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Beitrag vom 13.04.2009
Interview mit Ruth Klüger
Pommerenke, Horst
Ruth Klüger: Jüdin, Feministin, Mutter, Holocaust-Überlebende, emigrierte Wienerin, Wahl-Amerikanerin, Autorin und Literaturwissenschaftlerin hat in Deutschland und den USA ...
... als Germanistik Professorin gearbeitet. Im März dieses Jahres brachte sie die Aufsatzsammlung "Katastrophen. Über deutsche Literatur" erneut heraus, wodurch den LeserInnen eine neue Lesart klassischer Texte ermöglicht wird. AVIVA-Berlin führte mit der in Kalifornien lebenden Germanistin ein E-Mail Interview.
AVIVA-Berlin: Deutsch ist die Sprache der TäterInnen und viele Holocaust-Überlebende haben die Sprache nach 1945 nicht mehr verwendet. Sie hingegen haben sich entschieden, deutsche Literatur zu studieren. War das für Sie eine Möglichkeit, sich zu behaupten und die Literatur zurückzuerobern?
Ruth Klüger: Meine Muttersprache ist kein Problem für mich. Niemand hat sie mir weggenommen (weil das niemand kann), und die Nazis sind die letzten, denen ich sie geschenkt hätte. Die Germanistik bot mir einen Beruf, den ich jahrzehntelang mit großer Befriedigung ausgeübt habe.
AVIVA-Berlin: Kleist wurde immer wieder als Nationaldichter reklamiert. Es ist sehr schwierig, ihn losgelöst von seiner Rezeption zu lesen. Was fasziniert Sie so an seinen Texten?
Ruth Klüger: Kleist ist meiner Ansicht nach der größte Dramatiker und einer der größten Erzähler, die je deutsch geschrieben haben. Dass Nationalisten und Fanatiker nicht lesen können und das Gelesene verdrehen, ist keine Neuigkeit. Übrigens war er kein Antisemit, das ist reine Verleumdung.
AVIVA-Berlin: Sie weisen immer wieder darauf hin, dass antisemitisches Denken weiter herrscht. Was glauben Sie, warum selbst Intellektuelle wie Martin Walser dagegen nicht gefeit sind?
Ruth Klüger: Da bin ich überfragt. Der ganze zweitausendjährige Antisemitismus ist mir ein Rätsel.
AVIVA-Berlin: Mit welchem Gefühl gehen Sie nach Israel bzw. wie schätzen Sie die Ergebnisse der Regierungsbildung nach den Wahlen in 2009 ein? Glauben Sie, dass die aktuelle Regierung für einen Frieden eher hinderlich oder förderlich ist?
Ruth Klüger: Dafür bin ich nicht zuständig. Ich kenne mich in der israelischen Politik nur sehr schlecht aus. Ich bin Amerikanerin, kann eher Fragen über die amerikanische Politik, mit der ich im Moment ganz zufrieden bin, beantworten.
AVIVA-Berlin: Welches Werk der gegenwärtigen Literatur in Israel hat Sie aktuell beeindruckt?
Ruth Klüger: Sehr empfehlenswert ist Abraham B. Yehoshuas letzter Roman, der auf Englisch "Friendly Fire" heißt und auf Deutsch wohl ebenso, ein Buch, in dem das öffentliche und das Privatleben in Israel in seinen weitläufigen Verknüpfungen mit großer Sympathie und Intelligenz dargestellt wird. Ein Autor, der den Nobelpreis verdient.
AVIVA-Berlin: Haben Sie einen Lieblingsort in Israel?
Ruth Klüger: Ich kenne mich dort überhaupt nicht aus, war nur ein paarmal und immer als Touristin und ganz kurz in dem Land. Meine Kinder waren noch nie dort und scheinen kein Interesse an einer solchen Reise an den Tag zu legen. Ich bin in erster und zweiter Linie Amerikanerin und Europäerin. Israel hat nur einen sentimentalen Stellenwert in meinem Leben und Denken.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihren zukünftigen Projekten.
Lesen Sie auch die Rezension zu Ruth Klüger - unterwegs verloren auf AVIVA-Berlin.