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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 14.02.2011


Interview mit Aisha Franz
Anna Hohle

Mit "Alien" brachte Aisha Franz im Januar 2011 eine poetische, melancholische und tiefgründige Graphic Novel auf den deutschen Comicbuchmarkt. Mit AVIVA-Berlin sprach sie über Frauen in der...




... deutschen Comiclandschaft, Traumwelten im Großstadtalltag und das unausweichliche Scheitern der Kommunikation.

1984 in Fürth geboren, studierte Aisha Franz Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel mit dem Schwerpunkt Comic und Illustration. Sie veröffentlichte bereits in den Comic-Anthologien (KU)Ŝ! und Orang. Alien ist ihre erste Buchveröffentlichung. Darin erzählt die Zeichnerin in poetischen Bildern aus dem Leben einer Mutter und ihrer beiden Töchter vor dem Hintergrund einer Kleinstadt-Tristesse: Während die ältere Schwester erste sexuelle Erfahrungen macht und der Monotonie des Alltags entfliehen möchte, träumt sich die jüngere in eine von Außerirdischen bevölkerte Fantasiewelt. Mutter Doris trauert derweil ihren durch frühe Mutterschaft verpassten Chancen auf ein vermeintlich glücklicheres Leben nach.

AVIVA-Berlin: Alien ist deine erste Buchveröffentlichung, und sie ist gleich sehr umfangreich. Wie kamst du auf das Thema und wie lange hast du an der Geschichte gezeichnet?

Aisha Franz: Im Zuge meiner Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Kassel wollte ich ein größeres Projekt in Angriff nehmen. Den Anfang bildete die Zeichnung eines Mädchens mit einem Alien, die eher zufällig entstanden ist. Sie gefiel mir und ich dachte: Warum nicht daraus eine Geschichte machen? Ich hatte ursprünglich gar nicht geplant, so eine lange Coming of Age -Story zu entwickeln! Sie ist in dieser Form von selbst – im Prozess des Zeichnens – entstanden. Ich finde es unglaublich spannend, wenn ich merke, wie die Charaktere irgendwann damit beginnen, ein Eigenleben zu entwickeln, selber zu erzählen. Ich als Zeichnerin wurde fast zu einer Art Zuschauerin, die nur versucht hat, am Ende alles in eine Form zu packen, die auch für die Leser interessant ist.
Insgesamt habe ich ein Jahr intensiv an Alien gearbeitet.

AVIVA-Berlin: Lange Zeit galten Comics in Deutschland als Trivialliteratur: unterhaltsam aber anspruchslos. Anders als beispielsweise in Frankreich, wo der Comic schon länger als ernsthafte Literatur angesehen wird. Hast du das Gefühl, dass sich bei uns in den letzten 10 Jahren in dieser Hinsicht viel verändert hat?

Aisha Franz: Ja, es hat sich viel geändert und ich vermute, es wird sich auch zukünftig noch viel ändern. Als ich vor sieben Jahren mit dem Studium begann, war der Umgang mit dem Medium Comic noch nicht so allgegenwärtig. Mittlerweile passiert sehr viel in dem Bereich, Graphic Novels wie "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" von Ulli Lust werden in den Feuilletons besprochen. Dadurch, dass immer mehr Comics entstehen, kommen viele erst auf die Idee, auch in diesem Bereich zu arbeiten. Ich war übrigens früher selbst keine Comic-Leserin. Ich wollte eigentlich eher in den Bereich Zeichentrick gehen und habe dann gemerkt, dass man mit Comics viel mehr in kürzerer Zeit erzählen kann.

AVIVA-Berlin: Interessant. Ich hätte mir jetzt vorgestellt, du wärst auch in der Kindheit schon eine eifrige Comic-Leserin gewesen.

Aisha Franz: Nein, Comicleserin wirklich nicht. Lustigerweise habe ich kürzlich entdeckt, dass ich schon als Kind eine Art "Comics" gezeichnet habe. Wenn ich damals zeitliche Abläufe darstellen wollte, habe ich manchmal auf Formen zurückgegriffen, die mich heute an Panels erinnern.

AVIVA-Berlin: Das Medium Comic erschien dir an einem gewissen Punkt als ideales Mittel, um Geschichten zu erzählen?

Aisha Franz: Ja, im Comic kann man mehr als in anderen Medien mit Text, Bild und Timing spielen. Man konstruiert eine eigene Welt, ist gleichzeitig Regisseurin, Schauspielerin und Requisiteurin, kann sich alles erschaffen. Das finde ich faszinierend.

AVIVA-Berlin: Die Werke der "klassischen" Comicliteratur aus Belgien, Frankreich und den USA stammen sämtlich von männlichen Autoren. Wenn wir heute durch die Kataloge der Verlage blättern, sind zwar schon einige Comic-Autorinnen vertreten, aber sie sind immer noch in der Minderheit. Denkst du, dass Comics von Frauen in der Branche schwerer akzeptiert werden, Autorinnen sich mehr durchsetzen müssen als die männlichen Kollegen?

Aisha Franz: Nein, das Gefühl habe momentan eigentlich überhaupt nicht, eher im Gegenteil. Ich beobachte, dass zurzeit sehr viele gute Comics von Frauen entstehen. Bei Comicmessen in Deutschland und Frankreich lerne ich viele tolle Zeichnerinnen kennen.

AVIVA-Berlin: Gibt es darunter bestimmte Vorbilder für dich?

Aisha Franz: Vorbild ist vielleicht nicht das richtige Wort, auch, da ich ja selbst relativ spät zum Comiclesen gekommen bin. Ich mag zum Beispiel sehr die israelische Zeichnerin "Rutu Modan", die Finnin Amanda Vähämäki und natürlich "Marjane Satrapi". Ich würde sie nicht als Vorbilder bezeichnen, aber beeinflusst haben sie mich sicher.

AVIVA-Berlin: Siehst du einen Unterschied zwischen Comics weiblicher Autorinnen und denen männlicher Kollegen - sowohl was den Zeichenstil als auch, was die Themenwahl betrifft?

Aisha Franz: Schon, ja. Ich denke da vor allem an die Themen. Autorinnen erzählen mehr über und aus der Sicht von Frauen und Mädchen. Obwohl es auch ein paar männliche Autoren wie Daniel Clowes mit Ghost World gibt, die glaubhaft aus einer weiblichen Perspektive erzählen. Bei den Autorinnen kommt vielleicht noch eine ungreifbare weibliche Ebene hinzu. Das kann man aber schwer beschreiben.

AVIVA-Berlin: Also eher keine Superhelden-Comics?

Aisha Franz: Nein, eher nicht. Aber warum nicht auch Superhelden-Comics von Autorinnen – das fände ich sogar ganz gut.

AVIVA-Berlin: Reden wir über dein Buch. Die Aufteilung in zwölf quadratische, direkt aneinander anschließende Panels pro Seite ist ja eher ungewöhnlich. Wieso hast du gerade dieses Format gewählt?

Aisha Franz: Ich hatte in dieser Form eigentlich zuerst nur das Raster für das Storyboard angelegt. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich diesen Aufbau ganz schön finde - für die Geschichte auch passender als eine klassische Panel-Aufteilung. Ich hatte eigentlich zunächst kein wirkliches Programm, sondern habe eher Seite für Seite gedacht.

AVIVA-Berlin: Alien ist eine Geschichte, in der es viel um Veränderungsprozesse, um Entwicklungen geht. Die beiden Schwestern realisieren, dass bestimmte Phasen ihres Lebens enden. Kennst du dieses Gefühl aus eigener Erfahrung: dass man eine bestimmte Lebensphase festhalten will und trotzdem spürt, dass sie vorbei gehen muss?

Aisha Franz: Ja, ansatzweise schon. Bei der kleineren der Schwestern stellt sich das Ganze eher als eine nicht aufzuhaltende Entwicklung dar, auch als etwas Körperliches, und so seltsam dieses Neue auch ist: Es kommt einfach. Bei der älteren Schwester ist es ähnlich, aber sie versucht auch ein wenig, Entwicklung zu erzwingen und gerät dabei in einen Leerlauf. Das ist eine Situation, die, glaube ich viele aus dem Alter kennen: Man kann nicht zurück, aber auch nicht richtig nach vorne. Man fokussiert sich auf bestimmte Dinge, denkt, "das muss ich jetzt durchziehen", weiß dabei aber gleichzeitig nicht, ob das nun eigentlich das Richtige für einen ist.

AVIVA-Berlin: Hast du dir schon einmal gewünscht, die Zeit zurück drehen zu können, um bestimmte Entscheidungen rückgängig zu machen?

Aisha Franz: Nein, in dieser extremen Form nicht. Bei den Figuren der Töchter ist natürlich auch Eigenes eingeflossen, Ängste und Probleme, die ich hatte, Fragen, die ich mir in ähnlicher Weise gestellt habe. Was Doris erlebt, kann ich ja allein altersmäßig noch nicht nachvollziehen. Aber es ist vielleicht eine Angst, die viele in sich tragen: dass es einmal so oder ähnlich kommen könnte, dass man Wünsche und Bedürfnisse in der Lebensplanung zu lange verdrängt und plötzlich keinen Einfluss mehr darauf hat. Ich kenne ähnlich krisenhafte Situationen auch aus Gesprächen mit Bekannten. Wenn lange Verdrängtes plötzlich in ein scheinbar perfektes Leben einbricht und die Fassade zu bröckeln beginnt.

AVIVA-Berlin: Jede der drei Protagonistinnen in Alien befindet sich in einer Ängste auslösenden Umbruchsituation, leidet aber gewissermaßen für sich allein. Als LeserIn fragt man sich: Warum sprechen sie nicht miteinander, erzählen sich von ihren Ängsten und Sorgen? Ist Miteinandersprechen manchmal einfach nicht möglich?

Aisha Franz: Im Falle von Alien stellt sich die Situation ja so dar, dass sich die gesamte Handlung auf nur einen Tag konzentriert, an dem sich im Leben jeder Einzelnen Einschneidendes ereignet. Und man kennt es ja: Wenn man sehr mit sich selbst beschäftigt ist, verschließt man sich eher. So geht es auch den drei Protagonistinnen. Die jüngere Tochter ist ja sowieso sehr zurückgezogen und die zweite in einem Alter, in dem man von Natur aus eher eine Abwehrhaltung einnimmt. Von der Mutter würde man nun vielleicht ein größeres Feingefühl "erwarten", den Versuch, ein Gespräch zu initiieren. Aber auch sie steckt in einer akuten Krise, ihr Leben bricht in gewisser Weise ein und ihre Gedanken kreisen um essentielle Weichenstellungen in ihrer Vita. Das macht auch ihr diesen Schritt unmöglich.
Es stimmt also, in akuten Krisenzeiten ist Miteinandersprechen manchmal einfach nicht möglich. Ich habe allerdings versucht, das Ende in dieser Hinsicht auch etwas versöhnlich zu gestalten.

AVIVA-Berlin: Eine isolierte Kreatur – ausgesetzt in einem fremden Universum, dessen Sprache und Regeln sie nicht versteht. Wie viel eines Aliens steckt in jeder/m von uns?

Aisha Franz: Es ist nicht zu bestreiten, dass diese unausweichlichen Kommunikationshindernisse existieren. Das ist in gewisser Weise etwas sehr Menschliches, und gerade in Krisen- und Umbruchzeiten fällt Kommunikation besonders schwer.

AVIVA-Berlin: Die Mutter in Alien heißt Doris, die beiden Mädchen bleiben jedoch namenlos. War das beabsichtigt?

Aisha Franz: Ja, Ähnliches gilt auch für den Ort, an dem die Geschichte spielt. Ich wollte ihn bewusst schemenhaft und anonym halten, so dass er keinen und zugleich viele Orte repräsentieren kann. Jeder Name, den man vergibt, weckt automatisch Assoziationen und Zuschreibungen, und das wollte ich vermeiden. Doris trägt als Einzige einen Namen. Das hängt auch damit zusammen, dass sie eine Person repräsentiert, die sich selbst bereits als "festgenagelt" empfindet. Auch ihr Alter Ego spricht sie mit diesem Namen an.

AVIVA-Berlin: Alien hat mich ein wenig an David Lynch-Filme erinnert oder die Bücher von Haruki Murakami. Das Unheimliche, Fantastische bricht in Episoden in den Alltag ein, wirkt jedoch nicht deplaziert, sondern völlig selbstverständlich. War diese Wirkung beabsichtigt?

Aisha Franz: Ich finde, das Fantastische, Traumwelten, gehören in gewisser Weise zur Realität. Ich habe solche Sequenzen auch genutzt, um bestimmte Abläufe prägnanter darzustellen, beispielsweise die mit Niedlichkeits-Attributen überzeichnete Kindheitswelt, in die die beiden Freundinnen zurückversetzt werden. Traumwelten gehören ja zur Kindheit, dort sind sie ganz präsent.
Aber auch im Erwachsenenalter verschwinden sie nicht völlig. Allein der Alltag in der Stadt ist nach meinem Empfinden voll von solchen leicht surrealen Situationen, in denen man etwas flüchtig sieht und sich fragt: "Was war das denn?"
Vielleicht ist das auch ein unbewusster Einfluss von Medien wie den David Lynch-Filmen. Ich mag es, wenn die Grenzen zwischen diesen Traumwelten und der Wirklichkeit verschwimmen, die Realität bröckelt oder einbricht.

AVIVA-Berlin: Hat es dir Spaß gemacht, an so einem umfangreichen Comicroman zu arbeiten? Planst du ähnliche Projekte für die nächste Zeit?

Aisha Franz: Ich muss sagen, im Moment fällt es mir fast schwer, wieder kurze Comics zu machen! Obwohl ich auch das mag. Ich habe schon Ideen für ein neues Buch, was wahrscheinlich wieder etwas länger werden wird. Die Arbeit an Alien hat mir gezeigt, dass es großen Spaß machen kann, so lange intensiv an einem Projekt zu arbeiten.

AVIVA-Berlin: Eine letzte Frage: Auf deiner Website erwähnst du, dass du nach einem TV-Elefanten benannt wurdest? Wie kam es denn dazu?

Aisha Franz: Meine Eltern haben damals vor meiner Geburt im Fernsehen eine Dokumentation über eine Frau gesehen, die in Kenia eine Aufzuchtstation für Elefantenbabys betrieb. Eines davon hieß Aisha. Meine Eltern kannten den Namen damals gar nicht, fanden ihn aber so schön, dass sie mich so genannt haben. Ich habe sogar mal etwas recherchiert, aber leider nie rausgefunden, wie diese Sendung genau hieß.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das anregende Gespräch und viel Erfolg für deine nächsten Projekte!

Weitere Infos und Kontakt unter: www.fraufranz.com

Rechts: Aisha Franz. Links: Anna Hohle, AVIVA-Berlin. © Sharon Adler


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Beitrag vom 14.02.2011

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