Chahdortt Djavann im Interview. Interview avec Chahdortt Djavann. Französisch und Deutsch - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 14.07.2010


Chahdortt Djavann im Interview. Interview avec Chahdortt Djavann. Französisch und Deutsch
Evelyn Gaida

Mit ihrem Roman "Die Stumme", der in Deutschland im Juni 2010 erschien, ist Chahdortt Chavann ein erschütterndes und thematisch wie sprachlich verdichtetes Buch über das tragische Schicksal von ...




... zwei außergewöhnlichen iranischen Frauen gelungen, die zum Opfer nicht nur des islamistischen Regimes, sondern einer tief in die Gesellschaft eingedrungenen Indoktrination und Ideologie werden.

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Neben ihren Romanen "Die Stumme" und dem Debüt "Parvaneh heißt Schmetterling" hat die politische Aktivistin auch mehrere Sachbücher und Essays über die Gefahren des Islamismus veröffentlicht. Der Essay "Was denkt Allah über Europa? Gegen die islamistische Bedrohung" ist beispielhaft für ihre furchtlose Entschiedenheit. Die 1967 im Iran geborene und 1993 von dort nach Frankreich geflohene Soziologin gilt international als vielzitierte Islam-Expertin, die zudem für ihre aktive und kämpferische Beteiligung an der Kopftuchdebatte bekannt ist. Selbstbewusst und mutig zeigte Djavann sich auch im Interview mit AVIVA-Berlin.

AVIVA-Berlin: Der Roman suggeriert von Beginn an eine wahre Begebenheit: Gab tatsächlich ein spezifisches Frauen-/Mädchenschicksal den Ausschlag dazu, diese Geschichte zu schreiben, oder ist darin vor allem exemplarisch eine allgemeine bzw. weit verbreitete Situation von Frauen im Iran dargestellt?
Chahdortt Djavann: Das Buch ist ein Roman und somit Fiktion, basiert aber auf realen Tatsachen. Vergleichbare Fälle gibt es im Iran. Jedes Jahr organisiert die iranische Regierung öffentliche Hängungen, während derer auch Minderjährige hingerichtet werden, Mädchen und Jungen. Es gibt jedes Jahr Fälle von sehr jungen Verurteilten zwischen 12 und 15 Jahren, die zum Tode verurteilt wurden, weil sie ihren zu alten oder polygamen Ehemann oder ihren Vergewaltiger getötet haben. Von diesen Tatsachen ausgehend habe ich also meine Geschichte ausgedacht. Das Vorstellungsvermögen nährt sich an der Realität.

AVIVA-Berlin: Sich in die Perspektive einer 15-Jährigen, zum Tode Verurteilten hineinzuversetzen ist sicher eine große Herausforderung. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet und eingestellt? Wie schwer ist es Ihnen gefallen?
Chahdortt Djavann: Psychologisch war es schwierig. Ich habe mich zuhause eingeschlossen, um das Buch zu schreiben. Wie eine Schauspielerin, die eine wichtige und anstrengende Rolle spielt, musste ich mich mit der Stummen und ihrer Nichte identifizieren. Übrigens verlangt die Verwendung der ersten Person, der Ich-Erzählerin, eine sehr prägnante Sprache, jeder Satz musste die Geschichte weiter voranbringen.

AVIVA-Berlin: Die Stumme (als Person) setzt sich einerseits in radikaler Weise über bestimmte Vorschriften und Verbote hinweg - beispielsweise trägt sie kein Kopftuch, kleidet sich anders als die Frauen in ihrem Viertel und zeigt dem Mann, den sie liebt, offen ihre Zuneigung. Ihr absolutes Schweigen gibt ihr eine Form von Macht und ermöglicht einen gewissen Grad an Verweigerung, Selbstbestimmung. Andererseits ist sie eine extrem traumatisierte Frau, ist das Schweigen Ausdruck von Ohnmacht. Ist sie eine Symbolfigur?
Chahdortt Djavann: Mit der Person der Stummen wollte ich denen eine Stimme geben, die man sonst nicht hört. Normalerweise sind es die Geschichten von gebildeten, in Europa aufgewachsenen iranischen Mädchen, die erzählt werden. Aber diese entsprechen nicht der Realität der großen Mehrheit der iranischen Mädchen. In den defavorisierten Milieus kann ihr Schicksal tragisch sein - und leider leben heute mehr als 70% der Iraner in Armut.

AVIVA-Berlin: Der Roman zeigt differenziert auf, wie tief der Islamismus in die Weltanschauung vor allem einer benachteiligten Gesellschaftsschicht im Iran eingedrungen ist. In ihrer Anmerkung am Ende des Romans appelliert die Journalistin an den Westen, das Schicksal Fatamehs und der Stummen nicht untergehen zu lassen, "Aufheben" darum zu machen. Was kann Ihrer Meinung nach dieser Indoktrination (aus westlicher und iranischer Sicht) entgegengesetzt werden?
Chahdortt Djavann: Die Rolle der Weitergabe, der Erziehung und der Medien ist sehr wichtig.

AVIVA-Berlin: Sie sind vehemente Verfechterin des Kopftuchverbotes. Viele Musliminnen fühlen sich in westlichen Gesellschaften umgekehrt aufgrund ihres Kopftuches diskriminiert. Könnte das Kopftuchverbot dazu führen, dass Musliminnen sich wiederum von den westlichen Gesetzen unterdrückt fühlen und anfälliger für den Islamismus werden?
Kurz gefragt: Könnte das Kopftuchverbot den Islamismus für MigrantInnen auch attraktiver machen?
Chahdortt Djavann: Die wahren Schriftsteller, Männer und Frauen, aber besonders die Frauen, haben immer den Ruf, vehement zu sein. Um auf diese Frage zu antworten: Ich glaube nicht, dass ein Verschleierungsverbot die Moslems stigmatisert – im Gegenteil, es ist der Schleier, der sie stigmatisiert.

AVIVA-Berlin: Sehen Sie einen Konflikt zwischen dem Kopftuchverbot und dem Recht auf freie Meinungsäußerung, der Religionsfreiheit gegeben?
Chahdortt Djavann: Auch in demokratischen Gesellschaften sind viele Dinge verboten. Meinungsfreiheit bedeutet nicht Anarchie und Gesetzlosigkeit.

AVIVA-Berlin: Wie sieht Ihr heutiger Kontakt zu Ihrem Herkunftsland aus? Nach Ihren Veröffentlichungen ist es sicher unmöglich und zu gefährlich dorthin zu reisen?
Chahdortt Djavann: Ginge ich in den Iran zurück, würde ich wegen meiner Bücher zum Tode verurteilt.

AVIVA-Berlin: Gab es von iranischer Seite bereits offizielle oder sonstige relevante Reaktionen auf Ihre Arbeit?
Chahdortt Djavann: Meine Bücher stellen eine Anklage gegen die iranische Regierung dar. Das gefällt jenen Männern und Frauen nicht, die im Westen – sei es implizit oder explizit – dieser Regierung dienen.

AVIVA-Berlin: Sie verfassen sowohl politische Bücher und Essays, als auch Romane. Fühlen Sie sich zu einer dieser Herangehensweisen/Artikulationsweisen eher hingezogen, als zu der anderen? Auf welche Werke gab es bisher die stärksten Reaktionen? Von wem?
Chahdortt Djavann: Meine Essays und Romane hatten in Frankreich Erfolg, meine Leserinnen und Leser kommen aus allen Gesellschafts- und Altersschichten, von 16 bis 80 Jahren: Universitätsprofessoren, Rentner, Studenten, Hausfrauen und Schüler. Linke und Rechte. Einige meiner Bücher werden in Schulen und Universitäten behandelt. Die Literaten bevorzugen meine Romane, die Forscher und Politiker meine Essays. Was mich angeht, habe ich eine Leidenschaft für die klassische Literatur aus Frankreich, England und Russland aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Und die deutsche Philosophie.

AVIVA-Berlin: Wie schätzen Sie die aktuelle politische Lage für Frauen im Iran ein? Haben die Demonstrationen des letzten Jahres Sie hoffnungsvoll gestimmt?
Chahdortt Djavann: Im September 2009 habe ich einen offenen Brief an die westlichen Regierungschefs veröffentlicht, in dem ich sage, was ich denke. Aber leider bin ich keine Optimistin.

AVIVA-Berlin: An welchen Projekten (zu diesem Themenkreis) arbeiten Sie gerade oder welche Projekte planen Sie?
Chahdortt Djavann: Ich arbeite an meinem neuen Buch, mein Leben ist dem Schreiben gewidmet.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview, alles Gute und weiterhin viel Erfolg!


Interview avec Chahdortt Djavann

Avec "La muette", publié en Allemagne en juin 2010, Chahdortt Djavann signe un roman bouleversant, d´une grande richesse tant au niveau de la langue que du contenu, qui traite du sort tragique de deux femmes iraniennes. Deux femmes extraordinaires qui ne sont pas seulement victimes du régime islamiste, mais aussi d´un endoctrinement et d´une idéologie profondément ancrées dans la société.

En plus de ses romans, dont le premier intitulé "Je viens d´ailleurs" a été publié en Allemagne sous le titre "Parvaneh heißt Schmetterling", Chahdortt Djavann a écrit plusieurs ouvrages politiques et essais sur les dangers de l´islamisme. Son essai "Que pense Allah de l´Europe ?" est exemplaire de sa détermination et de son courage. La sociologue, née en Iran en 1967 et réfugiée en France depuis 1993, est une experte internationalement reconnue pour ce qui concerne les questions liées à l´Islam. Elle s´est notamment fait remarquer dans les débats sur le port du voile en France. Sûre d´elle et courageuse, c´est aussi la manière dont elle se présente dans l´interview avec AVIVA-Berlin.


(Traduit par Marie Heidingsfelder et Aurélia Vartanian)

AVIVA-Berlin: Dès le début, votre roman donne l´impression qu´il s´agit d´une histoire vraie. Décrivez-vous le destin d´une femme en particulier ou bien vous servez-vous d´un exemple pour décrire une situation plus générale, répandue en Iran ?
Chahdortt Djavann: Le livre est un roman donc une fiction, mais basé sur des faits réels. Il existe des cas semblables en Iran. Le régime iranien organise chaque année de nombreuses pendaisons publiques, parmi lesquelles il y a des mineures. Filles et garçons. Il y a chaque année des cas de jeune adolescentes, 12- 15 ans, condamnées à mort, parce qu´ils ont assassiné leur mari trop vieux et polygame ou leur violeur. J´ai donc imaginé à partir des faits réels cette histoire. L´imaginaire se nourrit de la réalité.

AVIVA-Berlin: Entrer dans la peau d´une fille de quinze ans, condamnée à mort, est certainement un enjeu. Comment vous êtes-vous préparée et avez-vous réussi ce pari? Etait-ce difficile ?
Chahdortt Djavann: Psychologiquement c´était difficile. Je me suis enfermée chez moi pour écrire ce livre. À la manière d´une comédienne qui joue un rôle important et éprouvant, j´ai dû m´identifier à la muette et à sa nièce. Par ailleurs, l´utilisation de la première personne, du je, exige une écriture concise. Il fallait que chaque phrase fasse avancer l´histoire.

AVIVA-Berlin: D´un coté, le personnage de la muette refuse radicalement d´obéir à certaines règles – par exemple elle refuse de porter le voile, s´habille différemment des autres femmes de son quartier et montre souvent son affection à l´homme qu´elle aime. Son silence absolu lui donne une sorte de pouvoir et la possibilité de refuser dans une certaine mesure d´obéir. D´un autre coté, elle est totalement traumatisée et son silence est l´expression de son absence de pouvoir. Est-elle une figure symbolique ?
Chahdortt Djavann: À travers le personnage de la muette, j´ai voulu faire entendre la voix de celles qu´on n´entend pas. En règle générale, les histoires racontées sont celles des filles iraniennes éduquées et élevées dans les pensions européennes. Telle n´est pas la réalité des vies de l´immense majorité des jeunes filles iraniennes. Dans les milieux défavorisés, leur sort peut être tragique. Et hélas aujourd´hui plus de 70 % des Iraniens vivent dans la misère.

AVIVA-Berlin: Votre roman montre de différentes manières à quel point l´islamisme est ancré dans la vision du monde des couches sociales défavorisées. A la fin du roman, la journaliste s´adresse à l´Ouest pour que ne soit jamais oublié le destin de Fatamehs et de la muette, pour que cette histoire fasse scandale. Comment à votre avis pourrait-on s´opposer, du coté occidental comme du côté iranien, à cet endoctrinement ?
Chahdortt Djavann: Le rôle de la transmission, de l´éducation et des médias est très important.

AVIVA-Berlin: Vous défendez avec véhémence l´interdiction du port du voile. Dans la société occidentale, beaucoup de femmes musulmanes se sentent au contraire discriminées lorsqu´on leur interdit de porter le voile. Ne craignez-vous pas que l´interdiction du port du voile ne donne encore plus l´impression à ces femmes musulmanes d´être discriminées et ne les pousse à se rapprocher d´un islamisme radical? En clair: interdire aux migrantes de porter le voile ne risque-t-il pas de rendre l´islamisme radical encore plus attractif ?
Chahdortt Djavann: Les vrais écrivains, homme ou femme, surtout les femmes, ont toujours eu la réputation d´être véhéments. Pour répondre à votre question, je ne crois pas qu´une loi contre le voile stigmatise les musulmans, au contraire, c´est le voile qui les stigmatise.

AVIVA-Berlin: Considérez-vous que l´interdiction du port du voile rentre en contradiction avec la liberté d´expression et le droit de pratiquer librement sa propre religion ?
Chahdortt Djavann: Il y a beaucoup de choses qui sont interdites dans les sociétés démocratiques. La liberté d´expression ne signifie pas l´anarchisme et l´absence de loi.

AVIVA-Berlin: Comment maintenez-vous aujourd´hui le contact avec votre pays d´origine ? Suite à la publication de vos livres, est-il pour vous impossible et dangereux de vous y rendre ?
Chahdortt Djavann: Si je rentre en Iran je serai condamnée à mort à cause de mes livres.

AVIVA-Berlin: Existe-il de la part des iraniens des réactions (officielles ou non) à votre travail ?
Chahdortt Djavann: Mes livres constituent un réquisitoire contre le régime iranien et cela ne doit pas plaire à celles et ceux qui en Occident d´une façon explicite ou implicite sont au service du régime.

AVIVA-Berlin: Vous écrivez des livres politiques, des essais, mais également des romans. L´un de ces genres vous attire-t-il plus que les autres ? Quels textes provoquent les réactions les plus fortes et de qui ?
Chahdortt Djavann: Mes essais et mes romans ont connus du succès en France. Les lecteurs de mes livres sont de tout milieux, et de tout âge. Des professeurs d´université, des retraités, des étudiants, des mères de familles, des lycéens, de 16 ans à 80 ans. Des gens de gauche comme de droite. Certains de mes livres sont enseignés dans les lycées ou dans les universités. Les gens littéraires préfèrent mes romans, les chercheurs et les politiques mes essais. Quant à moi, je suis une passionnée de la littérature classique française, anglaise et russe du XIX et XX siècle. Et de la philosophie allemande.

AVIVA-Berlin: Comment jugez-vous la situation politique actuelle en Iran? Les récentes manifestations vous ont-elles donné de l´espoir ?
Chahdortt Djavann: J´ai publié une lettre ouverte aux dirigeants occidentaux en septembre 2009 dans laquelle je dis ce que je pense. Hélas, je ne suis pas optimiste.

AVIVA-Berlin: Sur quoi travaillez-vous actuellement ? Quels sont vos projets futurs ?
Chahdortt Djavann: Je travaille sur un nouveau livre. Ma vie est consacrée à l´écriture.

AVIVA-Berlin: Merci beaucoup pour l'interview et bonne continuation dans votre vie et dans votre travail !

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.randomhouse.de/goldmann

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Interviews

Beitrag vom 14.07.2010

Evelyn Gaida