Speakerinnen-Liste gelauncht - Geschlechterverhältnis unter SpeakerInnen ist unausgeglichen. Interview mit der Netzaktivistin Anne Roth - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 09.03.2014


Speakerinnen-Liste gelauncht - Geschlechterverhältnis unter SpeakerInnen ist unausgeglichen. Interview mit der Netzaktivistin Anne Roth
Philippa Schindler

Frauen kommen auf Podien, Konferenzen und Tagungen seltener zu Wort als Männer. Auf dem Blog "50 Prozent" werden regelmäßig Zahlen veröffentlicht, die auf dieses Ungleichgewicht zwischen den...




... Geschlechtern aufmerksam machen. Anne Roth, die Initiatorin des Projekts, sprach mit AVIVA-Berlin über ihre Beweggründe, die sie zum Zählen gebracht haben, über mögliche Ursachen und Lösungen des Problems und über die facettenreiche Vernetzung von FeministInnen im Internet.

AVIVA-Berlin: Seit April 2012 veröffentlichen Sie auf Ihrem Blog Zahlen, die die Überdominanz von Männern unter RednerInnen deutlich belegen. Was sind Ihrer Einschätzung nach die Gründe für dieses Ungleichgewicht?
Anne Roth: Zuerst muss ich sagen, dass die Zahlen natürlich alles andere als empirisch sind: Es ist ein ziemlich zufälliges Sammelsurium der Konferenzen, die ich selber bemerke oder die anderen auffallen und dann eben ´durchgezählt´ werden. Ich halte sie dennoch für einigermaßen repräsentativ, schon weil es kaum Veranstaltungen gibt, bei denen das Geschlechterverhältnis auf der Bühne ausgeglichen ist. Abgesehen natürlich von den Themen, die als ´Frauenthemen´ gesehen werden: Familie, Kinder(-betreuung) oder auch Prostitution.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Oft wollen VeranstalterInnen bekannte Namen als Zugpferde, bekannte Menschen, die kein Risiko darstellen, weil klar ist, dass sie zum Thema gut reden können und ´das Richtige´ sagen. Das führt dazu, dass einige oft und dann immer öfter eingeladen werden. In den Fernseh-Talkshows lässt sich das besonders gut beobachten.
Dazu kommt, dass oft zu wenig Zeit ist, sich über RednerInnen Gedanken zu machen und nach interessanten neuen Gesichtern zu suchen. Wenn von vornherein das Thema sehr eng eingegrenzt ist, dann gibt es vielleicht auch wirklich nur ein oder zwei ExpertInnen, und die anderen, die thematisch ähnliche Felder bearbeiten, werden gar nicht in Betracht gezogen. Dabei wären viele Veranstaltungen sicher interessanter, wenn nicht immer dieselben Leute das Gleiche erzählten.
Und schließlich - so wird mir das jedenfalls erzählt - sagen Frauen bei Einladungen häufiger ab, oder wollen sogar lieber ihren Chef schicken. Warum das so ist, müsste mal erforscht werden, das fände ich sehr interessant. Es sieht jedenfalls so aus, als ob Frauen weniger oft sofort zusagen, wenn sie gefragt werden. Dafür gibt es verschiedene Thesen: Weil sie sich eher überlegen, ob sich der Stress tatsächlich lohnt, weil sie eher an ihrer eigenen Kompetenz zweifeln, weil sie nicht direkt gefragt werden und weniger stark den Impuls haben, sich nach vorn zu drängeln und auf sich aufmerksam zu machen.

AVIVA-Berlin: Welche Rückmeldungen bekommen Sie zu Ihrem Projekt?
Anne Roth: Von VeranstalterInnen in der Regel gar keine, obwohl ich die meistens per Twitter vom Zählergebnis informiere. Wenn es Veranstaltungen ´in meinem Umfeld´ sind, ich die Leute also direkt oder indirekt kenne, dann höre ich oft, dass es keine passenden Frauen gab oder alle oder viele angefragten Frauen abgesagt haben. Dass es keine gab, halte ich für Quatsch, denn mit einer leichten Themenverschiebung lässt sich da sicherlich einiges lösen. Was ich glaube ist, dass oft zu wenig Zeit vorhanden war, sich um Alternativen zu kümmern und dass viele schlicht nicht wissen, wie sie das machen könnten.
Darüber hinaus gibt es wirklich viele sehr enthusiastische Rückmeldungen von Menschen, die auch davon genervt sind, wie ungleich Podien besetzt werden. Mir haben auch viele gesagt oder geschrieben, dass sie schon lange selbst zählen und jetzt froh sind, dass sie die Ergebnisse an "50 Prozent" schicken können.

AVIVA-Berlin: Initiativen wie "AcadamiaNet" (ein Internetportal für herausragende Wissenschaftlerinnen) und Online-Listen zu relevanten Speakerinnen vermitteln den Eindruck, als habe in den letzten Jahren eine Sensibilisierung für dieses Thema stattgefunden. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen?
Anne Roth: Den Eindruck teile ich. Es gibt wirklich viel Unmut zu dem Thema und die verschiedenen Listen mit Expertinnen oder sonst kompetenten Frauen sind ein Ausdruck davon. Bevor ich "50 Prozent" gestartet habe, gab es Überlegungen, eine neue solche Liste zu starten, das ist dann aber leider am Zeitmangel der Beteiligten gescheitert. Ich war darüber ziemlich frustriert, aber das Ergebnis war dann stattdessen eben "50 Prozent", weil das sehr unaufwendig ist. Und vielleicht gibt es die damals geplante Speakerinnen-Liste ja bald doch noch.

AVIVA-Berlin: Rednerinnen, die nicht als "universales Neutrum" (Antje Schrupp) auftreten, werden häufig nur noch als Sprecherin für Frauenthemen wahrgenommen und nicht mehr für allgemeingültige Belange. Welche Beobachtungen machen Sie diesbezüglich?
Anne Roth: Stimmt völlig. Ich merke bei mir selbst, dass ich, wenn ich ab und zu bei einer Veranstaltung zu Gender-Themen beteiligt bin oder selbst eine organisiere, bestimmt ein halbes Jahr vor allem Anfragen dazu bekomme. Ich beschäftige mich ja eigentlich vor allem mit ganz anderen Themen und bemühe mich dann ganz gezielt, mich zu diesen anderen Themen zu engagieren, um aus der ´Feminismus-Schublade´ wieder rauszukommen. Ich habe natürlich nichts dagegen, als Feministin wahrgenommen zu werden, aber eigenartigerweise überdeckt das tatsächlich sofort alles andere.

AVIVA-Berlin: Mittlerweile haben auch Projekte, zum Beispiel aus dem Musikbereich (female:pressure) Ihre Idee des ´Zählens´ übernommen und kommen zu niederschmetternden Ergebnissen hinsichtlich der Frauenquote. Es scheint sich also um ein strukturelles Problem zu handeln. Was denken Sie darüber?
Anne Roth: female:pressure gab es lange vor meinem Projekt! Aber was mich sehr gefreut hat: Seit Dezember gibt es "50 Prozent Österreich", www.50prozentat.noblogs.org , die zählen gezielt Veranstaltungen in Österreich und sind stark an "50 Prozent" angelehnt.

Generell ist das auf jeden Fall ein strukturelles Problem. Die Gründe sind in der Quoten-Debatte, oder besser: den Quoten-Debatten, rauf- und runterdekliniert worden. Männer helfen sich bewusst oder unbewusst gegenseitig die Leiter rauf, und Frauen machen dabei sogar mit. Um das zu ändern, ist starkes Gegensteuern und eine kritische Masse an Menschen nötig, die das ändern wollen.

Mir ist das zum ersten Mal aufgefallen, als ich vor Jahrzehnten ein Buch über Benachteiligung von Mädchen in der Schule gelesen habe. Darin wurde die Wahrnehmung von Lehrern und Lehrerinnen untersucht, ob sie Mädchen und Jungen im Unterricht gleich häufig dran nehmen. Wenn sie den Eindruck hatten, dass das so ist, dann sind tatsächlich in zwei Drittel der Fälle Jungen zu Wort gekommen. Daraus habe ich gelernt, dass unsere Wahrnehmung schon so von der Realität gefärbt ist, dass unbedingt nötig ist, durch Zählen nachzuprüfen, und das mache ich seitdem.

AVIVA-Berlin: Seit Jahren wird die Einführung einer Frauenquote auf den Führungsetagen von Unternehmen diskutiert. Vorstellbar wäre so etwas auch im Hinblick auf die Liste der RednerInnen bei öffentlichen Veranstaltungen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Anne Roth: Quoten sind ja immer ein Hilfsmittel. Es ist für alle Beteiligten nicht schön, zuletzt für die Frauen, aber offenbar hilft sonst nichts. Deswegen halte ich das tatsächlich für eine überlegenswerte Idee.

AVIVA-Berlin: "50 Prozent" ist ein offenes Projekt. Wie kann ich mich daran beteiligen?
Anne Roth: Indem Sie die Redner und Rednerinnen von Veranstaltungen zählen und das Ergebnis per Mail an 50prozent@riseup.net
schicken oder an @haelfte twittern. Ich schaffe nicht immer gleich, die Zahlen zu veröffentlichen, aber ich bemühe mich, es so schnell wie möglich zu machen.

Außerdem hilft natürlich, die Ergebnisse, die alle auch über Twitter veröffentlicht werden, weiterzuverbreiten, damit die VeranstalterInnen der gezählten Veranstaltungen merken, dass das kritisch beobachtet wird. Ich denke, dass Kritik durch ihr Publikum die einzige Methode ist, sie zum Umdenken zu bewegen. Auch deswegen ist bei allen Veranstaltungen auf der Website "50 Prozent" eine Kontaktmöglichkeit zur jeweiligen Veranstaltung angegeben.

AVIVA-Berlin: Auf Ihrem Blog bezeichnen Sie sich als Netzaktivistin. Welche Möglichkeiten birgt die feministische Vernetzung für Sie?
Anne Roth: Austausch mit Frauen, deren Erfahrungen meinen ähneln, die ich aber selten sehe. Die Vernetzung mit Frauen, die sich manchmal mit ähnlichen Schwierigkeiten oder ähnlichem Unwohlsein im Netz bewegen, finde ich hilfreich und ermöglicht ja auch, Projekte zu starten oder zu unterstützen, die aus der Perspektive der feministischen Minderheit im Netz entstehen. Und das ist wirklich nötig, denn die enorme Ablehnung Feministinnen gegenüber ist ja im Netz viel stärker spürbar als offline.

Gerade als Bloggerin, die sich mit politischen Themen auch jenseits des Feminismus beschäftigt, bin ich wirklich froh, wenn ich andere finde, die das Netz aus einer ähnlichen Position betrachten. Wobei ja völlig absurd ist, dass ich als weiße deutsche Frau zwischen 40 und 50 mit politischem Interesse schon verhältnismäßig exotisch bin.

Ganz praktisch ermöglicht mir diese Vernetzung, nebenbei und in meiner Freizeit Projekte wie "50 Prozent" zu starten und bekannt zu machen, was ich sehr großartig finde.

Anne Roth ist Bloggerin und Netzaktivstin und hat als Journalistin und Online-Redakteurin gearbeitet. Sie spricht und schreibt über Überwachung, Innenpolitik und Medien. Ins Licht der Öffentlichkeit ist die Medienaktivistin 2007 geraten, als ihr Lebensgefährte Andrej Holm, wegen des Terrorverdachtes festgenommen wurde, unbegründet, wie sich schnell herausstellte. Aufgedeckt wurde im Zuge dessen aber auch, dass das Paar über den Zeitraum von mindestens einem Jahr überwacht wurde – und wahrscheinlich noch immer wird. Vom Zählen hat sich Anne Roth dennoch nicht abhalten lassen. Sie lebt und arbeitet in Berlin und hat zwei Kinder.

Unter dem Slogan "Veranstaltungen brauchen mehr Diversität" wurde am 8. März 2014 eine "Speakerinnen-Liste" gelauncht. Auf der Website www.speakerinnen.org können sich Expertinnen der unterschiedlichsten Themenbereiche eintragen, mit Hinweis auf ihr Fachgebiet und ihre Referenzen. Die Organisatorinnen der "Speakerinnen-Liste" wollen auf diese Weise Frauen ermutigen, in ihrer professionellen Umgebung sichtbar zu werden. Die Plattform soll aber auch eine Anlaufstelle für VeranstalterInnen sein, die für Konferenzen, Tagungen und Panels auf der Suche nach geeigneten RednerInnen sind.
Inspiriert wurde das Projekt vor allem von Anne Roth und ihrem Blog "50 Prozent". Sie fordert schon lange eine Plattform, auf der Expertinnen zu verschiedenen Themen vorgestellt werden. Umgesetzt wurde die Idee nun von acht Frauen, die die Website in Zusammenarbeit mit Coaches der Non-Profit-Organisation Rails Girls Berlin erstellt.

Weitere Informationen finden Sie unter:

50prozent.noblogs.org

Auf dem Blog www.annalist.noblogs.org schreibt Anne Roth regelmäßig zu Themen wie Überwachung, Terrorismus- und Extremismusdiskurse und über Medien, Netzpolitik und Feminismus.

Die Website www.speakerinnen.org bietet eine Plattform für Expertinnen, die sich dort zu den unterschiedlichsten Fach- und Themenbereichen eintragen können.

Die Initiative www.women-speaker-foundation.de versteht sich als Sammelpool für internationale Rednerinnen zu den unterschiedlichsten Themenfeldern.

Ein ähnliches Projekt ist www.digitalmediawomen.de, aufgelistet werden dort insbesondere Speakerinnen zu Medienthemen.

Auf www.netzfeminismus.org können sich FeministInnen austauschen, die besonders im Internet aktiv sind. Veröffentlicht ist dort ebenfalls eine Speakerinnenliste zu netzaffinen Themen.

female:pressure ist ein Netzwerk von Künstlerinnen im Bereich elektronischer Musik. Auf dem Blog www.femalepressure.wordpress.com sind die Zahlen zu finden, die ein deutliches Geschlechterungleichgewicht auf Elektro-Festivals und Musikveranstaltungen belegen.

Quellenangaben zum hier verwendeten Foto von Anne Roth:

Urheber: Tobias M. Eckrich / Piratenpartei
Quelle: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Verfügbar unter www.vorratsdatenspeicherung.de
Lizenzvertrag unter www.creativecommons.org

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