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Beitrag vom 15.01.2011
Interview mit Pia Marais
Yasmine Georges
AVIVA-Berlin traf die junge Regisseurin in ihrer Wahlheimat Berlin. Nach einigen Schlucken heißen Kaffees wandte sich das Gespräch Marais zweitem Spielfilm "Im Alter von Ellen", dem Thema...
...Tierschutz und einem noch unfertigen, aber neugierig machenden Drehbuch zu.
Pia Marais wurde in den siebziger Jahren in Johannesburg geboren. Sie studierte Bildhauerei und Fotografie unter anderem an der Londoner Chelsea School of Art. Ihr erster Spielfilm, "Die Unerzogenen", kam 2007 in die Kinos. Der Film wurde auf Festivals gezeigt und erhielt viele Preise, darunter den "Tiger Award" in Rotterdam.
In ihrem neuen Film "Im Alter von Ellen" erzählt sie die Geschichte einer Stewardess, die nach einer Trennung ihr Leben auf den Kopf stellt und einen Neuanfang wagt. Der Film wurde auf dem "Locarno Film Festival" gezeigt und gewann in den Kategorien "Bestes Drehbuch" und "Beste Filmmusik" auf dem Kinofest Lünen.
AVIVA-Berlin: Ihr erster Spielfilm "Die Unerzogenen" hat viel Aufmerksamkeit erregt und wurde mehrfach ausgezeichnet. Hat der Erfolg Ihres Spielfilmdebüts Sie bei ihrer Arbeit an "Im Alter von Ellen" beeinflusst? Inwiefern standen Sie unter Erfolgsdruck?
Pia Marais Nein, Erfolgsdruck habe ich bei der Arbeit an "Ellen" nicht gespürt. Bei dem zweiten Film habe ich mich sicherer gefühlt, weil nicht viel hinterfragt wurde. Ich glaube der Druck kam erst, als Ellen fertig war und wir auf ein Festival gingen, aber auch da waren die Erwartungen nicht wirklich zu spüren. Bei dem Film habe ich einfach nicht auf Preise oder Aufmerksamkeit hingearbeitet. Außerdem betrachte ich die beiden Filme unabhängig voneinander. "Ellen" ist kein auszeichenbarer Film. Er spaltet zu sehr und ich glaube, es ist schwer einen gemeinsamen Nenner zu finden.
AVIVA-Berlin: Sie haben Jeanne Balibar für die Hauptrolle ausgewählt. Hatten Sie die Schauspielerin von Anfang an im Sinn?
Pia Marais Nein, eigentlich sollte eine Deutsche die Rolle übernehmen, es war gar nicht beabsichtigt, dass eine Französin sie übernimmt. Ich habe die Castings selbst durchgeführt und etwa ein halbes Jahr nach der passenden Besetzung gesucht. In Deutschland haben wir viele Castings gehabt, aber ich hatte immer das Gefühl, dass die Figur der Ellen beim Lesen als Opfer, als krankhafte und gestörte Person wahrgenommen wurde. So habe ich sie nicht gesehen. Wir haben auch in in Skandinavien, schließlich in Holland, in Belgien und Frankreich gecastet. Dort habe ich einige Akteurinnen getroffen und Jeanne war eine von ihnen. Ich bewundere sie als Schauspielerin sehr und kannte sie vor allem aus Olivier Assayas "Last August, Early September". Die Figur aus diesem Film hatte eine gewisse Verwandtschaft zu Ellen. Ich habe Jeanne in Paris getroffen und mochte sie auf Anhieb. Ein oder zwei Wochen später hat sie mich angerufen, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatte. Es gefiel ihr und wir haben nochmal eine Art Casting gemacht, bei dem mir klar wurde, dass sie die Richtige für die Rolle war.
AVIVA-Berlin: Was hat Sie an Jeanne Balibar überzeugt?
Pia Marais Es war einfach die Art wie sie die Tür aufgemacht hat. Ich habe nach jemandem gesucht, die Erfahrung mitbringt und eine individuelle Schönheit hat, Intelligenz, Komplexität und Stärke und sie hatte das alles. Dann gab es noch diesen Moment, in dem ich dachte: Die habe ich mir genauso vorgestellt. Jeanne hat sogar wie die Figur reagiert. Ich mache oft Improvisationen bei Castings, weil ich es spannend finde, zu sehen wie die SpielerInnen mit der Figur umgehen, und bei Jeanne hat es einfach gestimmt. Das Schwierige war zu der Zeit, jemanden für Karl zu finden. Wir hatten einen jungen Schauspieler, aber es hat nicht wirklich gepasst und ich musste mich für einen von beiden entscheiden. Die Vorstellung von Karl war falsch, er war zu "unerwachsen", dadurch wirkte die Figur von Ellen sehr verloren, weil sie keinen Halt bei dieser Person gefunden hat. Wir haben sehr lange nach Karl gesucht, unter anderem an Schauspielschulen in ganz Deutschland. Stefan spielt in der Schaubühne meist die Hauptrollen, einer aus dem Theater hat mich auf ihn aufmerksam gemacht und wir haben ihn zum Casting eingeladen. Bei ihm habe ich auch auf Anhieb gespürt, dass er der Richtige war. Karl sollte für Ellen ein Fels in der Brandung sein, jemand, an dem sie sich festhalten kann und Stefan zeigte diese Eigenschaften beim Spielen.
AVIVA-Berlin: Der Film beschäftigt sich hauptsächlich mit Tierschutz, ist das auch ein persönliches Anliegen von Ihnen und wenn nicht, wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Pia Marais Ich bin zwar fast Vegetarierin, kaufe kein Fleisch aus dem Supermarkt und würde keinen Pelz tragen, aber aktiv im Tierschutz tätig bin ich nicht. Uns kam beim Schreiben der Gedanke, dass Tiere auch eine Familie sein können, ein Ersatz für eine menschliche Familie. Ich habe viel recherchiert und es ist tatsächlich so, dass viele Tiere auf die gleiche Ebene stellen wie Menschen. Ich weiß gar nicht wie es dazu kam, aber die Idee von einer Tierschutzgruppe kam ganz am Anfang auf, weil es um diese Möglichkeit des Ersetzens ging, und es war sehr interessant, sich mit dieser Idee zu beschäftigen. Wir haben unterschiedliche Gruppen getroffen und Videos zu dem Thema gesehen, die teilweise sehr schockierend waren. Ich verstehe die Menschen, die sich für die Rechte der Tiere einsetzen, aber ich denke, dass man diese Aktivitäten dennoch ambivalent betrachten muss.
AVIVA-Berlin: Nach Ihrem Bildhauerei- und Fotografiestudium haben Sie sich dem Film zugewandt, wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Pia Marais Eigentlich wollte ich nicht Kunst studieren, ich habe es nur gemacht, weil ich durch die Prüfung gefallen bin. Dann kam ich nach London und die Dozenten haben mir zur Bildhauerei geraten. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es nicht zu mir passt. Daraufhin habe ich die Schule gewechselt und kam in die audiovisuelle Abteilung. Dort habe ich den narrativen Charakter der Objekte entdeckt und als ich nach Düsseldorf ging, besuchte ich die syntaktische Filmklasse.
AVIVA-Berlin: "Im Alter von Ellen" erzählt von plötzlichen Wendungen und Veränderungen, wie kamen Sie auf diese Thematik?
Pia Marais Das hat sich einfach entwickelt. Wir wollten eine moderne Person zeigen. Die Idee einer Flugbereiterin kam auf, denn sie hat generell keine Ordnung beziehungsweise keinen Halt in ihrem Alltag. Wir haben überlegt, was passieren würde, wenn solch einer Person alles wegbrechen würde. Außerdem haben wir einen Charakter gesucht, der nicht allein sein möchte oder kann, und deshalb nach Halt sucht.
AVIVA-Berlin: Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Jeanne Balibar beschreiben?
Pia Marais Jeanne ist ein sehr aufmerksamer Mensch und achtet sehr auf andere. Sie hat sich aktiv eingebracht und viele Ideen und Assoziationen beigesteuert. Sie hat mich mit ihrem Blickwinkel sehr inspiriert. Bei Jeanne ist es so, dass sie sehr offen ist, aber sie hat auch eine starke Vorstellung davon, wie sie die Rolle auslegen will und wie sie spielen will.
AVIVA-Berlin: Haben Sie bereits ein neues Projekt in Aussicht?
Pia Marais Ja, ein südafrikanisches Projekt. Ich arbeite gerade an dem Drehbuch. Das Thema wollte ich bereits vor Jahren aufgreifen, aber ich hatte das Gefühl, dass es der falsche Zeitpunkt war. Es geht um Angst und Paranoia. Ich habe eine kleine Firma in Afrika entdeckt, in der zwei Frauen mit Lügendetektoren arbeiteten. Das war keine Polizeistation, dort wurden Privatleute getestet. Diese Privatisierung der Sicherheit finde ich schrecklich und im Grunde genommen ist das bereits eine Menschenrechtsverletzung. Andererseits kann diese Praktik auch als Metapher für die Zustände im Land gesehen werden, für das gegenseitige Misstrauen, das dort herrscht. Der Film unterscheidet sich sehr von den beiden ersten, insofern, als dass es sich hierbei um einen Genre-Film handelt und es um die Spannung bis zur Wahrheitsfindung geht.
AVIVA-Berlin: Viel Erfolg für das Projekt und vielen Dank für das Interview!
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