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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 15.05.2009


Monika Treut im Interview - Neuer Spielfilm jetzt im Kino
Pommerenke, Zilg

Bei der 59. Berlinale feierte ihre geheimnisvolle, cross-kulturelle Liebesgeschichte "Ghosted" Premiere. AVIVA-Berlin traf die Regisseurin, die auf eine ausgesprochen vielseitige und ...




... umfangreiche Filmographie zurückblicken kann, zu einem Gespräch über Taiwan und die Faszination des asiatischen Landes, die Dreharbeiten dort und die Dramaturgie ihres neuen Filmes.

AVIVA-Berlin: Im Q&A nach der Premiere haben Sie erwähnt, dass Sie schon seit zehn Jahren regelmäßig nach Taiwan reisen. Was hat sie ursprünglich nach Taiwan geführt?
Monika Treut: Es sind nicht ganz zehn Jahre. Ich reise seit dem Jahr 2002 regelmäßig nach Taiwan und habe seitdem dort zwei Dokumentarfilme gedreht. Das war alles nicht vorausgeplant, sondern entwickelte sich organisch. Der erste Berührungspunkt entstand, als ich zu einem Filmfestival eingeladen wurde. Es sollte in diesem Kontext eine Retrospektive von meinen Filmen gezeigt werden. Damals wusste ich im Grunde noch gar nichts über Taiwan, denn in den europäischen Medien ist Taiwan nicht sehr präsent und man bekommt kaum Informationen über das Land. Von daher bin ich ganz unvorbelastet dorthin gefahren und war bald sehr fasziniert von den Leuten, dem Land und der Kultur.
Ich bekam dann das Angebot von dem Team des kleinen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender PTS, gemeinsam einen Dokumentarfilm zu produzieren. Sie suchten bewusst eine Zusammenarbeit mit einer Regisseurin, die mit fremden Augen auf ihr Land schaut, was immer ein schönes Konzept ist. Dadurch geraten plötzlich ganz andere Sachen in den Fokus, welche, die von den Einheimischen eher übersehen werden würden. Das wäre genauso, wenn eine Taiwanerin nach Deutschland kommen würde, um hier einen Film zu drehen.
Ja, und dann habe ich mich in der Tiefe mit Taiwan auseinandergesetzt. Für einen Dokumentarfilm muss man viel recherchieren. Und so habe ich während meiner Recherche-Reisen viele interessante Leute kennen gelernt. Ich bin fast überall mit offenen Armen empfangen worden und bekam einen detaillierten Einblick.
Meine beiden Dokumentarfilme wurden später von den Taiwanern sehr positiv aufgenommen. Es ist wichtig, dass man als Fremde nicht etwas herstellt, wo die Leute sagen "Huch, was hast Du denn da gemacht. - Wir erkennen uns überhaupt nicht wieder."
Ich wurde aufgrund der guten Resonanz eingeladen, meine Filme im Rahmen einer taiwanischen Filmreihe zu zeigen, die über die ganze Welt tourte. Ein Anlass hierfür war, dass Taiwan in der Welt nicht diplomatisch vertreten ist. Lediglich sieben Staaten kennen Taiwan als eigenständigen Staat an. Auch dies ist sehr zäh, denn es springt öfter ein Staat wieder ab, weil China mehr Geld bezahlt und eine wichtigere Position im globalen Wirtschaftssystem einnimmt. Von daher legen die Taiwaner großen Wert auf Repräsentanz durch Kultur und unterstützen gerne Filmreihen. So ergab sich letztes Jahr die Situation, dass ich als einzige Langnase mit einer Delegation von Taiwaner durch Amerika reiste.

AVIVA-Berlin: Wie hieß denn das Festival, das zum Anlass für Ihre erste Taiwan-Reise wurde?
Monika Treut: "Women Makes Waves", ein hübscher Name, so ein bisschen blumig. Es findet heute noch statt. Es war damals allerdings ein bisschen besser. Die Organisation wechselt öfters. Als ich eingeladen wurde, war es eine sehr fitte Truppe, die das gemacht hat: Sehr professionell, alle meine Filme wurden chinesisch untertitelt, sie haben sich große Mühe gegeben. Es wurden zudem Diskussionen veranstaltet, was mich sehr gefreut hat, denn es gab ein sehr interessiertes Publikum, darunter auch ganz junge Leute. Es ergaben sich viele interessante Gespräche für mich, gerade auch, weil ich in meinen Filmen viel mit dem Gender-Thema gearbeitet hatte. Das Bewusstsein darüber wächst dort sehr in den letzten Jahren, und wird langsam richtig stark. Zum Beispiel kam der Film "Unknown Gender - Das dritte Geschlecht" von mir sehr gut an. Nach dem Screening kamen viele junge Frauen auf mich zu und waren sehr dankbar dafür, dass ich den Film zu ihnen gebracht habe, denn die Diskussion über diese Thematik fing zu diesem Zeitpunkt dort erst richtig an.
Es geht in dem Film um biologische Frauen, die eigentlich nicht genau wissen, wo sie hingehören. In jeder Kultur gibt es einen gewissen Prozentsatz von Cross Gender Identitäten. In Taiwan gab es zu dem Thema bisher nur wenig Material. Es war sehr berührend für mich, zu merken, wie hoch der Zuspruch war und was der Film bei den taiwanischen Zuschauerinnen auslöste. Ich bin dann auch an die Universitäten gegangen, teils wird der Film auch dort gezeigt. Sie fingen dort gerade damit an, Gender Studies, Sexuality Studies, Gay and Lesbians Studies mit in die akademischen Inhalte aufzunehmen.

AVIVA-Berlin: Gab es denn ähnlich wie bei uns zuvor eine Frauenbewegung?
Monika Treut: Das kam erst viel später. So, wie wir, was die Gender- und Frauenbewegung und Lesben- und Schwulenbewegung betrifft, immer zehn Jahre den Amerikanern hinterher waren, so bestehen von Taiwan im Vergleich zu Deutschland vielleicht fünfzehn Jahre Unterschied. Da fängt jetzt eine Diskussion über lesbischen SM an, das war ja bei uns ja schon in den Neunzigern und in Amerika in den Achtzigern. Diese Diskussionen werden natürlich auch über die Universitäten hineingetragen und auch über die Wenigen, die viel reisen und sich im Westen bewegen. Das schwappt, was die Auseinandersetzungen und auch was die Frauenbewegung angeht, da alles später rüber, ist aber sehr lebendig.

AVIVA-Berlin: In einem Interview mit der taz sagten Sie, dass sich Jugendliche in Taiwan heute wenig für den Geschlechterkampf interessieren. Heißt das auch, dass Schwule und Lesben dort nicht diese Grabenkämpfe austragen, wie beispielsweise in der Vergangenheit - und stellenweise immer noch - hier in Deutschland?
Monika Treut: Ja, es ist diese Aggression, die bei uns noch stärker damit einhergeht, das ist dort nicht so. Das kommt wahrscheinlich auch über diese lange buddhistische Tradition, dass man eher sanft miteinander umgeht. Das ist auch so zwischen den Geschlechtern und zwischen Lesben und Schwulen. Natürlich gibt es da auch Gender-Auseinandersetzungen, aber die spielen sich anders ab, die sind nicht so an der Oberfläche, nicht so direkt sichtbar. Was auch interessant ist, dass die Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Herrschaft der Japaner vorbei war und die Chinesen kamen, in Taiwan einen riesigen Sprung nach vorne gemacht haben. Es gab - und das ist zum Teil immer noch der Fall - eine starke Geschlechtertrennung an den Schulen, was dazu geführt hat, dass die Mädchen und Frauen im Grunde eine bessere Ausbildung haben und auch stark in den Führungspositionen in Taiwan vertreten sind. Angefangen von der Industrie bis hin zur Politik sind sehr viele Frauen aktiv und verdienen zum Teil mehr, als die Männer. Das ist schon erstaunlich, denn es geht ja um Südostasien, wo das nicht Standard ist. Die taiwanischen Frauen haben ein sehr starkes Selbstbewusstsein.

AVIVA-Berlin: Wie ist die allgemeine Akzeptanz in Taiwan gegenüber schwulen und lesbischen Lebensweisen?
Monika Treut: Das hat sich im Zuge des Demokratisierungsprozesses schnell zum Positiven hin entwickelt. Wobei ich auch gar nicht sagen würde, dass es erst ab dem Jahr 2000 dort eine vollentwickelte Demokratie gibt. Bis 1987 herrschte eine Militärdiktatur, danach braucht es immer eine Zeit, bis wieder etwas wächst. 2000 fand die erste freie Wahl statt, durch welche die herrschende Kuomintang-Partei abgesetzt wurde und durch die Demokratische Progressive Partei (DPP) abgelöst wurde. Zum ersten Mal seit 1947 kamen zum ersten Mal die Demokraten an die Macht.
Im gleichen Jahr gab es einen Pride March in Taipei, bei dem auch der Bürgermeister mitlief. Obwohl er eigentlich ein konservativer Bürgermeister ist, entschied er sich am Pride March teilzunehmen, wodurch er ein sehr positives Zeichen setzte. Gleichstellung ist in Taiwan mittlerweile sehr wichtig, sie haben entsprechende Gesetze durchgesetzt und bemühen sich sehr darum, dass es keine Benachteiligung gibt.

AVIVA-Berlin: Wie wird das vom spirituellen Glauben her gesehen?
Monika Treut: Nun, die spirituelle Tradition in Taiwan liegt im Konfuzianismus, der sehr starken Bezug auf die Familie nimmt und auf Nachkommen großen Wert legt: Die Familie muss sich fortsetzen und darf nicht aussterben. Kinder müssen wiederum Kinder kriegen. Da passt Homosexualität natürlich nicht zu.
Es ist doch auch klar, dass es keinen plötzlichen Umschwung geben kann. Keine Gesellschaft wird sofort begeistert von dem Thema Homosexualität sein. In Taiwan ist die Reibung auf jeden Fall noch vorhanden. In der älteren Generation gibt es oft noch ganz viel Widerstand gegen ein Coming Out in der jüngeren Generation. Es passt einfach nicht zu der herrschenden Familienideologie. Es ist immer noch ein großes Unglück für eine Familie, wenn die Tochter oder der Sohn lesbisch oder schwul ist und damit für die Eltern klar ist, dass es keine Enkelkinder geben wird.

AVIVA-Berlin: In Ihrem Dokumentar-Film "Den Tigerfrauen wachsen Flügel" wirkt eine Peking Oper-Darstellerin mit, die sich in männlichen Rollen einen großen Namen gemacht hat. Es scheint da schon auch eine Tradition zu geben, dass Frauen Männerrollen übernehmen?
Monika Treut: Dass die Rollen in der Peking Oper oft gegengeschlechtlich besetzt werden, hat ganz andere Ursachen. Das kann keinesfalls in den Alltag übertragen werden, das findet nur auf der Bühne statt. Historisch durften Frauen gar nicht Theaterschauspielerinnen werden, früher hatten Männer auch die weiblichen Rollen ausgefüllt. Dann wurden Frauen zugelassen, aber nur für männliche Rollen. Natürlich hat der Peking Oper-Star aus meiner Dokumention viele weibliche Verehrerinnen. Diese sind aber oft verheiratet, haben Kinder und sind Hausfrauen: Das kann folglich nicht vordergründig in einem lesbischen Zusammenhang gesehen werden. Auf der anderen Seite wird diese Konstellation schon auch als kleine Flucht vor dem konventionellen Denken genutzt. Es hat natürlich auch eine humorvolle Komponente, welche Situationen daraus entstehen können. Als ich gemeinsam mit der Schauspielerin bei einer Verehrerin anrief, ging deren Ehemann ans Telefon. Dies sorgte tatsächlich für großen Ärger zwischen den Eheleuten, aber vor allem deshalb, da er aufgrund ihrer tiefen Stimme annahm, dass der Peking Oper-Star tatsächlich ein Mann sei, der hinter seiner Frau her ist. Wir sind kurz darauf zusammen hingefahren und die Situation ließ sich schnell wieder entschärfen. Es ist zwar sogar so, dass die Peking Oper Schauspielerin mit ihrer Assistentin zusammenlebt und eine lesbische Beziehung führte. Darüber wollten die Beiden aber nicht mit mir reden. Für ihre Familien war es ein Tabu, obwohl es eigentlich jede(r) wusste. Da zeigt sich eines der großen Probleme: Es wird wenig über Homosexualität gesprochen.

AVIVA-Berlin: Wie würden Sie beschreiben, wie in Ihrem neuen Film "Ghosted" die Mutter von Ai-ling zu der lesbischen Beziehung ihrer Tochter steht? Ich hatte das Gefühl, dass es sich bei den Telefonaten andeutet und die Mutter darauf relativ gelassen reagiert.
Monika Treut: Es wird darüber aber nicht gesprochen, es wird zwischen Ai-ling und ihrer Mutter nie ausformuliert. Sie spürt es vielleicht und akzeptiert es in ihrer Art. Es gibt zwischen ihnen eine starke Mutter-Tochter-Bindung, die das bewirkt. Der Mutter ist es in der Situation am wichtigsten, dass Ai-ling glücklich ist und dass es ihr gut geht.

AVIVA-Berlin: Inwiefern ist es denn realistisch, dass Sophie nach dem Tod von Ai-ling von deren Mutter und der Restfamilie in Taiwan so herzlich aufgenommen wird und an dem Bestattungsritual teilnehmen kann?
Monika Treut: Ich arbeite in der Dramaturgie von "Ghosted" mit Auslassungen. Es sollte kein Film werden, in dem jede kleine Wendung detailliert gezeigt wird. Die Mutter von Ai-ling hat insgesamt wenig Screen-Time bekommen. Aber es wird doch zum Beispiel angedeutet, dass die Mutter ein außereheliches Verhältnis hatte. Sie ist selbst keine Frau, die immer nur nach den Normen gelebt hat. Es sollte von ihr ein Bild gezeichnet werden, dass es schlüssig werden lässt, dass sie am Ende des Filmes über ihren eigenen Schatten springt. In dem Moment verknüpfen sich alle Fäden ineinander. Sie hat gegenüber Ai-ling lebenslang die Lüge über die Identität des Vater aufrechterhalten und so kommt da auch ein Schuldgefühl hinzu, dass sie innerlich bereit für Veränderungen werden lässt. Der innere Knoten ist geplatzt und so kann sie die Tatsache, dass Ai-ling in Hamburg in einer lesbischen Beziehung lebte, leichter akzeptieren. Der Film arbeitet viel mit Zeitsprüngen, der Handlungsverlauf ist keinesfalls chronologisch. Ich denke, dass es dadurch gut herüberkommt: Hier ist die Mutter, die ihre Lebenslüge endlich auflösen konnte. Deshalb kann sie mit Sophie das umarmen, wofür sich ihre Tochter im Leben entschieden hat.
Es ist auch eher untypisch für ein asiatisches Land, dass man sich zur Begrüßung umarmt. Die Taiwaner sind eher scheu, ihre Gefühle plakativ auszudrücken, deshalb zeigt sich in der letzten Sequenz des Filmes eine ganz besondere emotionale Intensität.
Beim Drehbuchschreiben hatte ich deshalb eine interkulturelle Beraterin hingezogen, um keine Fehler zu machen. So würden sie zum Beispiel nie untereinander sagen: "Ich liebe Dich", sondern man fragt nach der Befindlichkeit des anderen, um zu zeigen, wie wichtig man sich ist - nach alltäglichen Dingen wie den Essen und den Schlaf.

AVIVA-Berlin: Die Sexualität in "Ghosted" wird im Vergleich zu Ihren anderen Filmen eher zurückhaltend dargestellt. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Monika Treut: Da spielen auch die kulturellen Rahmenbedingungen mit eine Rolle. Schon beim Casting war es den taiwanischen Darstellerinnen wichtig, dass hier keine Grenzen überschritten werden. Da hatten auch die Agenten während der Dreharbeiten drauf geachtet und waren im Hintergrund mit dabei. Für "Ghosted" wäre ein provokativer Umgang mit Sexualität auch nicht notwendig gewesen. Es geht hier um eine zarte Beziehung, die Sexualität zwischen Sophie und Ai-ling steht nicht im Vordergrund. Die Anziehung zwischen den Beiden ist sicher auch so für jede Zuschauerin nachvollziehbar. Ich finde es auch schön, wenn die gesamte Beziehung so mehr Aufmerksamkeit erhält.

AVIVA-Berlin: Sie haben eine taiwanische Filmförderung beantragt. Das Drehbuch zu "Ghosted" war ja bereits existent – waren die Hauptrollen zu diesem Zeitpunkt auch schon besetzt?
Monika Treut: Ja, bis auf eine waren die wichtigsten Rollen schon besetzt. Das hat dann auch den positiven Ausschlag gegeben, weil das Gremium die Besetzung so toll fand. Denn das ist für die Taiwaner ja auch wichtig, dass sie auf dem Bereich der Darsteller präsent sind. Das wollte ich von Anfang an, denn die taiwanischen Schauspieler haben ein sehr schönes Talent. Es kommt bei denen sehr von innen, und die haben eine völlig andere Schauspielausbildung wie bei uns oder in den USA. Das sind zum Teil Naturtalente, z.B. die junge Huan-Ru, die die Ai-ling spielt, die hat bislang Nebenrollen und in ein paar Fernsehserien gespielt. Die hat sich ganz intensiv in die Rolle hineingearbeitet, und das hat mir sehr, sehr gut gefallen. Inga Busch hatte ich schon von Anfang an vor Augen, weil ich die sehr besonders finde und sie eine andere, robustere Qualität mitbringt. Weil sie auch ungewöhnlich aussieht und ein ungewöhnlicher Typ ist. Sie ist schon was Besonderes. Somit hatte ich sie beim Schreiben schon vor Augen. Bei den Taiwanern war das anders, da hatte ich erst die Nebenrollen im Auge. Die Yi-Ching Lu wollte ich haben und auch den Jack Kao, den kannte ich schon aus anderen Filmen und finde ihn klasse mit seiner Präsenz. Die beiden Hauptdarstellerinnen haben wir über Casting gefunden, das war nicht einfach. Das ging über mehrere Umwege, und ich hatte zwischendurch noch eine andere Schauspielerin im Auge für Ai-ling. Das hat sich dann aber zerschlagen. Das war eigentlich Glück im Unglück, weil Huan-Ru erst ziemlich spät auftauchte und eigentlich vom Typus genau dem entsprochen hat, was ich mir vorstellte. Ich hatte sie allerdings nicht so auf dem Radarschirm, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht so bekannt war. Dann hatte ich auch eine andere Besetzung für die Rolle der Mei-li, das ist eine Pop-Sängerin, die sehr bekannt ist, aber das war extrem kompliziert und hat sich in letzter Sekunde aufgelöst, weil die fünf Agenten in Japan, Taiwan und Mainland-China hat, und die wollten alle was anderes und haben den Preis von ihr dann auch so in die Höhe getrieben, dass es nicht mehr ging. Leider, denn die hätte ich auch gut gefunden. Und dann tauchte noch später Ting-Ting Hu auf. Wir haben uns getroffen und das hat auf Anhieb gesessen. Die hat das Drehbuch sehr spannend gefunden und hat die Rolle auch sofort verstanden, obwohl es ja eine Rolle ist, wo man im Westen eher denkt: "Huch, ist das denn jetzt ein Geist oder ist das ein Traum?", und das hat die Schauspielerin Ting-Ting Hu sofort kapiert, dass sie mit den Zwischenräumen spielt.

AVIVA-Berlin: Dieter Kosslick hat oft betont, dass eine Vielzahl der Spielfilme, die während der Berlinale gezeigt werden, aufgrund des starken Realitätsbezug eine hohe dokumentarische Qualität haben. Wie sehen Sie dies für Ihren eigenen Film?
Monika Treut: Ja, für mich war es ganz hilfreich, dass ich zuvor schon soviel im Dokumentarfilmbereich gearbeitet habe. Zudem hatte ich für "Ghosted" nur ein kleines Budget zur Verfügung. Man braucht relativ viel Geld, um zeitaufwendig zu arbeiten und jeden Statisten bezahlen zu können. Das wäre für uns nicht möglich gewesen. Insgesamt haben wir in Taiwan neun Tage gedreht. Sicher, danach hatten wir einiges Material zusammen und konnten gar nicht alles einsetzen. Einige Szenen habe ich beim Schnitt wieder herausgenommen, weil diese in die Filmlänge nicht mehr hineinpassten.
Zum Teil hatten wir so halsbrecherische Bedingungen, dass wir gar nicht genau wussten, welche Statisten es schaffen würden, zum jeweiligen Drehort zu kommen.
Wenn man sich nur als Spielfilmregisseur versteht, hat man seine fünfundzwanzig Statisten, die vorher genau eingewiesen wurden. Da wir nicht besonders gut bezahlen konnten, kamen bei uns die zuvor ausgesuchten Statisten auch sonst oft nicht, so dass ich spontan Leute aus dem Umfeld ansprach und in die Dreharbeiten integrierte. Wenn man neben Spielfilmen auch Erfahrungen mit Dokumentarfilmen hat, kann man viel kreativer an die jeweiligen Drehbedingungen herangehen.

AVIVA-Berlin: Wurde Ihr Film "Ghosted" bereits in Taiwan der Öffentlichkeit vorgestellt? Wenn ja, wie waren die Reaktionen?
Monika Treut: Der wird Ende Juni auf dem Taipei-Film Festival gezeigt und kommt dann anschließend sofort ins Kino. Ich habe aber an den Reaktionen auf der Berlinale mitbekommen, wo ihn auch etliche Taiwaner aus der Community gesehen haben, dass die den sehr interessant und spannend finden. Die, die ein wenig konservativer sind, brauchen einen kleinen Moment, um über diese lesbische Geschichte hinweg zu kommen, aber auch selbst die Konservativen können mit dem Film was anfangen und werden da hineingesogen. Zum Beispiel Kevin Chen, der die Nebenrolle Patrick spielt, und der seit einigen Jahren in Berlin lebt, hat "Ghosted" zum ersten Mal auf der Berlinale gesehen und ist komplett begeistert davon. Ich denke mal, dass der Film eine schöne Aufmerksamkeit bekommen wird, weil es die erste Mischkultur-Produktion ist. Deswegen sind die Leute sowieso neugierig, und die haben ja auch noch nie gesehen, dass taiwanische Schauspieler im Ausland spielen. Was die Taiwaner aber jetzt schon gesagt haben ist, dass es ihnen gefällt, wie die Stadt Taipei rüberkommt.

AVIVA-Berlin: Wie sehen Sie es, dass Filme, die schwul / lesbische Themen beinhalten, zum großen Teil im Panorama gezeigt werden und nur sehr selten im Wettbewerb bzw. dort nur wenn die homosexuelle Beziehung eine sehr Außergewöhnliche ist (so zum Beispiel "Little Soldier", "Tagebuch eines Skandals")?
Monika Treut: Ich habe leider wenig vom Wettbewerb sehen können dieses Jahr.
Die Auswahl der Filme, die im Wettbewerb gezeigt werden, hängt von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab, auch wie viel Power die jeweilige Produktionsfirma hat. Wenn ein namhafter Verleih unbedingt einen Film im Wettbewerb zeigen möchte, so gelingt ihm das auch oft. Wir haben auch einen Festivaldirektor, des sich umschaut und es allen recht machen möchte. Das ist eigentlich bei allen großen Festivals so, dass die Festivalleiter in dem Sinne kaum persönliche Freiheiten haben. Sie müssen sehr viele Interessen zufrieden stellen.

Lesen Sie auch die Filmkritik von Silvy Pommerenke zu "Ghosted".

Ghosted
im Verleih von Edition Salzgeber
Deutschland / Taiwan, 2009
Regie: Monika Treut
DarstellerInnen: Inga Busch, Huan-Ru Ke, Ting-Ting Hu, Jana Schulz, Marek Harloff, Jack Kao, Yi-Ching Lu, Kevin Chen, Nick Dong-Sik
FSK: 12
Filmlänge: 89 Minuten
Kinostart: 30. April 2009

Weitere Informationen zum Film: www.ghosted-film.de



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Beitrag vom 15.05.2009

AVIVA-Redaktion