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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.05.2009


Interview mit Efrat Alony
Silvy Pommerenke

Efrat Alony, Israelin mit irakischen Wurzeln und Wahlberlinerin, gehört zu den außergewöhnlichsten und eindrucksvollsten Stimmen im Jazz-Bereich und ist die Leadsängerin des Trios ALONY.




AVIVA-Berlin: Dein neues Album "Dismantling Dreams" ist fantastisch geworden, was nicht anders zu erwarten war. Es unterscheidet sich musikalisch allerdings von dem Vorgängeralbum "Unarmed And Dazed", da ihr viele elektronische Elemente mit eingebaut habt. Was hat euch dazu bewogen?
Efrat Alony: Das ist eigentlich schon seit einiger Zeit so, dass uns diese Mischung aus akustischen und elektrischen Klängen interessiert. Wir spielen schon länger in dieser Besetzung, und eigentlich war die Idee - als ich 2006 den Karl–Hofer-Preis gewonnen habe - genau diese Vermischung von akustischen und elektronischen Klängen. Das hat sich seitdem verselbstständigt, und wir arbeiten weiterhin in dieser Richtung. Von einer CD zur anderen wird es eigentlich für mich klarer, was ich will bzw. deutlicher, wo ich herkomme. Denn ich komme überhaupt nicht aus der Jazz-Ecke, sondern ich habe Jazz erst super spät kennen gelernt, als ich 21 war.

© Foto: Carola Schmidt


AVIVA-Berlin: Aber Du hast trotzdem Jazz studiert.
Efrat Alony: Ja, ich habe das studiert, aber es ist nicht das, was ich mit 14, 15 oder 16 zu Hause gehört habe. Und deshalb fühle ich mich der Tradition auf gar keinen Fall verpflichtet. Das Tolle daran ist, dass man weniger scheu ist, Sachen zu vermischen. Weil man nicht das Gefühl hat, dadurch etwas kaputt zu machen.

AVIVA-Berlin: Vor allem an dem Song "Lights on/off" kann man erkennen, dass Du jetzt ein neues Konzept verfolgst. Dieses Stück hast Du früher bereits in zwei unterschiedlichen Versionen eingespielt. Ist das eine Art "Work in Progress" bzw. hast Du das Gefühl, dass der Song nie fertig wird und Du da immer weitermachen musst?
Efrat Alony: Genau. Das ist echt spannend bei dem Lied. Das lässt nicht los! Wir haben das immer wieder aufgenommen und bearbeitet, das nimmt immer neue Wege. Das finde ich auch total spannend. Und ich glaube, das Konzept an sich, was das Klangliche angeht, das stimmt, da ist eine Konzeptveränderung. Aber was das Inhaltliche angeht, habe ich nicht das Gefühl, dass sich das Konzept verändert hat. Das hat sich in den letzten paar Jahren mehr und mehr auf diese Songstruktur reduziert. Wenn man von der ersten Platte ausgeht, wo es sehr viel Improvisation gab, und die sehr verkopft war. Die zweite Platte, "Unravelling", hatte auch elektronische Einflüsse, und die Streichquartett-Idee war schon mit drin. Auch diese Songstruktur, aber abstrakter. Auf "Unarmed And Dazed" ist es dann noch mehr Songstruktur geworden, mit einem ganzen Streichquartett. Jetzt ist es sozusagen noch mehr Songstruktur, noch poppiger, kaum Improvisation, mit dem Streichquartett dazu und elektronischen Geräuschen. Aber an den Musikkomponenten, an den Stücken selber, ist es für mich eine Linie. Eine Linie weg von der Hochschule und zurück zu dem, wo ich eigentlich herkomme, und was mich als Jugendliche oder als Erwachsene berührt, wenn ich Musik höre. Das ist nämlich nicht diese Verkopftheit, sondern man hat wirklich das Gefühl, dass man was gesagt bekommt. Und das ist ja quasi mein Ziel.

AVIVA-Berlin: Du hast gesagt, Du kommst eigentlich überhaupt nicht aus dem Jazz, hast früher eben andere Sachen gehört. Warum hast Du dann doch Jazz studiert? Wollten Deine Eltern, dass Du etwas "Anständiges" lernst?
Efrat Alony: Ich habe immer gesungen, immer Musik gemacht, und ich habe mich angemeldet, um Gesang und Komposition zu studieren. Das war nun mal so, dass diese Schule, wo ich studiert habe, quasi ein Abzweig von Berkeley ist. In Ramat HaSharon, in der Nähe von Tel Aviv. Die Rimon School wurde von Berkeley-Absolventen gegründet, die die Schule quasi genauso aufgebaut haben, was die Kurse und die Idee und den Einfluss von Berkeley angehen. Das ist eben üblich, wie an jeder Hochschule in Deutschland – es gibt keine Popmusik-Abteilung, man studiert Jazz, und was man danach macht, ist unterschiedlich. Ich kann mich noch erinnern an meine Aktion, als ich das erste Mal Scat-Gesang gehört habe. Ich war zutiefst entsetzt und fand es unglaublich hässlich! (lacht) Ich konnte nicht verstehen: Wieso machen das die Menschen? Und wer will das hören? Plötzlich habe ich angefangen zu studieren und man wird total zugeballert mit Stoff, und ein Jahr später, was tue ich? Ich sitze da und scatte! Das ist einfach so. Man nimmt sehr viel von der Umgebung mit, und die eigentliche Reise fängt dann an, wenn man fertig ist. Wenn man ein bisschen Abstand von dem Ganzen nehmen kann, um ein bisschen wieder zu sich zurückzufinden. Und deswegen meine ich ja: Ich habe dann zu Hause Sting und Pink Floyd und Beatles gehört, ich hatte eine Keith Jarrett-Platte und eine Pat Metheny, "Still Life Talking", die ich total geliebt habe. Ich wusste aber nicht, dass es Jazz heißt.
© Foto: Carola Schmidt


AVIVA-Berlin: Du hast schon angedeutet, wie Du von Israel nach Boston gekommen bist, weil es da eine ganz enge Verbindung gibt. Wie bist Du dann aber nach Berlin und zur Hanns Eisler-Schule gelangt?
Efrat Alony: Ich habe in Boston, wo ich ein Sommersemester studiert habe, Mark Reinke kennengelernt, mit dem ich immer noch zusammenarbeite. Wir haben da eine kleine Band gehabt, das war total toll, und tatsächlich war der Plan auf dem Tisch, dass ich in Berkeley weiter studiere. Ich bin zurück nach Israel gegangen, habe mein Studium an der Rimon School absolviert, und während dieses Jahres war ich ein paar Mal in Berlin zu Besuch. Ich fand die Szene hier total spannend. Dann bin ich mit einem Koffer hierher gekommen, ich wusste, dass ich erst mal weg bin, habe also ein Onewayticket gekauft, aber ich dachte nicht, dass ich so lange bleiben würde. Ich dachte, ich bleibe ein Jahr, und dann gehe ich weiter nach Boston oder nach New York. Ich habe mich hier einfach so wohl gefühlt, und die Vermischung hier von Jazz und klassischer Musik spricht mich viel mehr an als das, was in New York passiert. Auch wenn da unglaublich tolle Sachen geschehen, aber die sind sehr den Traditionen verbunden. Hier habe ich kein Problem, die Tradition auf den Kopf zu stellen. Ich finde es auch großartig, dass man hier zu den Berliner Philharmonikern gehen kann, und es kostet kaum Geld. Das ist Musik, die mir wahnsinnig viel bedeutet. Das ist präsent. Ich finde die Stadt toll und die Musiker toll, die Szene sehr, sehr spannend!

AVIVA-Berlin: Du lebst in Schöneberg. Wo siehst Du den Unterschied von Berlin zu Tel Aviv in der Musikszene?
Efrat Alony: Ich finde, dass in Israel unglaubliche, unerklärliche Mengen an sehr, sehr guten Jazzmusikern zu finden sind. Es ist mir ein Rätsel, wieso. Zumindest als ich aufgewachsen bin, gab es definitiv keine Jazzkultur. Wir hatten zwar Musikunterricht in der Schule, aber das war Musikgeschichtsunterricht – bis ich in der 5. Klasse war, danach nicht mehr. Die Musik war überhaupt nicht da. Es gibt eine Schule in Tel Aviv, wo die sich tatsächlich mit Jazz befassen, aber ansonsten wüsste ich nicht, woher so viele Musiker kommen. Ein Freund von mir meinte, dass das mit der israelischen Mentalität zu tun hat, dass man sich etwas in den Kopf setzt und das dann einfach macht. Mit wenig Hemmungen – man macht einfach. Ich muss leider gestehen, dass ich nur zwei Mal im Jahr nach Israel verreise, und dann mehr privat. Ich kenne mich da in der Szene nicht so gut aus. Ich weiß nur, außer dass es da sehr tolle Musiker gibt, gibt es das Problem, dass das Land sehr klein ist. Das heißt, man kann nicht so viel spielen. Und da die politische Situation ist, wie sie ist, kann ich auch nicht auf Tournee in Saudi-Arabien und Ägypten gehen. Was Perspektiven und Möglichkeiten angeht, ist es natürlich viel begrenzter – leider.

AVIVA-Berlin: Auf Deiner neuen CD hast Du – wie bereits auf Deiner ersten CD - zwei hebräische Songs. Was bedeuten diese Stücke für Dich?
Efrat Alony: Das eine ist "Buba memukenet - mechanical doll", das hat einen sehr, sehr schönen Text, von einer der bedeutendsten zeitgenössischen israelischen Dichterinnen, Dahlia Ravikovich. Sie ist leider vor ein paar Jahren verstorben. Ich finde es ein unglaubliches Privileg, dass ich das vertonen durfte. In dem Text geht es eigentlich um Ravikovich selbst, und wie sie mit der Gesellschaft beziehungsweise wie die Gesellschaft mit ihr umgeht. Sie hat eine Zeit lang Psychopharmaka nehmen müssen und beschreibt in diesem Lied, dass sie das Gefühl hat, dass ihre Umgebung nur mit ihr umgehen kann, wenn sie nicht sie selber ist und diese Medikamente nimmt. Wie eine "mechanical doll". Das ist unglaublich schön beschrieben in dem Lied.
Das zweite Lied heißt "Ad Matay", das ist von einer Singer-Songwriterin, die heißt Etti Ankri. Auch sie ist eine starke Persönlichkeit. Dieser Text handelt davon, dass sich eine Frau in einen verheirateten Mann verliebt hat, und wie sie mit dieser Situation umgeht, die zweite Frau zu sein. Und Etti hat auch eine sehr große Stimme, das und ihre Persönlichkeit hat mich bei dem Lied gereizt. Diese sehr starke Persönlichkeit, die in einer sehr schwachen Situation ist.

AVIVA-Berlin: Neben den beiden hebräischen Songs hast Du auch noch William Butler Yeats mit "Two Years Later" vertont. Was reizt dich an seiner Poesie?
Efrat Alony: Ich finde die Sprache unglaublich schön und dennoch ist der Inhalt so krass. Das finde ich so spannend. Es ist fast so, als ob die Worte einen streicheln, aber wenn Du verstehst, was er da sagt, da stehen dir die Haare zu Berge. Das fand ich sehr, sehr spannend bei ihm. Ich hatte jetzt auf drei Alben ganz viel eigenes, und es war mir wichtig, bei der Platte auch zu sagen: OK, jetzt habe ich genug gezeigt, wer ich bin, ich bin bereit, jetzt auch Input und Inspiration von außen zu bekommen. Das ist interessant, denn ich glaube, so wie bei Yeats hätte ich meine eigenen Texte nicht komponieren können. Die Tatsache, dass ich wusste, wo das herkommt, hat mir die Möglichkeit gegeben, anders zu schreiben als ich sonst schreiben würde. Das fand ich sehr reizvoll.
© Foto: Carola Schmidt


AVIVA-Berlin: Im Mai gibt es eine Produktion von Dir mit der Bigband vom Hessischen Rundfunk. Wie sieht dieses Projekt aus und worin liegt für dich der Unterschied, ob Du mit einer Bigband oder in kleiner Besetzung spielst?
Efrat Alony: Ich habe zwölf israelische Stücke ausgesucht, die entweder Volkslieder oder neuere Sachen sind, die schon zum Kulturgut gehören. Sie werden für Bigband arrangiert, was dann aufgeführt und als CD aufgenommen wird. Auch wenn es nach außen nicht so ausschaut, ist das für mich sehr präsent. Das ist ein riesiger Unterschied in der Art und Weise, wie ich singe. Bei dem Projekt ALONY ist es eine bewusste Entscheidung, sehr reduziert zu sein. Das heißt, keiner spielt eine Sekunde mehr als unbedingt nötig. Und das gilt auch für mich als Sängerin. Das heißt, man gibt nicht die ganze Bandbreite, die man hat, sondern man tut nur das, was die Musik benötigt. Manchmal befriedigt mich das weniger und manchmal mehr – denn ich kann nicht alles machen, was ich kann. Und dadurch, dass die Bigband so ein riesiger Klangkörper ist, kann ich meine Stimme anders einsetzen, da habe ich nie die Gefahr zu laut zu sein. Bei dem Trio muss ich da aufpassen.

AVIVA-Berlin: Wann wird die CD herauskommen?
Efrat Alony: Wir werden das am 20. Mai im Ignatz-Bubis-Saal in Frankfurt aufführen, und zwei Tage später gehen wir dann ins Studio. Wahrscheinlich erscheint die CD dann ein Jahr später.

AVIVA-Berlin: Du hast jetzt durch den räumlichen Abstand einen Außenblick auf Israel. Glaubst Du, dass man von außen reflektierter ist, und man die politische Situation vielleicht innerhalb Israels gar nicht so wahrnimmt?
Efrat Alony: Nein. Ich glaube, dass die Leute schon sehr reflektiert sind. Aber sie sind natürlich näher dran, ich sitze hier in der U-Bahn und habe keine Angst, dass sie gleich in die Luft gesprengt wird. Das haben die Leute in Tel Aviv natürlich schon. Oder wenn sie im Café sitzen und in Ruhe ein Croissant essen wollen, müssen die Leute hier nicht gucken, wer im Café rein und raus geht. Das ist Bread and Butter, wenn du in Tel Aviv lebst. Es macht Spaß da zu leben, es ist eine tolle Stadt, das Leben ist stärker als alles andere, aber klar, die Leute sind natürlich betroffen davon, und die Emotionen spielen eine Rolle. Aber diese Regierung ist nicht das, was die Leute gewählt haben. Die Leute haben Zipi Livni gewählt, und die Leute, die Barak gewählt haben, haben ihn gewählt, damit Netanjahu nicht gewählt wird. Und jetzt hat man den Salat. Ich finde es auch unerklärlich, woher die 17 Mandate für Lieberman kommen, das kann ich mir nicht erklären.

AVIVA-Berlin: Es gibt glücklicherweise Menschen, die für eine andere Politik eintreten. Israel wird beim Eurovision Song Contest mit Noah und Mira - einer Israelin und einer Araberin - mit dem Song "There Must Be Another Way" vertreten sein Wie könnte Deiner Meinung ein anderer Weg aussehen?
Efrat Alony: Es gibt einen Weg. Das ist ja das Traurige daran: der ist jedem klar. Es würde darauf hinauslaufen, entweder jetzt oder in zehn Jahren oder in 50 Jahren oder in 100 Jahren, dass es zwei Staaten geben wird. Entweder man macht es jetzt und guckt, dass es den anderen auch gut geht. Dass sie ausgebildet werden und eine Perspektive haben, denn wenn man keine Perspektive hat, dann hat man auch nichts zu verlieren.

AVIVA-Berlin: Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg bei Deinen nächsten Projekten!


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Beitrag vom 06.05.2009

Silvy Pommerenke