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Beitrag vom 11.12.2008
re.act.feminism - Interview mit Bettina Knaup und Beatrice E. Stammer
Adler, Denkert
Die Kuratorinnen von "re.act.feminism performancekunst der 1960er & 70er jahre heute" über feministische Kunst und die Hintergründe ihrer internationalen Ausstellung, die vom 13. Dezember 2008...
...bis zum 8. Februar 2009 in der Berliner Akademie der Künste zu sehen ist.
AVIVA-Berlin: Was ist das Konzept von re.act.feminism performancekunst der 1960er & 70er jahre heute? Warum sollten unsere LeserInnen unbedingt zu der Ausstellung gehen?
Bettina Knaup: Die künstlerischen Avantgarden der 1960er und 1970er Jahre, insbesondere auch die stark von Künstlerinnen geprägte Performancekunst, ziehen heute wieder ein verstärktes Interesse auf sich – sowohl von Seiten einer jüngeren Künstler/innengeneration als auch der Institutionen und der damaligen Protagonistinnen. Dabei stehen zum einen die Frage nach einer Historisierung dieser vergänglichen Kunstform sowie das Bedürfnis nach einer Aneignung der Geschichte aus der Sicht einer jüngeren Generation im Vordergrund. Zum anderen manifestiert sich darin in Zeiten ökonomischer und politischer Verunsicherung die Suche nach Ausdrucksformen, die eng mit gesellschaftlicher Veränderung verbunden sind.
Beatrice E. Stammer: Die Ausstellung re.act.feminism nimmt anhand ausgewählter Arbeiten von 24 Künstlerinnen zweier Generationen eine Bestandsaufnahme der genderkritischen Performancekunst der 1960er und 1970er Jahre in Europa und den USA vor und fragt nach ihrem Widerhall in aktuellen künstlerischen Produktionen. Performance-Bewegungen in den Ländern Ost- und Südosteuropas und der DDR (seit den 1980er Jahren), die sich oftmals unabhängig vom Mainstream einer ´Westkunst´ entwickelten, werden exemplarisch beleuchtet. Aktuelle Produktionen in Form von Re-enactments, Neuformulierungen oder dokumentarischen und archivarischen Projekten werden in dialogischen Bezug zu den Positionen der 1960er und 1970er Jahre gesetzt. Zudem werden mehrere, zumeist von Künstlerinnen gestaltete Archive ausgestellt, die die Ausstellung strukturieren. Ein wesentliches Element bildet das Videoarchiv, welches in einer einmalig zusammengestellten Sammlung von mehr als 80 Performance-Dokumenten, Videoperformances und Künstlerinnen-Interviews einen Einblick in die Performancekunst zweier Generationen bietet. In diesen Archiven wird der Frage nachgegangen, wie – angesichts fragmentarischer Spuren der von nur wenigen direkt erlebten Performances – Geschichte re-konstruiert und möglicherweise Zukunft ´erfunden´ werden kann.
AVIVA-Berlin: Was macht feministische Kunst aus? Ist sie immer kämpferisch, befreiend, aufklärend? Was waren Ihre Auswahlkriterien, nach denen Sie die Künstlerinnen und Werke ausgesucht haben?
Beatrice E. Stammer: Feminismus, wie auch feministisch inspirierte Kunst, ist sehr vielfältig und umfasst ganz unterschiedliche künstlerische Strategien, Ausdrucksformen und Themen. Wir möchten diese Vielfalt zum Ausdruck bringen und haben daher anhand unterschiedlicher Themenstränge gearbeitet und Künstlerinnen aus Ost und West ausgewählt, die damals und heute sich inhaltlich oder formal beispielsweise mit Fragen der (geschlechtlichen, ethnischen, kulturellen und sexuellen) Identität, mit Verletzlichkeit und Gewaltverhältnissen, mit Kollektivismus und politischer Aktion, mit Kontrollpraktiken und öffentlichem Raum, mit der Herstellung von Wissen und Geschichte, und mit Arbeit und Reproduktion befassen.
Bettina Knaup: Die künstlerischen Positionen, die wir einbezogen haben, sind sicher alle auf ihre Weise subversiv, aber das bezieht sich auch auf die eingesetzten Medien und Strategien und nicht nur auf die Inhalte. Zudem möchten wir auch die spielerische, lustvolle und humorvolle Seite dieser Kunst zeigen.
AVIVA-Berlin: Wer kam auf die Idee zu der Ausstellung? Wie kam es dazu? Und, wie sind Sie auf den Titel zu der Ausstellung gekommen?
Bettina Knaup: Wir haben bereits vor fast zehn Jahren zusammengearbeitet und hatten seitdem vor, irgendwann wieder ein gemeinsames Projekt zu verwirklichen. Beatrice, die stärker aus dem Kunstkontext kommt, wollte gerne eine größere feministische Kunstausstellung in Berlin in 2008 realisieren, weil die 68er sich zum 40. Mal jähren. Mein Hintergrund ist die Performancekunst und Live Art, und mir schwebte schon länger vor, mich mit dem Wiederaufleben der Performancekunst der 60er und 70er Jahre zu befassen und insbesondere auch mit der bedeutenden Rolle von Künstlerinnen in der Entstehung und Entwicklung von Performancekunst. Die ersten Gespräche führten wir Ende 2006, die konkrete Planung begann dann im Frühjahr 2007, wobei auch die im März 2007 im Museum of Contemporary Art Los Angeles gezeigte erste umfassende Retrospektive feministischer Kunst "WACK Art and the Feminist Revolution" uns inspiriert hat.
Beatrice E. Stammer: Der Titel betont alle Elemente des Projektes, die Rückschau und das sogenannte ´Re-enactment´, also die Wiederaufführung von Performances, die Aktion und natürlich den Feminismus, den wir nicht scheu im Untertitel verstecken möchten.
AVIVA-Berlin: re.act.feminism performancekunst der 1960er & 70er jahre heute ist nicht die erste Ausstellung, die Sie kuratieren oder produzieren, die Kunst ausschließlich von Frauen zeigt. Ist das eine Herzenssache?
Bettina Knaup: Ja, im Sinne einer intellektuellen Leidenschaft, die der Überzeugung folgt, dass die Genderthematik nach wie vor produktiv und wichtig ist, und in viele gesellschaftliche sowie kulturelle Bereiche hineinwirkt. Dabei können durchaus auch Männer involviert sein, die ja nicht von der Genderthematik ausgeschlossen sind.
AVIVA-Berlin: Ist feministische Kunst heute noch mehr eine Nische als während der Frauenbewegung in den 1960ern und 70ern – oder werden feministische Ideale eher selbstverständlich in die Kunst von Frauen heute integriert?
Bettina Knaup: Viele, darunter auch sehr etablierte Künstlerinnen und auch Kuratorinnen behandeln ganz selbstverständlich feministische Inhalte oder Strategien. In den letzten Jahren gab es zudem geradezu eine Renaissance feministischer Ausstellung – in Deutschland, aber auch international, insbesondere in Spanien und in den USA. Sicher gibt es aber nach wie vor Künstlerinnen, die das "F-word" vermeiden, aus taktischen oder auch inhaltlichen Gründen.
AVIVA-Berlin: Wie lange hat die Planung/Vorbereitung von re.act.feminism gedauert? Auf was für Probleme und/oder Herausforderungen sind Sie dabei gestoßen?
Beatrice E. Stammer: Letztlich dauert so ein Projekt zwei bis drei Jahre, und das ist auch die Zeit, die wir benötigt haben, um "re.act.feminism" vorzubereiten. Dazu kommt natürlich all das Wissen und die Erfahrung aus anderen Projekten, auf die wir dabei zurückgegriffen haben.
Bettina Knaup: Bei einem Projekt, das den Anspruch hat, wesentliche Entwicklungslinien der Performancekunst aufzuzeigen und nach Positionen sucht, die jenseits des Mainstreams liegen, also "unentdeckt" oder in Vergessenheit geratenen sind, liegt die Herausforderung darin, eine Auswahl zu treffen, die aussagekräftig und repräsentativ ist. Es war nicht leicht, sich aus dem großen Pool der Künstlerinnen, die sehenswerte und wichtige Performances produziert haben, letztlich auf 24 Künstlerinnen zu verständigen, die wir in der Ausstellung präsentieren.
AVIVA-Berlin: Ist Ihnen auf der Suche nach Kunstwerken und Künstlerinnen etwas Aufregendes oder Bewegendes passiert?
Beatrice E. Stammer: Bewegend und aufregend war es immer dann, wenn wir im Rahmen unserer Recherchen auf uns dato unbekanntes Material gestoßen sind. Ebenso viele der Begegnungen mit den Künstlerinnen.
AVIVA-Berlin: Wie schätzen Sie den soziokulturellen Kontext ein, in dem re.act.feminism stattfindet? Zum einen ist ´68er-Revolte 40 Jahre her, also der Kontext, in dem die Neue Frauenbewegung begann, zum anderen konnte Feminismus in diesem Jahr – Stichwort: Charlotte Roche, Alphamädchen – zumindest ein mediales Comeback feiern. Ist das Timing für re.act.feminism und dafür, Feminismus zu reaktivieren, zurzeit besonders gut?
Beatrice E. Stammer: Tatsächlich hat das Thema nach wie vor eine große Relevanz und es ist – das zeigen die Beispiele, die Sie nennen, das zeigt aber auch unsere Ausstellung – generationenübergreifend. Wir sind schon während der Ausstellungsvorbereitung auf großes Interesse gestoßen, wir erhalten Förderung unter anderem vom Hauptstadtkulturfonds, von der Schering Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir stellen fest, dass das Thema auf vielfältige Weise derzeit interessant ist – als tagespolitisches Thema, in den Kultur- und Theaterwissenschaften und im Rückblick auf die Errungenschaften der schon fast historisch gewordenen zweiten Frauenbewegung.
AVIVA-Berlin: Wird re.act.feminism - performancekunst der 1960er & 70er jahre heute zukünftig auch in anderen Städten oder sogar Ländern als Wanderausstellung zu sehen sein?
Bettina Knaup: Die Ausstellung wird auf jeden Fall noch weiter reisen. Wir sind mit mehreren Museen und Institutionen in Süd- und Osteuropa im Gespräch. Bereits fest steht, dass das Videoarchiv und Teile der Ausstellung im März auf dem "International Festival of Contemporary Arts, City of Women" in Ljubljana gezeigt werden. Im Anschluss ist das Videoarchiv im Kunsthaus Erfurt zu sehen. Für 2010 ist eine Kooperation mit der Fundació Antoni Tà pies in Barcelona geplant.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und der Ausstellung viele interessierte BesucherInnen!
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re.act.feminism – performancekunst der 1960er und 70er jahre heute vom 13.12.2008 bis 08.02.2009 in der Berliner Akademie der Künste – feministische Kunst in Form von Ausstellung, Videoarchiv, Tagung und Live Performances präsentiert.
Zu den Kuratorinnen:
Bettina Knaup arbeitet seit vielen Jahren als Kuratorin und Kulturproduzentin im internationalen Kontext an den Schnittstellen von Kunst, Politik und Wissensproduktion. Zu den von ihr kuratierten und produzierten Projekten gehört u.a. das International Festival of Contemporary Arts, City of Women, Ljubljana, das transdisziplinäre performing arts laboratory In Transit (Berlin, Haus der Kulturen der Welt) sowie das Festival Performing Proximities (Brüssel, Beursschouwburg).
Beatrice E. Stammer arbeitet seit 1982 als Kuratorin in der Staatlichen Kunsthalle Berlin und in der NGBK sowie ab 1993 als Projektmanagerin mit eigener Firma in Berlin. 2003 präsentiert sie für Berlin die erste umfassende Werkschau von Louise Bourgeois – Intime Abstraktionen in der Akademie der Künste, Berlin und 2005 Shirin Neshat – Women without Men im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin.