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Beitrag vom 22.09.2009
Interview mit Kerstin Duken
Silvy Pommerenke
Die Wahlberlinerin hat das geschafft, wovon die meisten AutorInnen träumen: Bei dem Brigitte-Romanpreis im Jahr 2007 setzte sie sich gegen mehr als 1600 KonkurrentInnen durch und bekam ...
... einen Verlagsvertrag. Mittlerweile sitzt sie an ihrem dritten Buch, und das, obwohl sie sich selbst nicht als Autorin sondern als Werbetexterin sieht. AVIVA-Berlin sprach mit der äußerst sympathischen Kerstin Duken über Literatur, morbide Persönlichkeiten und Gerichtsprozesse, wobei manchmal nicht klar war, wer hier eigentlich mit wem das Interview führte ...
AVIVA-Berlin: Du arbeitest nach wie vor als Werbetexterin, hast in Hamburg die Yacht-Firma Sailormade und pendelst zwischen der Spreemetropole und der Hansestadt. Wie schaffst Du es da, in der Regel noch nachts zwei bis drei Stunden zu schreiben?
Kerstin Duken: Ich bin freie Werbetexterin, das heißt, dass ich nicht die obligatorische 60-Stunden-Woche habe. Bei Sailormade gibt es nicht viel für mich zu tun, ich helfe, wenn es um das Marketing geht, aber das ist der unwichtigste Teil. Das einzige, was anstrengt, ist sich wirklich jeden Abend hinzusetzen und zu schreiben. Es geht gar nicht um den Zeitaufwand, aber es ist wie beim Sport. Du findest 10.000 Gründe, es nicht zu tun. Aber hinterher freut man sich wahnsinnig über das Ergebnis - möglichst drei Seiten.
AVIVA-Berlin: Findest Du überhaupt noch Zeit zum Lesen, oder sind die Bücher in Deinem Bücherregal Relikte aus der Vergangenheit?
Kerstin Duken: Tatsächlich ist das mehr aus der Vergangenheit, denn während ich selbst Bücher schreibe, lese ich überhaupt nicht mehr. Das verwirrt zu sehr.
AVIVA-Berlin: 2007 hast Du mit Deinem Roman "Jahrhundertsommer" Dein literarisches Debüt gehabt. Im Prinzip bist Du fachfremd, denn Du arbeitest zwar mit Texten, aber dies in der Werbebranche. Was hat Dich dazu bewogen, Dich der Prosa zuzuwenden?
Kerstin Duken: Schreiben finde ich ausgesprochen naheliegend. Das ist neben der Musik und der Malerei eine gängige Form des künstlerischen Ausdrucks, die uns bereits als Kindern nahe gebracht wird. Rückblickend habe ich das Gefühl, schon immer geschrieben zu haben. Und auch ein Grund, in die Werbung zu gehen, also einen Beruf zu haben, in dem man schreiben kann. Der Auslöser für "Jahrhundertsommer" war tatsächlich der Brigitte-Romanpreis, ohne den ich wohl noch lange nicht darauf gekommen wäre, an eine Veröffentlichung zu denken. Eine Freundin hat mich darauf gebracht, was ungefähr zweieinhalb Monate vor Abgabetermin war. In relativ kurzer Zeit habe ich dann tatsächlich 160 Seiten geschrieben, von denen ich aber nur die ersten 50 einreichen musste.
AVIVA-Berlin: War das das erste Mal, dass Du bei einem Wettbewerb mitgemacht hast? Es gibt ja zahlreiche Literaturwettbewerbe.
Kerstin Duken: Ich habe nicht darauf geachtet, denn es war ja nicht mein Ziel zu veröffentlichen. Es gehörte überhaupt nicht zu meinem Selbstbild, und es ist nach wie vor eigentlich so, dass ich mich als Werbetexterin und nicht als Autorin sehe. Ich habe zwar jetzt schon zwei Bücher veröffentlicht, worüber ich auch wahnsinnig glücklich bin, aber ich arbeite immer noch als Werbetexterin. Insofern habe ich nie nach Literaturwettbewerben gesucht oder darüber nachgedacht, weil ich gar nicht Autorin werden wollte.
AVIVA-Berlin: Was hat Dich dann doch dazu bewogen – außer, dass die Freundin offensichtlich gute Überredungskünste geleistet hat – tatsächlich bei dem Brigitte-Romanpreis mitzumachen? Neugier?
Kerstin Duken: Ich glaube, die Zeit war reif, etwas zu veröffentlichen. Ich hatte Lust darauf und wollte perspektivisch etwas anderes machen als ausschließlich Werbetexte, diese literarische Richtung ausprobieren. Von daher fand ich den Wettbewerb ganz "praktisch", weil ich glaube, dass es sehr schwierig ist, einen Verlag zu finden. Insofern war es eine Chance, die ich genutzt habe.
AVIVA-Berlin: Wusstest Du vorher, wieviel sich darauf bewerben?
Kerstin Duken: Ich habe die Ausschreibung gelesen, und bei dem Vorjahreswettbewerb waren es etwa 2000 Bewerbungen, also wusste ich ungefähr, in welcher Größe sich das bewegt.
AVIVA-Berlin: Wie hast Du dann von dem Gewinn erfahren?
Kerstin Duken: Sie wollten sich eigentlich im Januar bei den Gewinnern melden. Eines Tages saß ich hier an meinem Schreibtisch, und es war eine Hamburger Nummer auf dem Display meines Telefons. Ich dachte, mein Bruder ruft an und er hätte schon wieder eine neue Telefonnummer. Es war der 18. Dezember 2006, also viel früher, als geplant, und ich habe gar nicht damit gerechnet. Sie sagten: "Frau Duken, können Sie sich denken, warum wir anrufen?" Ich stand aber ziemlich auf der Leitung, weil ich gerade einen Werbetext schrieb und einen super stressigen Job zu dem Zeitpunkt hatte. Ich konnte es erst begreifen, nachdem ich es meiner Mutter erzählte und die vor Freude fast umgekippt ist. Und dann dachte ich mir: "Wow, das scheint was richtig cooles zu sein!"
AVIVA-Berlin: Hat sich Dein Leben dadurch irgendwie verändert?
Kerstin Duken: Na ja, mein Leben hat sich schon verändert und ich gehe jetzt alles mit einer viel größeren Ernsthaftigkeit an. Es erscheint mir nicht mehr illusorisch, Prosa zu schreiben, und es könnte auf jeden Fall ein Teil meines Berufs werden. Es nimmt jetzt schon einen gewissen Stellenwert in meinem Leben ein, aber ich wäre glücklich, wenn der noch größer werden würde.
AVIVA-Berlin: Wie viel nimmst Du vom Handwerkszeug der Werbetexterin mit in Dein literarisches Schreiben? Wird es davon beeinflusst oder ist das völlig losgelöst voneinander?
Kerstin Duken: Ich bin seit 21 Jahren Werbetexterin, natürlich beeinflusst mich das! Ich musste ganz viel Dialoge für Esso schreiben, und das war eine heftige Schule, denn der Kreativdirektor korrigierte mich immer, weil es ihm sprachlich nicht glaubhaft genug war. Ich musste das wieder und wieder machen. Im Endeffekt habe ich durch die Esso-Texterei viel darüber gelernt, wie man Dialoge schreibt. Und Mercedes hat mir beigebracht, wie man Dinge spürbar beschreibt und auf den Punkt bringt. Es gibt Sachen, die habe ich einfach aus der Werbetexterei, und trotzdem sind es zwei völlig unterschiedliche Welten. Die Kehrseite ist, dass ich aufpassen muss, bei meinen Geschichten keine Werbetexte zu schreiben. Ich will niemandem etwas verkaufen, niemanden gut dastehen lassen, sondern die Sachen sollen authentisch sein. Aber Authentizität bedeutet leider nicht immer Hochglanz. Insofern hilft es mir, aber es ist auch eine Gefahr. Einen Roman zu schreiben ist die ganz große Reise. Logischerweise bedeutet der Roman viel mehr Freiheit, auch wenn er in sich eine Logik hat, da bin ich der Bestimmer. In der Werbetexterei habe ich den Auftrag, und den versuche ich zu erfüllen.
AVIVA-Berlin: Wie schnell kommst Du vom Werbetexten wieder in das literarische Schreiben hinein bzw. hast Du dafür irgendwelche Rituale?
Kerstin Duken: Meistens ist es wirklich so, dass ich vorher schon ein, zwei Stunden Ruhe hatte. Es kann aber auch sein, dass es nahtlos ineinander übergeht. Dass ich bis 21.48 Uhr noch über Windsor-Anzüge geschrieben habe und dann um kurz nach zehn mit den anderen Texten anfange. Ich schreibe immer da [zeigt auf ihren sorgfältig aufgeräumten Schreibtisch] und setze mich, immer, wenn ich nicht weiter weiß, an das Fenster. Das ist das einzige Ritual.
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© Knut Koops |
AVIVA-Berlin: Deine Figuren haben zumeist morbide Charaktere, denen Du mit einer sehr nüchternen und präzisen Sprache Leben einhauchst. Was reizt Dich an diesen tragischen Figuren, die jenseits der Werbewelt des schönen Scheins sind?
Kerstin Duken: Morbide finde ich meine Figuren überhaupt nicht, sondern es sind einfach Menschen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch ein Thema hat, das ihn beschäftigt oder zutiefst unglücklich machen kann. Das an die Oberfläche zu bringen, ist mein Ziel. Das ist kein Vorwurf von Schwäche, sondern das macht den Menschen aus!
AVIVA-Berlin: Diese "inneren Schussverletzungen", wie Du es in einem anderen Interview genannt hast, machen aber nur einen Teil des Menschen aus. Was reizt Dich also an diesen – nennen wir es nicht morbiden, sondern verletzten und verletzlichen Figuren?
Kerstin Duken: Ich schreibe nicht über Helden oder irgendetwas in der Art, und zwar nicht, weil Scheitern interessanter ist, das würde ich gar nicht so als These aufstellen, sondern weil mir Scheitern vermutlich näher ist. Wenn ich mir die Geschichten in
"Mehr als Du siehst" ansehe, dann bin ich an jedem Thema vorbeigeschrammt, damit mehr oder weniger in Berührung gekommen. Entweder, weil ich Dinge sehr intensiv beobachtet habe, oder weil es mich selbst oder jemanden, den ich sehr gut kenne, betraf. So sind die Geschichten zustande gekommen. Mit "geschrammt" meine ich nicht, dass sie autobiografisch sind, denn sonst könnte es so nicht dastehen.
AVIVA-Berlin: Einige Deiner Erfahrungen bezüglich Täterpsychen dürftest Du im Gerichtssaal gesammelt haben.
Kerstin Duken: Ich denke schon. Diese Vergewaltigungsgeschichte war der erste Prozess, zu dem ich gegangen bin. Eine Freundin von mir ist spezialisiert auf Strafrecht und hat mich dorthin mitgenommen, wo sie die Nebenklägerin vertreten hat. Das werde ich nie vergessen! Weil ich auch nicht aufhören konnte, diesen Vergewaltiger anzugucken. Eines der Opfer – in der Geschichte ist das natürlich alles ein bisschen anders – musste erzählen, wie das war, wie es ihr jetzt geht und wie es ist, wenn sie Sex mit Männern hat. Ob sie überhaupt noch Sex oder ob sie Orgasmusschwierigkeiten hat. Die Öffentlichkeit war nicht ausgeschlossen, und so saßen da Referendare und andere, ich, die von irgendwoher kamen, und sie musste wahrheitsgemäß antworten. Das war der erste Prozess an einem Landgericht, den ich besuchte. Später war ich lieber am Amtsgericht, wo es eher um Kleinkriminelle ging, die die komischsten Sachen angestellt hatten, auf die man selber nicht kommen würde. Ich bin immer Dienstags und Donnerstags hingegangen, habe immer im selben Saal angefangen, bin dann aber auch in andere Säle gegangen. Ich finde es wahnsinnig spannend, es ist jedes Mal etwas anderes, und vor allem sind es reale Geschichten.
AVIVA-Berlin: Aber Du bist nicht mit der Motivation hingegangen, dass Du das umsetzen und daraus Literatur machen wolltest?
Kerstin Duken: Ich habe mir hinterher immer Notizen gemacht, denn ich wollte das schon irgendwie festhalten. Ich habe jedes Mal abends zu einem dieser vier oder fünf Fälle etwas aufgeschrieben oder eine Geschichte daraus gemacht. Allerdings ohne die Absicht, das zu veröffentlichen.
AVIVA-Berlin: Inwiefern konntest Du Dich von den Fällen abgrenzen? Gerade bei dem Vergewaltigerprozess stelle ich es mir fürchterlich vor. Vor allem, wenn der Täter überhaupt nicht schuldeinsichtig ist.
Kerstin Duken: Das ist schrecklich! Das hat mich auch wirklich umgetrieben. Dagegen hatten die Kleinkriminellen einen hohen Unterhaltungswert, das muss man echt so sagen. Die heftigeren Prozesse habe ich mir dann kaum noch angetan. Das wird man nicht los.
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© Knut Koops |
AVIVA-Berlin: Eine der amüsantesten Geschichten in "Mehr als Du siehst" ist die von einer Frau, die spielsüchtig ist, sich von einem Level zum nächsten treibt und dafür eine Party absagt. Wie sieht es mit Deiner Leidenschaft für Highscores und Levels aus?
Kerstin Duken: Die ist nicht sehr ausgeprägt. Was ich allerdings wirklich gemacht habe, ist, dass ich für meinen Neffen Pokemon durchgespielt habe. Der durfte immer nur zwanzig Minuten und auch nicht jeden Tag spielen und ist dadurch gar nicht vorangekommen. Deswegen habe ich Pokemon Pearl gespielt und habe ihm die starken Pokemon rübergetauscht bzw. habe ihm erklärt, wie er Sachen zu bewältigen hat, damit er vorankommt. Aber das habe ich für ihn getan. Ich habe sogar ein Bild davon, wie ich gewonnen habe und in die Pokemon-Liga aufgenommen wurde ... Ich glaube, ich habe 56 Stunden Spielzeit dafür gebraucht.
AVIVA-Berlin: Welche AutorInnen haben Dich persönlich geprägt bzw. was gehört zu Deiner Lieblingslektüre?
Kerstin Duken: Wer mich definitiv geprägt hat, ist – und das ist eine total prätentiöse Antwort, aber es ist schlichtweg die Wahrheit – Hemingway. Weil Hemingway am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat. Das hat mir mein Onkel erzählt, als ich elf war, und dann bin ich in die Bücherei gegangen, durfte das aber noch nicht ausleihen, weil Hemingway in den Regalen ab zwölf stand. Aber dann wurde ich irgendwann zwölf und habe den ganzen Hemingway gelesen. Ich habe mich dabei zwar wahnsinnig gelangweilt und kaum etwas begriffen, aber diese Hemingway-Phase hat sich lange hingezogen. Das war der erste wirklich große Einfluss, und der ist geblieben. In den Achtzigern war ich dann leider sehr empfänglich für die Brat-Pack-Literatur und auch später eher – amerikanische AutorInnen.
AVIVA-Berlin: Du arbeitest zur Zeit an einem neuen Roman. Kannst Du dazu schon etwas sagen, oder ist das top secret?
Kerstin Duken: Das ist noch top secret. Aber das ist ganz toll und jetzt schon mein Lieblingsbuch! Das ist zwar blöd daher gesagt, aber das erste Buch war ein absoluter Zufall. Beim zweiten ging es darum, möglichst schnell zu beweisen, dass das erste doch kein Zufall war. Jetzt das dritte bedeutet, dass ich mir Zeit nehme und es aus tiefstem Herzen mache. Das sind nun ganz andere Voraussetzungen.
AVIVA-Berlin: Wann werden wir mit der Veröffentlichung rechnen können?
Kerstin Duken: Frühestens nächstes Jahr im Herbst. Und wenn es 2011 wird, dann ist es immer noch ein Zweijahresrhythmus, und das ist völlig okay.
AVIVA-Berlin: Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg für Deinen neuen Roman!