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Beitrag vom 11.03.2010
Saara Aila Waasner im Interview
Tatjana Zilg
Mit dem Diplomfilm an der Berlinale teilnehmen: Mit der Doku "Frauenzimmer" ging dieser Traum für die junge Regisseurin, die ihr Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg ...
Ihre sensible Portrait-Collage von drei Frauen um die fünfzig, die sich für eine selbstbestimmte Tätigkeit in der Prostitution entschieden haben, wurde für die "Perspektive Deutsches Kino" ausgewählt und erwarb die Gunst von Kritik und Publikum durch Detailreichtum, geschickten Umgang mit der Biografie der Protagonistinnen und sympathischer wie auch tiefgründiger Darstellung der drei Frauenpersönlichkeiten.
AVIVA-Berlin traf Saara Aila Waasner während der 60. Berlinale zu einem Gespräch.
AVIVA-Berlin: Ihr Film war für mich an vielen Stellen überraschend, weil er einen anderen Blick auf das Thema Prostitution aufwirft, und es nicht nur um die negativen Seiten geht, über die mittlerweile relativ viel bekannt ist.
Was hat Sie selbst am meisten überrascht während der Dreharbeiten?
Saara Aila Waasner: Bevor ich zu drehen anfing, habe ich mich im Vorfeld oft mit den Protagonistinnen ohne Kamera getroffen. Deshalb kannte ich die Lebensgeschichten der drei Frauen bereits gut. So ganz überraschend war für mich beim Dreh dann nichts mehr. Aber als ich die drei Frauen kennen gelernt habe, war ich schon erstaunt, was für außergewöhnliche Biografien das sind. Damit habe ich am Anfang nicht gerechnet.
AVIVA-Berlin: Stand für Sie bei den Recherchen im vornherein fest, dass Sie Protagonistinnen in diesem Lebensalter suchen?
Saara Aila Waasner: Als ich mit dem Thema angefangen habe, war für mich klar, dass ich mich auf etwas ältere Frauen konzentrieren möchte. Ursprünglich kam ich zu dem Thema, als mir eine Bekannte erzählte, dass ihre Patentante als Prostituierte arbeitet. Das empfand ich damals natürlich schon als außergewöhnlich, so dass ich nachfragte. Da ich zu dieser Zeit auch auf der Suche nach meinen Diplomthema war, dachte ich sofort, dass es interessant sein könnte, hier anzuknüpfen. Zuvor hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie man in dieser Branche älter wird, und ob es Frauen um die fünfzig gibt, die Sexarbeit anbieten. Ich erinnere mich, wie ich mich nach diesem Treffen spontan an den Rechner gesetzt und alle möglichen Kombinationen eingegeben habe. Das war der Beginn meiner ausführlichen Recherche. Und da war ich schon überrascht, wie viele ältere Frauen in der Prostitution arbeiten.
AVIVA-Berlin: Es ist verbreiteter, als man annehmen würde?
Saara Aila Waasner: Ich kann es jetzt nicht prozentual sagen, da ich mich von Beginn an auf diese Gruppe konzentriert habe. Aber es war schnell ersichtlich, dass es keinerlei Probleme für einen Mann gibt, der bewusst vorhat, zu einer älteren Prostituierten zu gehen. Ganz unabhängig davon, wo man in Deutschland lebt. Es gibt überall Frauen, die das anbieten.
AVIVA-Berlin: Wie kam es, dass alle drei Protagonistinnen im Film in Berlin leben? Was hat Sie von München, wo Sie wohnen, nach Berlin geführt?
Saara Aila Waasner: Das war Zufall. Ich habe während der Recherchen sogar Frauen in Österreich und der Schweiz getroffen. Zunächst plante ich, mit zwei Frauen aus Berlin und einer Frau aus einer anderen Stadt zu drehen, welche aber kurz vor dem Drehstart abgesprungen ist. Der Einfachheit halber und um die Kosten nicht steigen zu lassen, suchte ich den Ersatz für sie ausschließlich in Berlin. Und das hat sich bei der Umsetzung als optimal erwiesen. So konnte man die Dreharbeiten flexibler gestalten und auch mal eine Pause machen. Dokumentarfilme sind beim Dreh immer auch anstrengend für die Protagonistinnen.
AVIVA-Berlin: Mit welcher persönlichen Haltung zu dem Thema Prostitution sind Sie an Ihrem Film herangegangen? Es ist ein Feld, welches oft sehr emotional diskutiert wird und viele konträre Aspekte aufweist.
Saara Aila Waasner: Nun, ich war zuvor bereits sensibilisiert. Im Jahr 2005 habe ich eine Kurz-Doku über einen Jugendlichen gemacht. Er hatte auch Prostitutionserfahrung und sprach darüber sehr offen mit mir. Das war zwar ein anderer Blickwinkel als bei "Frauenzimmer" - nicht nur wegen der anderen Generation, sondern auch weil es um männliche Prostitution ging, aber so wurde ich zum ersten Mal intensiv aufmerksam auf das Thema. Und nachdem ich mich eine Weile mit dem Thema beschäftigt habe, wurde mir klar, dass ich einen Film über Frauen machen möchte, die freiwillig dieser Tätigkeit nachgehen, und über die Gründe, die sie dafür haben.
Zwangsprostitution wäre da ein ganz anderes Thema gewesen und es wäre ein völlig anderer Film geworden.
AVIVA-Berlin: Was war ausschlaggebend dafür, dass Sie sich für Christel, Paula und Karolina als Protagonistinnen entschieden haben?
Saara Aila Waasner: Wenn man einen Film plant, überlegt man, welche Geschichten gut zueinander passen - wie sie sich ergänzen und worin sie gegensätzlich sind. Mich haben diese drei Geschichten zudem selbst sehr fasziniert. Die drei Frauen sind ja auch sehr unterschiedlich.
Beim Filmemachen ist es auch wichtig, im Vorfeld auszuloten, wer sich dabei wohlfühlt, seine Geschichte vor der Kamera zu erzählen. Es ist die eine Sache, für die Frauen zu sagen, sie finden das Filmprojekt gut und möchten es unterstützen, aber selbst den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen, ist da noch ein Schritt weiter. Mir war es deshalb auch wichtig, dass ich Frauen finde, die einen guten Rückhalt durch ihre Familie oder ihren Freundeskreis haben.
AVIVA-Berlin: Sie haben im Film Szenen eingebunden, wo die Kinder oder Enkel der Frauen über sie sprechen, und sind auch mit dabei, wenn sie mit ihrer Familie Zeit verbringen. Waren die Familienangehörigen offen dafür? Wie haben Sie sie davon überzeugt?
Saara Aila Waasner: Das hat sich ganz natürlich ergeben, da ich im Vorfeld die Frauen schon so gut kennen gelernt habe. Von Treffen zu Treffen habe ich dann auch die Familienmitglieder kennen gelernt. Diese fragten zum Teil von sich aus, ob sie nicht selbst im Film etwas sagen könnten, denn sie erfuhren so bald, in welche Richtung mein Projekt gehen soll. Dass ich keine Vorurteile bedienen möchte.
AVIVA-Berlin: Wie lange dauerte die Vorbereitung? Das klingt nach einer langen Zeitphase.
Saara Aila Waasner: Es waren neun Monate, über die ich mich immer wieder mit den Frauen getroffen habe.
AVIVA-Berlin: Wie war die Bereitschaft des Freiers der Domina, den man im Film sieht, mitzumachen?
Saara Aila Waasner: Da war das ähnlich. Ich habe ihn im Vorfeld kennen gelernt. Man muss dazu sagen, dass er ein guter Freund von Karolina ist und nicht nur ihr Freier. Da war das keine große Sache. Er ist zudem selbst jemand, der dazu steht, wie er seine Sexualität lebt. Sein gesamtes Umfeld weiß Bescheid, auch seine Kollegen und sein Arbeitgeber.
AVIVA-Berlin: Warum haben Sie sich dazu entschieden, nur einen Freier einzubeziehen?
Saara Aila Waasner: Ich habe viele Freier kennen gelernt und mit ihnen gesprochen. Es ist aber ein Film, der aus der Sicht der Frauen erzählt. Deswegen habe ich auch keine Fragen an den Sklaven gestellt, wie es für ihn ist, zu einer Domina zu gehen.
AVIVA-Berlin: Wie haben Sie die Idee entwickelt, die sexuelle Dienstleistung der Frauen darzustellen, indem sie die Geräusche aufnehmen, mit der Kamera aber in den Nebenzimmern bleiben?
Saara Aila Waasner: Es gibt dazu drei Szenen. Bei jeder Frau zeige ich je eine Arbeitssituation. Es war für mich wichtig, dies einzubeziehen. Der Job, den sie machen, wird auf diese Weise erlebbar. Ich wollte das aber nicht noch direkter machen, da ich auf keinen Fall in die voyeuristische Schiene kommen wollte. Zudem wäre es auch geschäftsschädigend für die jeweilige Frau, wenn man zu nah an die Freier herantritt. Da war es wichtig einen Weg zu finden, wie dieser Bereich trotzdem nicht ausgeklammert wird. So fand ich zu der Möglichkeit, es über Töne zu beschreiben und währenddessen ihre Arbeitsräume mit einigen Details zu zeigen.
AVIVA-Berlin: Haben Sie damit gerechnet, dass sich zwei Frauen gegen Ende der Dreharbeiten entscheiden, ihr Leben erneut in eine andere Richtung zu lenken?
Saara Aila Waasner: Das habe ich zuvor nicht erwartet, das kam überraschend. Es ist aber schön, wenn man beobachten kann, dass sich bei den Protagonistinnen viel tut in ihrem Leben. Die Dreharbeiten liefen wie die Recherche über neun Monate. In dieser Zeit bin ich immer wieder mit dem Filmteam dorthin gefahren. Durch den langen Zeitraum wurde es erleichtert, eine Entwicklung zu zeigen.
AVIVA-Berlin: Sie haben an der Filmakademie Dokumentarfilm studiert. Was war Ihre Motivation für diese Studienausrichtung?
Saara Aila Waasner: Ich habe letzten Dienstag mein Diplom gemacht. Es war mir schon ziemlich früh klar, dass ich Filmemachen studieren will.
Seit ich zwölf Jahre war, habe ich mich schon dafür interessiert. Ich ging auf die Waldorfschule und musste eine Jahresarbeit schreiben, wofür ich in ein kleines Dorf in den neuen Bundesländern gefahren bin. Seit der Wende waren zehn Jahre vergangen und ich befragte die Menschen dort, wie sie diese Zeit erlebt haben. Im Anschluss arbeitete ich dies als schriftliche Arbeit aus und fand es toll, was ich alles erfahren konnte. Das wurde eine sehr ausführliche Arbeit. Aber keiner machte sich die Mühe, sie zu lesen. So dachte ich, es wäre noch besser gewesen, wenn ich eine Kamera dabei gehabt hätte. Da hat man ganz andere Möglichkeiten, über die Erfahrungen zu berichten und zu erzählen. Ich hätte die Leute aufnehmen können, wie sie sprechen, wie sie sich bewegen. Ich sehe da eine größere Genauigkeit. Und von da an war es mein Ziel, an einer Filmhochschule zu studieren.
AVIVA-Berlin: Wie kam es zu dem Schwerpunkt Dokumentarfilm?
Saara Aila Waasner: Nun, mir war das Schreiben und Filmen an sich wichtig. Aber es haben mich schon immer Menschen interessiert - welche, die überhaupt nicht bekannt sind, die man nicht sieht, die nicht beachtet werden. Wenn ich durch die Straßen gehe, fallen mir so viele Menschen auf, über die es vielleicht spannend sein könnte, mehr zu erfahren und dann über sie zu erzählen.
Ich interessiere mich auch sehr für Spielfilm, aber momentan ist Dokumentarfilm genau das, was ich machen möchte.
AVIVA-Berlin: Was zeichnet einen guten Dokumentarfilm für Sie im allgemeinen aus?
Saara Aila Waasner: Mich interessieren Dokumentarfilme, die mich emotional berühren und wo ich mehr über Menschen erfahre. Toll finde ich es auch, wenn mich Filmemacher überraschen.
Es ist eine große Bereicherung für das eigene Leben, wenn es immer wieder Leute gibt, die einen an ihren Gedanken und an ihren Leben teilhaben lassen.
AVIVA-Berlin: Wie war Ihre Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Ihr Film für die Berlinale ausgewählt wurde?
Saara Aila Waasner: Das hatte mich unglaublich gefreut. Ich habe ganz laut geschrieen am Telefon. Auf der Berlinale selbst war ich schon öfters. So kannte ich das hier alles schon. Aber es ist etwas ganz Besonderes, wenn man seinen eigenen Film hier zeigen kann. Ich genieße das sehr.
AVIVA-Berlin: Ihr Kurzfilm "Die Gedanken sind frei" von 2007 wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Würden Sie den Inhalt beschreiben?
Saara Aila Waasner: Es ist ein Portrait über eine psychisch kranke Frau, die unter anderem an einem Zählzwang leidet. Als ich den Film drehte, war sie Mitte Vierzig. Mit zwanzig Jahren wurde sie in eine Pflegefamilie aufgenommen. Mich hat interessiert, wie dieses Familienleben funktioniert. Wie sie damit umgehen, dass sie eine psychische Krankheit hat, durch die sie manchmal zwei Wochen lang nicht spricht und nichts anderes macht, als in der Ecke zu stehen, in die Luft oder auf den Boden zu schauen.
Zugleich habe ich eine Annäherung an sie versucht und wollte verstehen, wie ihre Zwänge entstanden sein könnten, wie sie denkt und wie es ihr damit geht.
Ich habe mittlerweile festgestellt, dass mich soziale Themen sehr interessieren. Aber ich habe mir das nie bewusst vorgenommen.
AVIVA-Berlin: Wird Ihr Film "Frauenzimmer" bald im Kino zu sehen sein?
Saara Aila Waasner: Das hoffe ich natürlich. Meine Produzentin Caroline Daube und ich haben bei der Berlinale Gespräche mit einigen Verleihen geführt. Fest steht da noch nichts. Es wird sich noch zeigen, ob es zu einem Kinostart kommt - möglicherweise in den kleineren Programmkinos.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview, viel Erfolg weiterhin und viel Spaß noch auf der Berlinale!