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Beitrag vom 20.09.2012
Rainhas do Norte - brasilianische Trommelmusik, ohne Samba und Federbikini
Katarina Wagner
Sieben Frauen haben sich in Berlin zusammen getan, um die Musik des Nordosten Brasiliens zu spielen. Mit melodischem Gesang und Percussion treten sie abwechslungsreich und tanzbar für weibliche...
... Selbstbestimmung ein. Im AVIVA-Gespräch erklären sie, was an ihnen besonders ist und fragen, warum reine Männerformationen eigentlich nie erklären müssen, warum sie keine weiblichen Mitglieder haben.
Rainhas do Norte heißt übersetzt Königinnen des Nordens. Rainhas, die nicht über andere, sondern über sich selbst bestimmen do Norte, weil sie die Musik des Nordosten Brasiliens spielen. Aus Liebe zu dieser Musik und, um zu zeigen, dass das südamerikanische Land noch andere Rhythmen zu bieten hat, entschieden sie sich bewusst, keinen Samba zu spielen. In ihren Songs dominieren mal die Percussion-Instrumente in lauten, mitreißenden Rhythmiken, oder sie untermalen zurückhaltend den klaren Gesang, der die HörerInnen manchmal fast schon melancholisch einhüllt und dann wieder zum Feiern animiert.
Die fünf Brasilianerinnen und zwei Deutsche nehmen dabei alles selbst in die Hand. Von schweren Trommeln über Shaker, bis Mikrofon und von Komposition, über Aufnahme und Produktion bis zur grafischen Gestaltung des Booklets. Ihr großer Traum ist es, mit ihrer Musik nach Brasilien zu reisen. Über CDs und das Internet ist sie schon dorthin gelangt und hat ihnen einige Fans eingebracht. Bis es soweit ist und sie in ihrer (musikalischen) Heimat Konzerte spielen können, erfreuen sie das Publikum in Deutschland mit ihrer Musik.
Jeden Montag treffen sie sich in Tempelhof zur Probe. Dort bin ich mit fünf von ihnen, Christine, Emilia, Karin, Marie und Renata, zum Interview verabredet. Schon von draußen höre ich Trommeln aus dem Gebäude. Als ich den Proberaum betrete, besprechen die Rainhas gerade die letzten Details für das Konzert am Freitag. Es wird viel durcheinander geredet und gelacht.
So geht das auch im Gespräch mit mir weiter. Ich merke, dass sie schon so vertraut miteinander sind, dass sie sich auch mal offen widersprechen und dann schnell wieder versöhnen können.
Renata beschreibt das so: Wir fallen uns ständig ins Wort, aber keine wird richtig sauer - höchstens kurzzeitig. Eine sagt was, die andere lacht darüber, dann lachen wir alle zusammen. Wir nehmen uns ernst mit Humor.
Angefangen hat alles im Jahr 2002, als die Percussionistin Neide Alves aus Recife, Brasilien, nach Berlin kam, Workshops gab und einige Bekannte zusammentrommelte, um eine Band zu gründen. Sie spielten Maracatu. Ein Stil der auf Elementen der traditionellen afrikanischen Musik basiert. Das auffälligste Merkmal sind wohl die mit großen, tiefen Holztrommeln, die Alfaias. Bis aus dieser Gruppe die Rainhas von heute wurde, dauerte es noch eine Weile – die rein weibliche Besetzung hat sich jedoch schon zu Beginn durchgesetzt.
Emilia: "Vor allem Anfang wurden wir noch oft gefragt, warum wir eine reine Frauengruppe sind. Das ist eine Frage, die Männern nie gestellt wird. Mittlerweile ist es aber normaler geworden, es gibt immer mehr Frauen, die Musik machen."
Nach und nach haben die Musikerinnen begonnen, eigene Stücke zu komponieren und sich vom Dasein als Coverband getrennt.
Als vor etwa fünf Jahren dann die `Chefin` Neide ein Kind bekam und ausstieg, beschlossen die Königinnen, keine neue Bandleaderin zu wählen, sondern die Aufgaben und Songs nach persönlichen Stärken zu verteilen.
Damit und mit ihrer Musik, die melodischen Gesang zu den Trommeln hinzufügt, lösten sie sich von der klassischen Samba- und Trommelszene. Dort dominieren nämlich Sambaschulen, bei denen ein Lehrer oder eine Lehrerin die SchülerInnen musikalisch anführt.
Auch Karin spielte vor ihrer Zeit bei den Rainhas Samba und war noch eine dirigirende Figur gewohnt:
"Das ist der große Unterschied. Ich dachte, hier kann man kreativ sein. Am Anfang hat es mich noch ein bisschen enttäuscht, weil Neide die Regie übernommen hat und es auch viele Streitigkeiten gab. Die gibt es heute immer noch, aber wir sind in eine lange, gute Phase gekommen, in der wir kreativ unsere eigenen Lieder gestaltet haben, die alle auf der CD zu hören sind."
Emilia: "Ein weiterer Unterschied ist, dass all unsere Stücke arrangiert sind. Bei anderen Gruppen entsteht die Musik eher spontan. Trotzdem sind wir beliebt in der Szene, weil wir unsere eigene Arbeit haben."
Renata: "Weil wir grooven!"
Marie: "Und wir haben Songs. Mit Struktur, mit Anfang, mit Ende, mit Refrain…"
Emilia: "Mit Texten und Gesang."
Marie: "Eigentlich sind es Popsongs, nur ohne Gitarre und Bass."
Ihre Lieder entstehen ganz unterschiedlich. Mal schreibt Emilia zuerst den Text und Renata kreiert die Melodie dazu oder andersherum. Zusammen in der Gruppe entstehen dann die Arrangements, wobei Marie wiederum die Expertin ist.
Die fertige Musik kommt bei Konzerten sehr gut an. Natürlich gab es auch mal Auftritte, bei denen sie einfach mit der falschen Musik am falschen Ort waren, überwiegend können sie ihr Publikum aber begeistern. Auch wenn dieses es manchmal nicht so deutlich zeigt:
Marie: "Wir spielten einmal bei einem Stadtfest in einem kleinen Kaff. Vor der Bühne standen direkt die Bierbänke, mit lauter Opas und Omas, die ihren Kaffee tranken. Wir gaben alles auf dem Konzert und die klatschen nur sehr verhalten, sie haben wahrscheinlich nichts verstanden. Wir dachten, wir passen hier überhaupt nicht hin, die mögen uns gar nicht und klatschen nur, weil sie nett sind… und dann am Ende gab es eine Schlange, um die CDs zu kaufen, manche wollten Autogramme!"
Karin: "Auf der CD waren nur drei Stücke!"
Emilia: "Wir entsprechen nicht dem Klischee: Männer die trommeln und Frauen im Bikini. Manchmal wissen die Leute nicht viel damit anzufangen, aber eigentlich gibt es immer viele Leute, die zu unserer Musik tanzen."
Bei ihren Konzerten wollen die sieben Frauen vor allem mit ihrer Musik und durch ihre Ausstrahlung überzeugen. Das gelingt ihnen auch: Auf der Party zum Record-Release ihres ersten Longplayers spielten sie dieses Jahr wieder vor einem bis in die letzten Ecken gefüllten Haus.
Christine: "Für mich war es auch immer eine Motivation, ein Vorbild für andere zu sein. Dass man auch mit fast fünfzig noch auf der Bühne stehen kann und was hergibt. Viele Leute finden uns ja auch gut, gerade weil wir nicht so glatt gebügelt und sehr unterschiedlich sind."
Auch in ihren Texten feiern sie die Diversität, sich selbst und plädieren für Selbstbewusstsein und weibliche Souveränität.
Marie: "Ich identifiziere mich sehr mit unseren Texten. Das sind wirklich sehr weibliche Texte, finde ich. Es erinnert mich an Clarice Lispector. Eine brasilianische Schriftstellerin, ukrainischer Abstammung, die sehr intime Bücher geschrieben hat. Echte Reisen in sich selbst. Genauso klingen viele Stücke der Rainhas für mich. Es ist eine Frauenstimme, die spricht."
Die Songautorin Emilia fügt hinzu, dass es sich dabei nicht um eine Frau in der Opferrolle handelt, sondern um ein aktives weibliches Ich.
"Ich schreibe die Texte so, wie ich Gedichte schreibe, wobei ich mehr auf Rhytmus und Musikalität achte. Worüber ich schreibe entsteht aus Gesprächen mit der Band und insbesondere mit Renata, die die meisten Stücken komponiert hat. Was heraus kommt wird durch meine feministische Seite und meine Liebe zur Poesie geprägt. Der Titelsong der CD, "Cada Uma" ist der feministischste von allen und besagt, dass jede Frau eine Einzelne Frau ist und keine von uns soll und will in Schubladen gesteckt werden."
Renata fasst zusammen: die Rainhas sind immer dabei, alles zu hinterfragen:
"Unsere `Stellung` als Frauenband, unser Platz in der Percussion-Szene, oder Musikszene, oder Pop-Musik, die Weiblichkeit unsere Texte, oder auch nicht. Wir sind fast nie einverstanden und verstehen uns doch gut. Und machen zusammen harmonische Musik - ohne harmonischen Instrumente! Eine Welt voller Paradoxe. Ist das die weibliche Welt? Oder einfach die menschliche?"
Von all ihren Songs lautet ihre Lieblingszeile: "Minha atual atividade, desafiar tua comodidade"
Übersetzt etwa: "Meine aktuelle Beschäftigung ist es, deine Bequemlichkeit herauszufordern."
So verpacken sie (hier in dem Song mundial) Kritik an Herrschaftsverhältnissen in Poesie und Musik und versuchen dem `Rest der Welt` außerhalb des weißen, androzentrischen Machtmonopols eine Stimme zu geben.
AVIVA-Tipp: Die Frauenpower der Rainhas do Norte überträgt sich auch ohne Portugiesischkenntnisse. Selbstsicher demonstrieren sie, dass Percussion und Stimmen genug sind, um ihr Publikum zum Tanzen zu bringen und gleichzeitig in harmonische Melodien zu hüllen. Und das alles ganz ohne Samba oder "Nossa".
Rainhas do Norte:
Christine Nußbaum: Alfaia , Xequerê , Snare, Zabumba, Caxixi, Triangel
Emilia Mello: Lyrics, Snare, Alfaia, Glocke, Caxixi, Triangel, Woodblock, Oceandrum, Cowbell
Franci Oliveira: Vocals, Alfaia, Tambourim, Shaker, Cowbell, Chinelos
Grace Kelly: Alfaia, Shaker, Chinelos, Krakebs, Woodblock
Karin Zey: Alfaia, Timba, Schellenring, Agogô, Maultrommel
Marie Leão: Vocals, Drum Set, Snare, Shaker, Triangel, Darbuka
Renata da Ribeira: Vocals, Cowbell, Alfaia
CADA UMA
Label: Globalista
Aufgenommen von Rodrigo Sánchez im PAC-Studio
Mixing: Rodrigo Sánchez, Emilia Mello, Marie Leão, Renata da Ribeira.
Master: Hofa-Studio
artwork: Christine Nußbaum und Emilia Mello
Weitere Infos:
www.rainhas.de
www.rainhas.de
www.sambasyndrom.de
© Fotos: Rainhas do Norte