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Beitrag vom 21.10.2008
Interview mit Anjorka Strechel
S. Pommerenke / M. Müller
Anlässlich des Kinofilms "Mein Freund aus Faro", der am 30. Oktober 2008 anläuft, führte AVIVA-Berlin mit der Hauptdarstellerin Anjorka Strechel ein Interview, die darin ihre erste große...
...Rolle auf Leinwand präsentiert. Im Film geht es um das Hinterfragen von Geschlechtergrenzen, das aber immer mit einem Augenzwinkern geschieht und dennoch die vermeintlich normierte Gesellschaft in Frage stellt.
Lesen Sie auch die Besprechung zum Film und das Interview mit der Regisseurin Nana Neul auf AVIVA-Berlin.
AVIVA-Berlin: Sie mussten sich für die Rolle von Melanie/Miguel die Haare radikal kurz schneiden lassen. Fiel Ihnen das schwer, oder sehen Sie das vielmehr als "Berufsrisiko" einer Schauspielerin?
Anjorka Strechel: Das ist tatsächlich ein Berufsrisiko. Außerdem fällt es leichter, eine Figur zu spielen, wenn man sich dafür auch äußerlich verändert. So habe ich mir die Haare nicht nur schneiden lassen, sie wurden auch schwarz gefärbt und ich bekam braune Kontaktlinsen.
AVIVA-Berlin: Die Liste Ihrer sportlichen Fähigkeiten ist sehr lang: von Slackline über Golf bis zum Silbernen Reiterabzeichen, und Sie haben einen sehr durchtrainierten Körper. Wie konnten Sie ihre Leidenschaft für den Sport mit dem exorbitanten Nikotinkonsum vereinbaren, dem sich Melanie/ Miguel hingibt, oder fiel das für Sie ebenfalls unter "Berufsrisiko"?
Anjorka Strechel: Den Großteil meiner Sportkarriere erlebte ich in meiner Schulzeit. Seit ich am Theater bin, kann ich wegen des Verletzungsrisikos keinen Sport mehr leistungsmäßig betreiben.
Während der Dreharbeiten ist mir gar nicht aufgefallen, dass Mel so viel raucht. Nach ihrer Verwandlung in Miguel war die Zigarette sicher auch eine Hilfe für sie, vor Jenny den Jungen glaubhaft darzustellen.
AVIVA-Berlin: Sie spielten bisher überwiegend am Theater und hatten mit "Mein Freund aus Faro" ihr Leinwanddebut als Hauptdarstellerin. Nun stehen Sie in Russland für eine Produktion von Alexey Uchitel erneut vor der Kamera. Sehen Sie ihre Zukunft eher am Theater oder beim Film, und was reizt Sie daran?
Anjorka Strechel: Das ist schwierig zu beantworten. Mich reizen beide Bereiche. Ich habe große Lust zu drehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, das Theater komplett aufzugeben.
AVIVA-Berlin: Wie bereiteten Sie sich mental auf die Rolle als Melanie/ Miguel vor? Haben Sie sich mit der Lesben- und Transgender-Szene auseinandergesetzt, oder haben Sie vieles aus dem Bauch heraus gespielt?
Anjorka Strechel: Ich habe Jungs auf der Straße beobachtet, mir ihre Bewegungen und Verhaltensweisen gemerkt und dann probiert, das als Miguel umzusetzen. Aber ich bin nicht in Szene-Kneipen gegangen, um dort mit Leuten zu sprechen.
AVIVA-Berlin: Es gibt eine Szene in "Mein Freund aus Faro", bei der Sie nackt auf dem Waldboden liegen. Fiel es Ihnen schwer, sich so völlig schutzlos vor der Kamera und dem ganzen Team zu präsentieren?
Anjorka Strechel: Es gibt bei solchen Szenen ein closed set, d.h., nicht das ganze Team nur die notwendigsten Personen sind beim Drehen anwesend. Natürlich fiel es mir nicht gerade leicht. Aber ich hatte Vertrauen zu meiner Regisseurin und verstand, warum es für die Geschichte notwendig war. Wenn es dem Film dient, muss man seine Angst überwinden können.
AVIVA-Berlin: Gerade die Verfolgungsszene im Kornfeld von Melanie/Miguel erinnert stark an den amerikanischen Film "Boys Don`t Cry" aus dem Jahr 1999. Dieser basiert auf der wahren Geschichte über den Transboy Brandon Teena, der später umgebracht wurde. "Mein Freund aus Faro" hat hingegen ein positives Ende und Melanie/Miguel emanzipiert sich von ihrer/seiner Umwelt. Wie wichtig war für Sie die Emanzipation der Figur?
Anjorka Strechel: Für mich erzählt die Geschichte das Erwachsenwerden der Figur Mel. Sie bekommt durch dieses Erlebnis die Kraft, aus ihren Verhältnissen auszubrechen und den Mut, ihren eigenen Weg im Leben zu gehen.
AVIVA-Berlin: Von Greven im Münsterland, wo der Film spielt, bis nach Norddeich, wo sich die beiden Protagonistinnen für einige Stunden am Strand treffen, sind es 365 km. Würden Sie sich ebenso spontan wie Melanie/Miguel in ihr/sein Auto setzen und für ein paar Stunden Abenteuer diese weite Strecke auf sich nehmen?
Anjorka Strechel: Wer würde das nicht?
AVIVA-Berlin: Sie haben direkt nach dem Abitur ein Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg angefangen. Wann stand für Sie fest, dass Sie Schauspielerin werden wollten?
Anjorka Strechel: Mit neun Jahren habe ich im Theater Lüneburg beim Weihnachtsmärchen "Pippi Langstrumpf" den Affen gespielt. Anschließend war ich die Gretl in "The Sound of Music" und da entdeckte ich meine Leidenschaft für Musicals. Seitdem wollte ich Schauspielerin werden.
AVIVA-Berlin: Was würden Sie tun, wenn Sie einen Tag lang in die Rolle eines Mannes schlüpfen könnten?
Anjorka Strechel: Das weiß ich nicht. Das könnte ich nur spontan entscheiden. Vielleicht würde ich das, was ich mir jetzt vorstelle, gar nicht wollen, wenn ich ein Mann wäre.
AVIVA-Berlin: Worum geht es in Ihrem neuen Film, der in St. Petersburg gedreht wird und den Arbeitstitel "Gustav" trägt?
Anjorka Strechel: Er spielt 1945 in Sibirien bei russischen Waldarbeitern, ehemaligen deutschen Gefangenen. Ich spiele eine Deutsche, die vier Jahre versteckt in der Taiga gelebt hat. Mein Kollege ist Vladimir Mashkov und Regie führt Alexey Uchitel. Mehr darf ich leider noch nicht verraten …
Die Hauptdarstellerin Anjorka Strechel, geboren 1982, hat ein Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg absolviert. Bislang arbeitete sie vor allem für das Osnabrücker Theater und steht zur Zeit in Russland mit Vladimir Mashkov vor der Kamera für einen Film von Alexey Uchitel mit dem Arbeitstitel "Gustav". Strechel wurde brillant für die Rolle der Melanie bzw. des Miguels ausgewählt und beweist, dass sie auch vor der Kamera überzeugend in einen anderen Charakter schlüpfen kann.