Das AVIVA-Interview mit Elisa Gutsche, eine der Initiatorinnen des Barcamp Frauen über Civil Rights Movements und feministische Forderungen für eine geschlechtergerechte Politik - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 21.03.2017


Das AVIVA-Interview mit Elisa Gutsche, eine der Initiatorinnen des Barcamp Frauen über Civil Rights Movements und feministische Forderungen für eine geschlechtergerechte Politik
Sharon Adler, Yvonne de Andrés

Das 7. Barcamp Frauen am 11. März 2017 in der Kalkscheune Berlin stand unter dem Motto "Aus dem Netz und auf die Straße! Kämpfer*innen unite!" Entwickelt und auf den Weg gebracht wurden von Initiatorinnen und Diskutantinnen, darunter Carolin Emcke, Ideen für ein partnerschaftliches Zusammenleben und eine Vernetzung junger und politisch interessierter Frauen über Berlins Landesgrenzen hinweg.








AVIVA-Berlin: Das 7. Barcamp Frauen war schon Wochen vor der Veranstaltung am 11. März in der Kalkscheune ausgebucht. Was waren Eure Erwartungen an das 7. Barcamp Frauen und welche Impulse aus Euren Erfahrungen und Arbeit aus dem letzten Barcamp Frauen wolltet Ihr einbringen?



Elisa Gutsche: Wir hatten dieses Jahr 600 Anmeldungen! Das Barcamp Frauen vergrößert sich jedes Jahr und wir sind der Friedrich-Ebert-Stiftung, die uns jedes Jahr unterstützt und das alles erst möglich macht, mehr als dankbar. Uns hat es riesig gefreut, dass unser Projekt auf so großes Interesse stößt und bei den Teilnehmerinnen scheinbar eine Menge Gesprächsbedarf besteht, was politisches Engagement angeht. Es hat auch gezeigt: Frauen wollen sich gerade jetzt für ihre Herzensangelegenheiten einbringen und mitbestimmen, wie unsere Gesellschaft aussehen soll. Und den Kampf gegen Rechts aufnehmen. Mit dem diesjährigen Barcamp wollten wir die Teilnehmerinnen empowern aktiv zu werden. Politische Statements auf Twitter oder Facebook zu posten allein reicht nicht mehr, um den Rechtspopulismus einzudämmen. Es braucht viel mehr coole junge Frauen in der Politik und weniger alte reaktionäre Männer.



Da wir thematisch jedes Jahr einen neuen Schwerpunkt setzen und neuen Ideen Raum geben wollen, nehmen wir gar nicht so viele inhaltliche Impulse mit in die nächste Runde. Eine Ausnahmen in diesem Jahr: Andreas Kemper, der über die AfD forscht. Er war schon einmal Gast beim Barcamp.

AVIVA-Berlin: "Gemeinsam. Zusammen. Leben", unter diesem Motto fand das 6. Barcamp Frauen 2016 statt. Für das 7. Barcamp Frauen habt ihr hier das Thema "Aus dem Netz und auf die Straße! Kämpfer*innen unite!" in den Mittelpunkt gestellt. Wir befinden uns in einem Wahljahr. Was kann der Beitrag des 7. Barcamp Frauen zur aktuellen politischen Situation sein?



Elisa Gutsche: Wir wollten vor allem zeigen, wie wichtig es ist wählen zu gehen und sich mit Politik auseinanderzusetzen. Sonst treffen andere Leute Entscheidungen über dein Leben. Vielleicht konnten wir auch einige Frauen zum parteipolitischen Engagement ermutigen, wer weiß?



Carolin Emcke hat in ihrem Talk auch aufgezeigt, wie wichtig es ist, eigene Fragen an die Gesellschaft zu stellen und nicht immer nur auf die Themen und Skandale der Rechtspopulisten zu reagieren. Wir hoffen, dass wir die Teilnehmerinnen dazu ermutigt haben, wieder mehr eigene Fragen zu stellen.


AVIVA-Berlin: Warum ist Eurer Meinung nach die Sichtbarkeit von Frauen auf der Straße heute besonders wichtig? Welche Stärken bringen Frauen dabei ein?
Elisa Gutsche: Die Sichtbarkeit von Frauen ist wichtig, weil 2017 ist, weil wir nicht mehr in den 50ern leben, weil wir es verdient haben, weil nur so eine wirklich gerechte Gesellschaft möglich ist.
Welche Stärken bringen Frauen ein? Ich denke, dass viele Frauen noch einmal einen ganz anderen Blick auf soziale Ungerechtigkeiten haben, da sie in erster Linie davon betroffen sind – siehe Armut im Alltag, Armut im Alter, Kinderarmut, Gender Pay Gap oder eigene Diskriminierungserfahrungen.

AVIVA-Berlin: Gibt es Anregungen, Erfahrungen wie den "Women´s march on Washington" von dem wir (in Europa) lernen können?
Elisa Gutsche: Auf alle Fälle! Der Women´s March hatte ein unglaubliches Mobilisierungspotenzial, davon können wir in Deutschland nur träumen. Aber andererseits können wir natürlich auch froh sein, dass wir – bei allen vorhandenen Problemen – nicht mit einem Staatsoberhaupt wie Trump konfrontiert sind.
Jennifer und ich waren vor Ort in Washington D.C. und was besonders auffällig war: Es war eine Bewegung, die von ganz unterschiedlichen Menschen getragen war und die Gräben und Spaltungen überwunden hat. Das lag auch an dem superdiversen Organisationsteam, die vielen unterschiedlichen Stimmen Gehör verschafft haben und nicht von weißen Mittelklassefrauen dominiert war. Hier müssen Aktivistinnen in Deutschland, insbesondere auch auf Seiten der Gewerkschaften und Parteien noch viel besser werden. Wir beim Barcamp Frauen übrigens auch. Denn nur so kann man viele unterschiedliche Menschen ansprechen und langfristig etwas verändern. Gemeinsam ist man stärker.
Was aber auch wichtig ist: Aktivistinnen in den USA können auf eine viel längere Tradition des Civil Rights Movements zurückblicken – das fehlt in Deutschland einfach.
Aber: Hier in Deutschland hatten wir auch eine sehr gute Mobilisierung zum internationalen Frauentag – in Berlin waren 10.000 Menschen auf der Straße. Viel mehr als in den letzten Jahren. Und die Proteste waren bunter, mit witzigeren Plakaten und Postern – ein schöner Nebeneffekt des Women´s March.

AVIVA-Berlin: Rechtspopulismus ist in dieser Bundestagswahl die größte Gefahr. Was können und sollten wir tun um RechtspopulistInnen zurückzudrängen?
Elisa Gutsche: Jede Menge, aber hier nur ein Beispiel. Der Kampf gegen Rechtspopulismus beginnt schon am Küchentisch oder im Büro. Jede von uns kennt doch diesen einen Kollegen oder das Familienmitglied mit rechten Ansichten. Die meisten von uns haben Äußerungen dieser Personen aus falsch verstandener Höflichkeit oder Zurückhaltung unwidersprochen gelassen. Das geht im Alltag los. Ich hatte vor einigen Wochen die Situation beim Arzt, als der mir erzählen wollte, dass die Krankenkassen gewisse Leistungen nicht mehr übernehmen, wegen "den Flüchtlingen". Da muss man sofort gegen halten. Das geht durch simple Rückfragen oder indem man einfach mit den Menschen ins Gespräch kommt.

AVIVA-Berlin: 2017 begehen wir "100 Jahre Frauenwahlrecht". Gibt es Grund zum Feiern?
Elisa Gutsche: Auf alle Fälle! Man sollte die Fortschritte, die wir gemacht haben, nicht aus den Augen verlieren: die Gesellschaft ist viel sensibilisierter was das Thema Geschlechtergerechtigkeit angeht, es gab jede Menge Gesetze, die die Gleichstellung von Frauen vorantreiben sollen und Deutschland hat eine Bundeskanzlerin!
Aber es gibt auch noch so unglaublich viele Baustellen: den Sexismus, mit dem Frauen jeden Tag konfrontiert sind, häusliche und sexuelle Gewalt und Armut, die zumeist Frauen betrifft, die Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik. Hier liegt noch jede Menge Arbeit vor uns.

AVIVA-Berlin: Das Barcamp Frauen zeigt geballt die Power der Frauen in allen Bereichen. Die Ideen der weiblichen Komplizinnenschaft vor Ort und im Austausch in Communities besteht schon länger. Welche Form von Austausch/ Organisation/Bündnis plant ihr für die Zukunft?
Elisa Gutsche: Das ist eine sehr gute Frage! Wir machen auf alle Fälle weiter mit dem Barcamp Frauen. Und wir haben auch schon jede Menge weiterer Ideen, die aber noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. :)



Weitere Informationen zum Barcamp Frauen:

www.barcampfrauen.de
www.facebook.com/barcampfrauen
twitter.com/frauenbarcamp

Das Barcamp Frauen wurde 2010 von einer Gruppe junger Frauen ins Leben gerufen, die vor allem ein Ziel verfolgt haben: Aktuellen feministischen Diskussionen für (Partei)-Politik zu bündeln und einen Diskurs über die Lebenswelten junger Frauen starten. Das Organisationsteam besteht aus Nancy Böhning, Elisa Gutsche und Jennifer Mansey, die gemeinsam 2013 für ihr Engagement und für ihre Verdienste um die Stärkung von Frauen in Politik und Gesellschaft mit dem Wilhelm-Dröscher-Preis ausgezeichnet wurden. Hinzu kommen jedes Jahr eine Vielzahl an Kooperationspartner_innen und Unterstüzer_innen.


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Feminismus. Vernetzung und thematisch ganz unterschiedliche Debatten, darunter auch zu Antisemitismus und Feminismus wurden angeschoben. Reges Interesse an Verortung und Austausch hatten circa 500 Frauen, an diesem kalten windigen Samstag am 6. Barcamp Frauen teilzunehmen. Mit einigen der Frauen, die im Rahmen einer Session zur Diskussion einluden, haben sich Sharon Adler und Yvonne de Andrés mit AVIVA-Berlin als Medienpartnerin zum Interview verabredet.



Fotos: Yvonne de Andrés


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Beitrag vom 21.03.2017

AVIVA-Redaktion