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Beitrag vom 21.06.2015
S.O.S. - Kunst rettet die Welt - Interview mit Anja Bischoff und Angelika Sigges
Dorothee Robrecht
Anja Bischoff ist Kuratorin, Angelika Sigges Künstlerin. In einer gemeinsamen Ausstellung hinterfragen sie das diesjährige Motto der 48Stunden Neukölln: "S.O.S. - Kunst rettet die Welt".
Die Ausstellung läuft unter dem Titel "Wessen Welt? Apocalypse Inside-Out" vom 26.6. bis zum 24.7.2015 in der Galerie Pflüger68. Zu sehen sind Fotos und Malereien, die desolate Welten zeigen. Bei Angelika Sigges sind es innere Welten: Ihre Bilder lassen schemenhaft Menschen erkennen, die implodieren, deren Leben zusammenbricht. Anja Bischoff geht es um die Welt da draußen: Ihre Fotos bilden eine postapokalyptisch anmutende Szenerie ab – eine Szenerie, in der außer Müll und sonderbar deplazierten Haustieren nichts darauf hinweist, dass hier Menschen leben.
AVIVA-Berlin: Frau Bischoff, haben Sie diese Fotos inszeniert?
Anja Bischoff: Nein, ich habe diese Szenen genauso vorgefunden. Die Fotos sind Anfang 2015 auf den Kapverden entstanden. Als ich dort war, dachte ich, das könnte eine Installation auf einer documenta sein - diese bunkerartigen Häuser, der Müll und die Leere. Aber es war ganz einfach der Alltag da: Die Kapverden sind ein afrikanischer Inselstaat, den der Klimawandel besonders hart trifft. Anders als früher können sich die Leute nicht mehr durch Fischerei oder Landwirtschaft ernähren, über die Hälfte der Bevölkerung hat das Land schon verlassen, um anderswo zu arbeiten, in den USA oder auch in Europa.
AVIVA-Berlin: Wie würden Sie Ihre Fotos beschreiben: als Kunst? Oder als dokumentarisch?
Anja Bischoff: Es sind dokumentarische Fotos, die aber eine über das Dokumentarische hinausweisende Frage stellen: Wessen Welt meinen wir eigentlich, wenn wir sagen, die Welt muss gerettet werden? Das ist ja, was das diesjährige Motto der 48Stunden Neukölln behauptet: Die Welt braucht Erlösung, und die Kunst kann das - die Welt erlösen. Um welche Welt geht es da? Und natürlich auch: um welche Not?
AVIVA-Berlin: Frau Sigges, anders als die Fotos von Anja Bischoff wirken Ihre Arbeiten sehr privat. Sie zeigen Menschen, die sich aufzulösen scheinen, die untergehen in ihrer Umgebung - kein harmonisches Einfügen, sondern ein sich-selbst-Verlieren in Chaos und Vereinzelung. Geht es für Sie eher um eine Not privater Art?
Angelika Sigges: Ich weiß, was Weltuntergangsstimmung ist (lacht). Aber ich weiß nicht, ob sich die nicht ähnlich anfühlt wie das, was Leute auf den Kapverden fühlen, wenn sie Angst haben, sich nicht mehr ernähren zu können, weil die Fische verschwunden sind. Für mich ist das relational. Es geht in beiden Fällen um Angst, um die Angst, so nicht weiterleben zu können.
AVIVA-Berlin: Ihre Maltechnik ist sehr expressiv, dramatisch fast. Stört es Sie, wenn Ausstellungsbesucher_innen Ihre Bilder autobiographisch deuten und Rückschlüsse ziehen auf Ihr privates Leben?
Angelika Sigges: Nein, solche Rückschlüsse liegen ja nahe, nicht nur bei mir. Francis Bacon ist einer meiner Lieblingskünstler, und es wird kaum Menschen geben, die bei seinem schreienden Papst nicht denken, wie bloß muss es in ihm ausgesehen haben, dass er so malt. Wenn Leute mich bei Ausstellungen ansprechen, wenn ich echtes Interesse spüre, ist das für mich ok.
AVIVA-Berlin: Würden Sie sagen, dass Kunst rettet und heilt? Sie als Künstlerin, aber womöglich auch andere, die sich in Ihren Bildern wiederkennen und verstanden fühlen?
Angelika Sigges: Ich kann nur hoffen, dass meine Arbeit anderen etwas sagt, aber letztlich kann ich das nur für mich beantworten. Ich bin niemand, der sich verbal gut artikulieren kann. Ich äußere mich über meine Kunst, und natürlich rettet mich das, zumindest mental. Finanziell nicht, da mache ich mir keine Hoffnungen mehr. Ich habe mal gelesen, dass 90% des weltweiten Umsatzes mit Kunst von nur 30 Künstler/innen gemacht werden, und allein im Berufverband Bildender Künstler in Berlin sind fast 2000 Künstler registriert.
AVIVA-Berlin: Warum machen Sie trotzdem weiter?
Angelika Sigges: Weil ich nicht anders kann. Es gibt einfach Menschen, die sich ausdrücken müssen, die mehr darauf angewiesen sind als andere und nicht "funktionieren", wenn sie eingespannt sind in einen 9 to 5 job.
Anja Bischoff: Wobei diese vermeintlich unproduktiven Künstler/innen durchaus produktiv sind und Geld machen - wenn auch weniger für sich selbst als für Investoren. Letztlich hat die Kunst wenn nicht die Welt, so doch zumindest Neukölln gerettet. Die Preise steigen, neue Geschäfte machen auf, der Bezirk gilt als cool. Ironischerweise war die Kunst hier so erfolgreich, dass man sie nicht weiter unterstützt. Die Fördergelder für viele Kunstprojekte in Neukölln wurden gestrichen, nach dem Motto: Kunst, du hast deine Schuldigkeit getan, du kannst gehen. Eine gerettete Welt braucht die Kunst nicht mehr.
Ãœber Anja Bischoff
Geboren 1965 in Bremen. Studium der Kunstgeschichte, Theater-, Literatur- und Medienwissenschaft in Marburg und Berlin. Lebt seit 1988 in Berlin, unterbrochen von längeren und kürzeren Auslandsaufenthalten. Arbeitete von 1992 bis 1995 als freie Fernsehjournalistin, seit 1996 freiberuflich als Mediendesignerin.
Ãœber Angelika Sigges
Geboren 1965 in Detmold. Nach Ausbildung zur Schauwerbegestalterin Studium der visuellen Kommunikation in Bielefeld. Lebt und arbeitet seit 1999 in Berlin. Arbeitsaufenthalte 1990 in New York und 2002 in Budapest. Seit 2001 zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen.
Weiterführende Links:
Anja Bischoff, Angelika Sigges: Wessen Welt? Apocalypse Inside-Out, Ausstellung vom 26.6. – 24.7.2015, Galerie Pflüger68, Pflügerstr. 68, 12047 Berlin (MO – FR, 12.00 – 18.00h)
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