander, das seit 1979 in Iran herrscht. Welche Konsequenzen hat das für das Leben und die Bewegungen der Personen, die trotzdem tanzen? Was werden für Strategien entwickelt um sich über das Verbot hinweg zu setzen? Die Choreografin Modjgan Hashemian nähert sich diesen Fragen, indem sie eine Verbindung zwischen TänzerInnen aus Teheran und Berlin herstellt.

IN MOTION lässt zwei Perspektiven auf Teheran aufeinandertreffen: Der junger Tänzer Kaveh flieht aufgrund des Tanzverbotes nach Berlin, wo er sowohl Freiheit als auch Unsicherheit verspürt, Modjgan sieht Teheran als Sehnsuchtsort. Im Tanz begegnen sich die beiden und mit ihnen auch Erinnerungen und Wege in die Zukunft.

AVIVA-Berlin sprach mit ihr über ihr Verhältnis zu Teheran, die dortige Tanzszene und die Bedeutung von Bewegung.

AVIVA-Berlin: Deine letzten drei Produktionen MOVE IN PATTERNS, DON´T MOVE und IN MOTION beschäftigen sich alle mit den Auswirkungen der Revolution im Iran 1979, die beiden letzteren Stücke verstärkt mit dem daraus resultierenden Tanzverbot, das heute dort herrscht. Würdest du die drei Produktionen als eine Trilogie sehen?
Modjgan Hashemian: Es ist eine Trilogie. MOVE IN PATTERNS, der Rückblick in meine Kindheitserinnerungen an Teheran und die Gegenwart 2009, als die grüne Bewegung aktiv wurde, dann die Frage, wie wäre es gewesen, wenn ich im Iran aufgewachsen wäre und den Wunsch gehabt hätte, Tänzerin zu werden. Diese Frage brachte Susanne Vincenz ( Dramaturgin) und mich nach Teheran, wo wir uns auf die Suche nach Tanz/ Bewegung in der Untergrundszene machten. Nach der Recherche zu DON´T MOVE haben wir beschlossen, ein Tanzstück zu entwickeln. Da bei war es uns wichtig, den Austausch zwischen den TänzerInnen aus Teheran und Berlin herzustellen. Wir probten teilweise über Skype/ Videotelefonie. Mittlerweile lebt einer der Tänzer aus DON´T MOVE, der aufgrund seiner Leidenschaft zum Tanz in Iran angeklagt wurde, in Berlin. Ich wollte Kaveh, der bei DON´T MOVE nur als Schatten auftreten konnte live auf der Bühne sehen und unsere Geschichten zeigen, so ist IN MOTION entstanden. Es gibt Parallelen, es gibt aber auch viele Gegensätze. Vor einem Jahr als Kaveh in Berlin angekommen ist, hat er davon geschwärmt, wie gut es tut hier zu sein und ich saß daneben, hab geheult und wollte nach Teheran.
DON´T MOVE ist für meine KollegenInnen in Iran und mich nicht nur das Tanzstück sondern alles drum herum. Ich glaube nicht, dass es hier endet.
Meine Hoffnung besteht darin, dass sich auch in Iran politisch etwas bewegt, allerdings nicht durch einen Krieg! Somit könnte es passieren, dass aus der Trilogie mehr wird. Wir planen außerdem einen Dokumentarfilm über meine Arbeit zu drehen.

AVIVA-Berlin: Würdest du sagen, dass es für dich viel verändert hat, dich mit diesem Thema so lange zu beschäftigen? Gibt es Unterschiede zwischen den Stücken, die zeigen, dass du dich in das Thema vertieft hast?
Modjgan Hashemian: Es ist kein Thema, mit dem ich mich befasse, weil es mich interessiert, ich lebe diese Ereignisse. Dadurch ist es für mich keine theoretisch konstruierte Geschichte, da es unmittelbar an mir dran hängt. Außerdem hat sich meine Perspektive künstlerisch verändert, da ich sowohl in DON´T MOVE als auch in der neuen Produktion IN MOTION als Tänzerin involviert bin.

AVIVA-Berlin: Wie kam es, dass du selber in deinen letzten beiden Produktionen tanzt?
Modjgan Hashemian: Dadurch, dass die Thematik so nah an mir dran ist, hab ich das Bedürfnis gehabt, selbst als Tänzerin einzusteigen und dem, was sich so in mir an Wut und Trauer, aber auch Freude ansammelt hat, Raum zu geben - es über meinen eigenen Körper auszudrücken.

AVIVA-Berlin: DON´T MOVE ist in direkter Zusammenarbeit mit TänzerInnen im Iran entstanden und in deiner neuen Produktion IN MOTION treffen, wie du gerade erwähnt hast, zwei Perspektiven auf den Iran und Teheran aufeinander. Ist es wichtig für dich, dass du diese unterschiedlichen Perspektiven vereinst, das heißt, die direkt Betroffener und dann durch dich eine etwas distanziertere?
Modjgan Hashemian: Bei IN MOTION werden zwei verschiedene Biografien dargestellt, die jedoch viele Parallelen zeigen. Um diese darzustellen nutze ich die künstlerische Auseinandersetzung, die uns die Möglichkeit gibt, das auszudrücken, was wir leben. Die verschiedenen Perspektiven sind in unseren Bewegungen ersichtlich. Der Körper erinnert sich an den Schmerz, Wut, Trauer, aber auch an sinnliche Momente, die Sehnsucht nach dem was einem vertraut ist. Die Dinge, die uns bekräftigen, weiter für die Freiheit zu kämpfen, denn sie sind vorhanden, nur leider unter einer dicken Rauchwolke.

AVIVA-Berlin: Inwieweit würdest du deine Arbeiten als Kritik an bestehenden Verhältnissen sehen?
Modjgan Hashemian: Ich sage immer, ich bin keine politische Aktivistin. Aber ich drücke durch meine Arbeit natürlich das aus, was wir fühlen und das ist durchaus sehr politisch, das kann man für mich nicht voneinander trennen. Kunst oder das was ich mache und was ich aussagen will und fühle, das trenne ich nicht voneinander und sage: Das ist jetzt Kunst und das ist Politik. Das ist für mich eins und miteinander verbunden. Von daher, das, was politisch passiert und uns natürlich auch irgendwie in eine bestimmte Richtung bringt, das drücke ich auch im Tanz aus.

AVIVA-Berlin: Wenn Tanzen etwas Verbotenes ist, dann bekommen die Menschen, die sich über dieses Verbot hinweg setzen, zwangsläufig ein anderes Verhältnis dazu als Menschen, die diese Leidenschaft einfach ausleben können. Würdest du sagen, dass das Tanzen dann sogar eine größere Bedeutung bekommt, wenn mensch es nur heimlich oder unter großen Schwierigkeiten machen kann? Wie groß sind die Unterschiede zwischen TänzerInnen im Iran und TänzerInnen in Deutschland?
Modjgan Hashemian: Dies ist zwar ein Klischee, dass alles was verboten ist, noch heißer wird, aber tatsächlich gibt es eine andere Art sich zu bewegen, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass es in Iran keine Tanzausbildung gibt. Die KollegenInnen arbeiten nach dem learning by doing Prinzip und entwickeln damit eine eigene Art sich zu bewegen - was sehr spannend ist. Die Kraft hinter dem, was sie ausdrücken, ist eine andere, was sich deutlich zu dem der TänzerInnen hier unterscheidet. Für mich ist die Bewegung/Tanz verwurzelt und geprägt mit der Kultur der einzelnen TänzerInnen. Die Übersättigung hier ist bestimmt einer der Gründe, weshalb die Leidenschaft zum Tanzen verbleicht, was aber nicht nur im Tanz der Fall ist.

AVIVA-Berlin: Was bedeutet Tanzen für dich? Was würdest du machen, wenn du auf einmal nicht mehr tanzen dürftest?
Modjgan Hashemian: Es ist mein Leben, zu tanzen. Ich würde auf jeden Fall weiter machen. Das ist auch der Impuls oder das was mir die Kraft gibt, meinen Kollegen im Iran zu helfen die Hoffnung nicht zu verlieren, den Mut nicht zu verlieren und den Tanz als Ventil zu nutzen.

AVIVA-Berlin: Wie fühlst du dich, wenn du in den Iran und speziell nach Teheran reist? Hat deine Arbeit dein Verhältnis zu der Stadt verändert?
Modjgan Hashemian: Wenn ich im Sommer hier in Berlin am Kotti stehe und die Augen schließe rieche und höre ich Teheran - das tut gut.
Wenn ich in Teheran lande, kribbelt es in meinem Bauch, als wäre ich verliebt. Das ist sowohl die Aufregung, denn man weiß nie was passiert, als auch die Freude wieder da zu sein. Das Verhältnis zu Iran ist wie eine Hassliebe. Auf der einen Seite könnte ich platzen vor Wut, wenn ich zu Behörden gehe oder einfach durch die Straßen laufe und sehe, unter welchen Umständen meine Landsleute leben müssen, auf der anderen Seite genieße ich die Energie und Höflichkeit. Es gibt in diesem wunderschönen Land soviel zu entdecken, was meinen Augen keine Ruhe gibt, wenn ich dort bin. Teheran ist in stetiger Bewegung - eine Stadt in einem Land, in der die Bewegung verboten wird - schon paradox.

AVIVA-Berlin: Was würdest du sagen ist für dich das Wichtigste an deiner Arbeit?
Modjgan Hashemian: Das Wichtigste an meiner Arbeit ist, dass ich dem, was ich spüre, treu bleibe und mich immer aktiv halte, in dem ich mich mit Dingen auseinander setze, die mich bewegen. Hoffentlich irgendwann mit einer eigenen Tanz Company.

AVIVA-Berlin: Viel Erfolg mit den Stücken und vielen Dank für das Interview!
Modjgan Hashemian: Danke, gerne!

Weitere Infos unter: www.ballhausnaunystrasse.de

Modjgan Hashemian online:
www.hashemian.biz


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Beitrag vom 02.04.2012

Annika Hüttmann