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Beitrag vom 19.11.2013
Scherbenpark - Interview mit Bettina Blümner. Kinostart: 21. November 2013
Julia Lorenz
Die "Prinzessinnenbad"-Regisseurin spricht über ihre Verfilmung von Alina Bronskys Erfolgsroman, den Reiz widersprüchlicher Frauencharaktere und die Kunst, das Leben nicht als Drama zu begreifen.
"Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin die Einzige in diesem Viertel, die noch Träume hat", befindet die siebzehnjährige Sascha (Jasna Fritzi Bauer). Ihr Viertel, das ist eine karge Hochhaussiedlung, scheinbar isoliert vom Rest der Stadt - ein Mikrokosmos für seine BewohnerInnen, deren Weltbild in den meisten Fällen von der Plattenbauküche bis zum Bolzplatz reicht. Zumindest glaubt das Sascha: Für die perspektivlosen Jugendlichen, die im "Scherbenpark" mit Alkohol und Kleinkriminalität dem Eskapismus verfallen sind, kann sie kein Verständnis aufbringen. Sascha, russische Spätaussiedlerin wie die meisten in ihrem Viertel, ist hochbegabt, scheinbar furchtlos - und schwer traumatisiert, seit Stiefvater Vadim ihre Mutter vor ihren Augen getötet hat.
Als in der Lokalpresse ein Interview mit Vadim erscheint, das ihn als geläuterten Sünder darstellt, legt Sascha beim verantwortlichen Redakteur Volker (Ulrich Noethen) Widerspruch ein. Dieser bietet ihr als Entschädigung seine Hilfe an, nicht ahnend, dass sie sein Angebot schneller wahrnimmt als gedacht: Auf der Flucht vor ihrem Alltag quartiert sich Sascha in Volkers Passivhaus ein und konfrontiert nicht nur ihn, sondern auch seinen Sohn Felix (Max Hegewald) mit einer sozialen Realität fernab ihrer bildungsbürgerlichen Comfort-Zone.
In unprätentiösen, bisweilen fast dokumentarischen Bildern erzählt Bettina Blümner die Geschichte einer Grenzgängerin, ohne dabei in Larmoyanz zu verfallen. Die Regisseurin kennt sich aus mit Großstadtprinzessinnen, die die Hofetikette verweigern: Für ihren Dokumentarfilm "Prinzessinnenbad", einer der Überraschungserfolge 2007, begleitete sie drei Kreuzberger Schülerinnen durch ein Jahr (Kiez-)Leben.
Bettina Blümner, geboren 1975 in Düsseldorf, studierte Medienkultur und Gestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar und Szenische Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Während eines Kuba-Austausch an der Escuela Internacional de Cine y TV entstand der Kurzfilm "La vida dulce", der von der Deutschen Film- und Medienbewertung mit dem Prädikat "Besonders Wertvoll" ausgezeichnet wurde. Nach dem Durchbruch mit "Prinzessinnenbad" inszenierte sie unter anderem das Stück "Gina N. - X Wohnungen Neukölln" im Hebbel am Ufer - und legt mit "Scherbenpark" nun eine Literaturverfilmung vor.
AVIVA-Berlin hat mit ihr über ihren neuen Film und alte Erfolge gesprochen.
AVIVA-Berlin: Bettina, für deinen ersten Langfilm "Prinzessinnenbad" wurdest du auf der Berlinale 2007 mit dem "Dialogue en Perspective"-Preis ausgezeichnet. Der Film wird mittlerweile im Schulunterricht gezeigt, die Berliner Zeitung berichtete noch Jahre nach dem Kinoerfolg über den Werdegang der Mädchen. Hat dich die positive Resonanz in deiner Arbeit bestärkt oder hast du manchmal befürchtet, dass dir die eigenen Schuhe zu groß werden?
Bettina Blümner: Nein, das hat mich schon sehr motiviert - was aber nicht heißt, dass mir plötzlich tausend Angebote gemacht wurden. Der Film kam gut an, trotzdem ist im Anschluss erst einmal nicht so viel passiert. Ich habe ja damals mit "Prinzessinnenbad" ganz klein angefangen und hätte nicht gedacht, dass der Film überhaupt zu einer so starken Resonanz führt, das war auf jeden Fall eine tolle Erfahrung.
AVIVA-Berlin: Wie bist du zu "Scherbenpark" gekommen? Oder kam das Buch vielmehr zu dir?
Bettina Blümner: In diesem Fall muss ich revidieren, was ich vorher gesagt habe: "Scherbenpark" wurde mir tatsächlich von einem Kölner Produzenten, Gerhard Schmidt, angeboten. Er meinte, ich solle das Buch mal lesen, das sei ein toller Roman mit einer tollen Hauptfigur und könnte mich interessieren. Ich habe den Roman dann gelesen und fand ihn wirklich super - so kam eins zu anderen.
AVIVA-Berlin: Autorin Alina Bronsky, selbst in Russland geboren, gelang mit "Scherbenpark" 2008 der literarische Durchbruch. Welche Rolle spielte sie im Schaffensprozess?
Bettina Blümner: Alina Bronsky hat am Ende eine Drehbuchfassung gelesen und sich dazu geäußert, aber sonst war sie in den Prozess der Drehbuchentwicklung nicht wirklich involviert. Wir waren da relativ frei, sie hat uns vertraut.
AVIVA-Berlin: Weißt du, ob sie vom Ergebnis eurer Arbeit überzeugt war?
Bettina Blümner: Ja, ich glaube schon! Auf der Premiere in Saarbrücken, beim Max-Ophüls-Festival, meinte sie, dass sie den Film sehr mag. Darüber bin natürlich glücklich: Es muss schon komisch sein, wenn man einen Roman schreibt und ihn dann verfilmt nicht wiedererkennt.
AVIVA-Berlin: Stichwort "wiedererkennen": Wer Literatur fürs Kino inszeniert, verfilmt ja nicht nur eigene Ideen und Assoziationen, sondern auch immer die der LeserInnen. Seid Drehbuchautorin Katharina Kress und du mit dem Vorhaben an die Arbeit gegangen, so nah wie möglich am Buch zu bleiben oder gerade davon zu abstrahieren?
Bettina Blümner: Ich glaube, das geht gar nicht anders bei der Drehbuchentwicklung. Man muss Abstriche machen, straffen und umstellen, schließlich funktioniert ein Film dramaturgisch anders als ein Buch. "Scherbenpark" arbeitet beispielsweise mit vielen Rückblenden, wir haben uns aber dazu entschlossen, diese im Film nicht so stark in den Vordergrund zu rücken und die Handlung stärker ins "Jetzt" zu verlegen. Dafür haben wir versucht, das herauszuarbeiten, was uns am Buch besonders gefallen hat.
AVIVA-Berlin: Nach "Prinzessinnenbad" ist "Scherbenpark" ein weiterer Film, der eine soziale Realität jenseits der "bürgerlichen Mitte" abbildet. Was reizt dich an Milieustudien?
Bettina Blümner: Es geht mir gar nicht darum, Milieustudien zu machen, das ist kein Kriterium. Kriterien sind vielmehr die Menschen, Figuren und die Dialoge in einer Geschichte. Und in diesem Fall fand ich vor allem die Hauptfigur Sascha sehr spannend: Sie hat viele Facetten, ist sensibel und gleichzeitig verletzlich, traumatisiert durch den Tod ihrer Mutter. Ich glaube, solange eine Hauptperson interessant und vielschichtig ist, ist es nicht so wichtig, aus welchem Milieu sie stammt.
AVIVA-Berlin: Trotzdem ist Sascha eine schwierige Protagonistin: Ihren Mitmenschen begegnet sie entweder mit Argwohn, Aggressionen oder - im Falle der anderen Jugendlichen im "Scherbenpark" - mit Arroganz. Ist es dir schwergefallen, Zugang zu dieser wütenden jungen Frau zu finden?
Bettina Blümner: Ich mochte sie trotzdem sofort sehr gern, sie war auch der Grund, warum ich den Film machen wollte. Sie ist ein Mensch, der das Herz auf der Zunge trägt und nur auf den ersten Blick schroff wirkt. Ich inszeniere gern starke Frauenfiguren, und Sascha hat mich sofort gereizt.
AVIVA-Berlin: Sascha wehrt sich dagegen, als "die Russin" gesehen zu werden, tritt männlichen Übergriffen entschlossen entgegen und hat auch sonst wenig Lust, sich auf eine Zukunft als treusorgende Ehefrau zu verlassen, die ihr nahegelegt wird. "Scherbenpark" hinterfragt Klischees und Rollenbilder, doch am Ende sind es immer wieder Männer, die Saschas Geschicke beeinflussen. Wie passt das zusammen?
Bettina Blümner: Es gibt ja verschiedene Männerfiguren im Film, zu denen Sascha sehr unterschiedliche Verhältnisse hat: Am Anfang steht ihr großer Hass auf Männer, weil Stiefvater Vadim ihre Mutter umgebracht hat. Dann entdeckt sie aber auch ihre Neugier dem anderen Geschlecht gegenüber, die sie mit Volkers Sohn Felix auslebt. Im Fall von Volker verguckt sie sich eher in eine Art Vaterfigur. Und dann gibt’s ja noch diesen Jungen aus ihrer Hochhaussiedlung, Peter, der eigentlich am besten zu ihr passen würde...
AVIVA-Berlin: ...den sie aber als Teil der verhassten "Scherbenpark"-Welt ablehnt und verkennt.
Bettina Blümner: Genau, sie verkennt ihn, obwohl er ihr von allen Männerfiguren im Grunde am ähnlichsten ist. Ich glaube, dass Sascha im Verlauf der Geschichte lernt, ihren Hass auf die Männerwelt zu überwinden. Sie muss versuchen, mit der Trauer und Wut über den Tod ihrer Mutter umzugehen und erkennen, dass nicht alle Männer wie Vadim sind.
AVIVA-Berlin: Begreifst du es also in Saschas Fall als positiven, emanzipatorischen Prozess, dass sie lernt, nicht alles allein bewerkstelligen zu können?
Bettina Blümner: Ich glaube, sie ist eine starke Frau ist und schafft es auch allein. Nur findet sie ihren Weg sozusagen durch die anderen Figuren: In Volkers Welt merkt sie, dass diese Art zu leben nicht ihre ist, in ihrer Wohnsiedlung wird ihr klar, dass es so auch nicht geht und dass sie einen dritten, eigenen Weg finden muss.
AVIVA-Berlin: Wie du gerade erwähnt hast, bewegt sich Sascha zwischen zwei Welten: Auf der einen Seite das Elite-Gymnasium, das sie aufgrund ihrer Hochbegabung angenommen hat, auf der anderen Seite die Tristesse der Hochhauswüste. Doch sowohl im "Scherbenpark" als auch im bildungsbürgerlichen Milieu fühlt sie sich fremd. Wolltest du im Film eine exemplarische Geschichte über Heimatlosigkeit und kulturelle Isolation erzählen? Oder ist "Scherbenpark" vielmehr eine Außenseiterinnen-Story?
Bettina Blümner: Ich glaube, dass es Saschas ganz persönliche Geschichte ist: Ein junges Mädchen auf der Suche nach sich selbst. Trotz ihrer tragischen Familienumstände ist das Ganze aber kein wirkliches Drama, sondern bringt auch viele lustige Momente und eine gewisse Leichtigkeit mit sich, was vor allem Saschas Art geschuldet ist. Auch darum geht es in "Scherbenpark": das Leben nicht als Drama zu begreifen.
AVIVA-Berlin: Hast du dich im Zuge der Recherche mit SpätaussiedlerInnen über ihre Situation unterhalten?
Bettina Blümner: Ja, ich habe mich in Wedding und Marzahn mit paar Jugendlichen aus Jugendclubs getroffen. Die waren sehr nett und haben mich sogar zu sich nach Hause eingeladen. Man kann aber gar nicht wirklich sagen, was von diesen Erfahrungen im Film gelandet ist.
AVIVA-Berlin: Und wo werden wir dich demnächst sehen? Hinter der Kamera, im Theater oder auf Streifzug in den Scherbenparks und Prinzessinnenbädern des Landes?
Bettina Blümner: Ich beginne jetzt mit der Kinotour für "Scherbenpark", für die nächsten zwei Wochen fahre ich in alle möglichen Städte und stelle den Film vor. Danach ist Winterpause, ich bin jetzt erst einmal durch (lacht).
AVIVA-Berlin: Bettina Blümner, vielen Dank für das Gespräch!
Scherbenpark startet am 21. November 2013 im Kino. Weitere Infos zum Film unter: www.scherbenpark-film.de und auf Facebook
Weitere Infos zu Bettina Blümner unter: www.imdb.com
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Copyright Foto von Bettina Blümner: Julia Lorenz