Interview mit Antonie Armbruster-Petersen, Projektleiterin des Acud Mädchenclubs - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 10.07.2009


Interview mit Antonie Armbruster-Petersen, Projektleiterin des Acud Mädchenclubs
Claire Horst

Antonie Armbruster-Petersen, 44, leitet seit Mai 2009 den Acud Mädchenclub in der Veteranenstraße. AVIVA-Berlin hat mit ihr über Mädchenarbeit und über das HipHop-Event "Girlz Culture" gesprochen,...




... das im August stattfindet.

AVIVA-Berlin: Wie bist du zur Mädchenarbeit gekommen?
Antonie Armbruster-Petersen: Ich habe zunächst eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und dann in der offenen Jugendarbeit gearbeitet. Ganz schnell habe ich mich dann in der Mädchenarbeit gefunden, zuerst in Neukölln und dann in ganz Berlin.

AVIVA-Berlin: Warum hat dich dieser Bereich besonders interessiert?
Antonie Armbruster-Petersen: Zuerst aus meiner eigenen Position heraus – weil ich als Mädchen ziemlich schnell festgestellt habe, dass in unserer Gesellschaft einiges schief läuft, dass irgendwas nicht so ganz stimmig ist zwischen Mädchen und Jungs. Und als ich dann größer geworden bin, habe ich ganz spezifische Unterschiede mitbekommen. Zum Beispiel bekommst du als Frau weniger Geld, du hast besondere Schwierigkeiten. Ich habe als junge Frau mal in einer Zimmerei gearbeitet, da waren 20 Männer und ich. Das war ziemlich hart.

Ein anderes Thema, das ich schon damals nicht verstanden habe, waren die Familienstrukturen. Da kriegst du ein Kind und sollst zu Hause bleiben, der Mann ernährt die Familie – was soll das denn? Wozu habe ich denn meine Lehre gemacht? Ich will nicht nur Mutter sein, das ist auch schön, aber eben nicht nur. Mich hat gestört, dass Staat und Gesellschaft es kaum ermöglicht haben, dass auch Männer zu Hause bleiben können. Wenn man die Prozentzahlen anguckt, ist es schockierend, wie wenige Männer auch heute noch in Erziehungsurlaub gehen. Das ist auch finanziell begründet - weil sie einfach immer noch mehr verdienen als die Frauen.
Genauso schlimm finde ich die geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen für Jungs und Männer: Jungs weinen doch nicht, sie müssen "harte Männer" sein. So bin ich einfach immer wieder in diesem Feld gelandet, das heute Gender oder geschlechtergerechte Pädagogik heißt.

AVIVA-Berlin: Ist es ein Ansatz der Mädchenarbeit, diese Ungleichheit zu verändern?
Antonie Armbruster-Petersen: Mein Ziel ist es auf jeden Fall, das zu verändern, Chancengleichheit zu schaffen für Mädchen und Jungen – Frauen und Männer, für Menschen, die sich nicht festlegen wollen, die Queerbewegung und "Fuck Gender". Mir ist es auch wichtig, Mädchen sichere Räume zu bieten. Denn die Jungen- und Männerdominanz fand ich immer sehr gruselig, auch im Freizeitbereich. In dem Neuköllner Projekt, in dem ich damals gearbeitet habe, habe ich deshalb ganz bewusst die Jungs aus meinem Selbstverteidigungskurs ausgeschlossen. Da haben sie erst mal ganz schön rebelliert. Später habe ich dann auch Jungentraining angeboten, unter anderen Prämissen, und irgendwann konnte ich mit den Jungen und den Mädchen zusammen arbeiten. Und das war super.

AVIVA-BERLIN: Inwiefern hast du mit den Jungen anders gearbeitet als mit den Mädchen?
Antonie Armbruster-Petersen: Die Jungs haben sich sowieso schon ganz gut körperlich gewehrt. Für die Mädchen war es ganz wichtig, überhaupt erst ein Selbstbewusstsein aufzubauen. Als die Jungs dann dazu kamen, konnten die Mädchen schon einiges. Dadurch waren die Rollen anders verteilt: Die Mädchen haben den Jungs bei den PartnerInnen-Übungen gezeigt, wo es langgeht – dass es um Verteidigung geht, nicht um Angriff. So hatten auch die Jungs die Möglichkeit anders zu agieren, als es von ihnen erwartet wurde.

AVIVA-Berlin: Du hast dich viel mit Sport beschäftigt?
Antonie Armbruster-Petersen: Im Studium habe ich mich schwerpunktmäßig mit Mediation – das ist ein Streitschlichtungsverfahren in Konflikten – und Supervision beschäftigt. Meine Abschlussarbeit habe ich über Gewaltprävention durch Sport anhand des Beispiels Capoeira geschrieben.

Während des Studiums habe ich beim Arbeitskreis Neue Erziehung angefangen und bin dann in das Modellprojekt "Streitschlichtung an Schulen" eingestiegen. Wir haben Konfliktlotsen an Grundschulen und StreitschlichterInnen in höheren Schulen ausgebildet. Heute gibt es das an vielen Schulen. Da steht dann ein großes Schild mit vielen Kindern drauf, und da steht dann "die Streitschlichter". Nicht Streitschlichterinnen! Das regt mich immer noch auf. Wenn in einem Team ein Junge mitspielt und zehn Mädchen, wird es sofort in die männliche Form umgewandelt. Das ist eine unglaubliche ignorante Sprache. Gender hat mich deswegen auch weiterhin begleitet, das Thema hat eigentlich nie aufgehört.

Ich habe dann ein Jahr bei Rabia gearbeitet, einem interkulturellen Mädchenprojekt in Kreuzberg. Wir haben zusammen mit dem Frauen-Lesben-Sportverein Seitenwechsel in Friedrichshain-Kreuzberg Mädchensport installiert. Wir haben evaluiert, ob Partizipation im Sportbereich realisiert ist. Diese Studie hat gezeigt, dass Mädchen, besonders Mädchen mit Migrationshintergrund, aus ganz vielen Sportarten herausfallen.

AVIVA-Berlin: Warum eigentlich ausgerechnet Sport? Warum ist das ein guter Ansatz, um Gleichstellung zu erkämpfen?
Antonie Armbruster-Petersen: Ich bin selbst ein sportlicher Typ bin, deshalb komme ich immer wieder darauf zurück, aber ich bin auch sicher, dass es in unserer Gesellschaft um einiges anders aussehen würde, wenn wir unsere psychische und physische Einheit mehr wahrnehmen würden, auf Ganzheitlichkeit achten würden. Ich merke das ja an mir: Wenn ich keinen Sport mache, dann staut sich was an. Und bei Jugendlichen ist das auch feststellbar, die stauen auch Wut und Aggressionen sowie Trauer an. Wir brauchen ein Ventil. Davon bin ich überzeugt.

AVIVA-Berlin: Geht das Angebot des Acud Mädchenclubs auch darauf ein? Was können die Mädchen bei euch machen?
Antonie Armbruster-Petersen: Den Acud Mädchenclub gibt es schon seit 12, 13 Jahren, und bisher lag der Fokus vor allem auf dem offenen Angebot. Den Kunst- und Kulturverein Acud insgesamt gibt es ja schon viel länger, mit ganz unterschiedlichen Projekten: einer Galerie, einem Theater, einem Kino zum Beispiel. Die Kernidee des Hauses ist die Kooperation, sodass die Mädchen z.B. auch den Proberaum nutzen können. Im Mädchenclub bieten wir aber auch mehrere Kurse an, zum Beispiel eine Nähwerkstatt, einen Yogakurs und Capoeira. Wer möchte, kann jeden Tag ab 14 Uhr kommen und Hausaufgaben machen, quatschen, kochen oder an den Kursen teilnehmen. Wenn ein Mädchen Probleme hat, dann kann sie zu uns kommen, wir haben ein großes fachliches Knowhow, und wenn wir an bestimmten Punkten merken, dass hier nicht der richtige Ort ist und das Mädchen etwas anderes braucht, dann haben wir die Kontakte. Und wir werden ihr keine Adressen in die Hand drücken und sagen "Jetzt mach dich mal auf den Weg", sondern wir werden sie begleiten.

Im Moment interessiert uns aber am meisten, was die Mädchen eigentlich wollen. Meine Kollegin und ich haben im Mai den Mädchenclub übernommen. Jetzt könnten wir alles Mögliche anbieten, Salsa, Tango, whatever you want. Aber die Mädchen müssen es wollen. Deshalb gehen wir jetzt mit unseren neuen Flyern auf die Straße und sprechen sie an. Wir glauben, dass in den letzten Jahren ein Wandel vonstatten gegangen ist, dass weniger ein offenes Angebot gewünscht wird und viel mehr konkrete Workshops. Der offene Bereich wird zurzeit nicht so gut genutzt. Die Kurse sind voll, da kommen Mädchen – manche sogar aus Zehlendorf.

AVIVA-Berlin: Warum hat sich das so gewandelt?
Antonie Armbruster-Petersen: Die Mädchen haben nicht mehr so viel Zeit. Das Schulsystem hat sich verändert, die Ganztagsschulen gehen bis 16 Uhr.
Außerdem hat sich die Ecke hier sehr gewandelt. Mitte wird immer "schöner". Hier wohnt jetzt eher das Bildungsbürgertum. Aber ganz sicher gibt es auch die anderen.

AVIVA-Berlin: Ist das eure Zielgruppe?
Antonie Armbruster-Petersen: Unsere Zielgruppe sind alle Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren, nicht nur die aus dem Bildungsbürgertum. Mädchen, die einen Ort brauchen, die wollen wir erreichen. Deshalb planen wir für diesen August ein großes Projekt: eine Woche lang werden wir uns unter dem Motto "Girlz Culture" mit Frauen im HipHop beschäftigen und viele verschiedene Workshops anbieten.

AVIVA-Berlin: Von Mädchen und Frauen im HipHop ist nur selten etwas zu hören. Interessieren sich Mädchen überhaupt für HipHop?
Antonie Armbruster-Petersen: Die B-Girlz-Woche im Jahr 2008 hat gezeigt, dass ein großes Interesse besteht. An diesem Festival, das an vielen verschiedenen Orten in Berlin stattfand, hat der Acud Mädchenclub auch teilgenommen. Die Angebote waren sehr gut besucht. Ich glaube also, das Interesse von Mädchen am HipHop ist da, sie trauen sich nur nicht. Ein Grund dafür ist natürlich wieder die Dominanz von Männern. Die Mädchen sind eben oft die, die den Backgroundchor machen, aber nicht die, die den Text rappen. Für unser Event "Girlz Cultures" haben wir richtig tolle Mitarbeiterinnen gefunden, lauter Frauen aus der HipHop-Szene. Wir haben z.B. eine Frau, die Rapperin ist, und die schreibt dann auch Texte mit den Mädchen.

AVIVA-Berlin: Was passiert in dieser Woche genau?
Antonie Armbruster-Petersen: Jeden Tag werden verschiedene Workshops stattfinden, zum Beispiel mit einer Sprayerin, einer DJane, mit der Rapperin. Weil es sicher voll wird, sollten die Mädchen sich anmelden. An zwei Abenden zeigen wir Filme über Frauen im HipHop – es war ziemlich schwierig, überhaupt welche zu finden, in denen es um Frauen geht. Filme aus Deutschland finden sich noch weniger – obwohl es natürlich auch in Deutschland Hiphopperinnen gibt, es existieren aber keine Filme über sie. Am Freitag gibt es dann ein großes Abschluss- Event mit Bühnenprogramm und Graffiti-Ausstellung. Hierzu und zu den Filmen sind auch Jungen und Männer eingeladen. Das Ganze wird von einer Filmerin aufgenommen, wir produzieren sozusagen einen ersten kleinen Film über Mädchen im HipHop.

AVIVA-Berlin: Was habt ihr darüber hinaus für die Zukunft geplant?
Antonie Armbruster-Petersen: Wir wollen noch mehr aus unserem Angebot machen und zum Beispiel die Kurse mit einer Berufsorientierung verbinden. Für Dezember planen wir ein Projekt, in dem die Mädchen erforschen, welche Berufsmöglichkeiten es in den Bereichen gibt, in denen wir Kurse anbieten - wie Mode, Hip Hop, Capoeeira, Yoga. Bildung finde ich sehr wichtig, gerade für Mädchen, die nicht so viele Möglichkeiten haben. Es geht ja nicht nur um Bewerbungstraining, sondern darum zu erfahren, was überhaupt möglich ist.

Außerdem werden wir uns weiter mit Mädchen- und Frauenbildern beschäftigen. Wir könnten untersuchen, welche Bilder in den verschiedenen Szenen existieren - in der Bauchtanzszene, im Metal, im Pop, im Techno, in den ganzen Subkulturen. Toll wäre es, daraus einen Film zu machen.
Ganz wichtig ist es mehr Kooperation im Haus zu haben, da das Acud als Ort sehr viele Möglichkeiten bieten kann.

AVIVA-Berlin: Hast du das Gefühl, das ist etwas, womit die Mädchen sich aktiv auseinandersetzen? Denken sie über diese Frauenbilder nach?
Antonie Armbruster-Petersen: Ich glaube schon. Aber das kann ich nach der Girlz Culture-Woche besser beantworten.
Ich glaube, natürlich spielt der Körper, das Sich-In-Szene-Setzen für uns alle eine große Rolle, heute noch viel mehr als früher. Die Werbung vermittelt ein Bild davon, wie ein Körper auszusehen hat: frau ist jung und frau ist hübsch, sie hat ein gutes Makeup und so weiter. Ich glaube, dass das ein ganz dringendes Thema ist. Wir müssen schauen, was Mädchen wirklich wollen und was von außen an Bildern suggeriert wird. Ich glaube, da haben wir noch jede Menge Arbeit zu tun. Das ist ein Ziel in der Mädchenarbeit: diese Entwicklung zu kritisieren, und Räume zu schaffen, wo du sein darfst, wie du bist.

AVIVA-Berlin: Viel Erfolg für den Acud Mädchenclub und euer HipHop-Projekt!

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"girlz culture - do it now"

und zum We B Girlz-Festival 2008

We B Girlz Festival. Erstes Hip-Hop-Festival für Frauen in Berlin.


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Beitrag vom 10.07.2009

Claire Horst