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Beitrag vom 19.03.2010
Sibel Kekilli im Interview
Tatjana Zilg
2004 holte Fatih Akin mit "Gegen die Wand" den Goldenen Bären und Sibel Kekilli war schlagartig bekannt. Bei der 60. Berlinale lief sie für das Panorama über den roten Teppich, denn sie spielte ...
... die Hauptrolle in "Die Fremde" von Feo Aladag.
AVIVA-Berlin traf Sibel Kekilli während der turbulenten Berlinale-Tage und erfuhr mehr über die Entstehung des eindringlichen Films und ihre Empathie für die junge Deutschtürkin Umay, die sich zwischen der Liebe zu ihrer Familie und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben entscheiden muss.
AVIVA-Berlin: Ihre Darstellung der Umay in "Die Fremde" ist sehr überzeugend und stimmig. Wann wurde Ihnen selbst bewusst, dass dies so ineinander aufgeht?
Sibel Kekilli: Als ich den Film zum ersten Mal selbst auf der Leinwand gesehen habe und in ihn als Ganzes eintauchen konnte.
AVIVA-Berlin: Wie haben Sie dies empfunden, als Sie das Drehbuch gelesen haben? Wo liegt da der Unterschied zu später, wenn Sie den fertigen Film auf der Leinwand sehen? Ist das dann eher ein Arbeitszustand?
Sibel Kekilli: Nun, das sind zwei verschiedene Sachen. Wenn man dem Film auf der Leinwand anschaut, so ist der Arbeitsprozess abgeschlossen. Zuvor weiß man noch nicht genau, wie das Ergebnis als Gesamtes sein wird. Es war auf jeden Fall eine Bereicherung mit so einer tollen Regisseurin wie Feo Aladag zu arbeiten.
AVIVA-Berlin: Wie kam es zu der Entscheidung, doch wieder eine Deutschtürkin zu spielen? Es gab vor einiger Zeit von Ihnen das Statement, solche Rollen nicht mehr übernehmen zu wollen.
Sibel Kekilli: Nein, das war nicht so. Das wurde falsch wiedergegeben. Ich wurde das jetzt schon oft gefragt. Ich hatte in dem Zusammenhang gesagt, dass ich keine Opferrollen spielen möchte und das ist hier nicht so. Bei Umay spielen viele andere Dinge eine Rolle, wie auch eine gewisse Sturheit, ein Egoismus, der aus der Verzweiflung herauskommt. Wenn sie zum Beispiel zu der Hochzeit geht, so gefährdet sie auch die Heirat ihrer Schwester, aber sie kehrt noch ein zweites Mal zurück, um für sich und ihren Sohn um Anerkennung zu kämpfen.
AVIVA-Berlin: Wie haben Sie sich der Rolle angenähert, um diese verschiedenen Antriebe des Charakters zu verstehen?
Sibel Kekilli: Für mich war dabei die Zeit vor dem Dreh wichtig, in der ein Schauspielcoach mit den Darstellern von Umays Geschwistern und mir gearbeitet hat. Dadurch sind wir als Cast zusammengewachsen. Wir haben auch miteinander das Familiengefüge analysiert. Es war gut, so schon vor dem Dreh mit der Rolle eins zu werden.
AVIVA-Berlin: Hatten Sie Bedenken, als Sie für die Rolle der Umay zugesagt haben, dass dies wieder in Verbindung zu ihrer eigenen Biografie gesetzt wird?
Sibel Kekilli: Nein. Ich finde es unnötig, dass Rollenbesetzungen öfter so hinterfragt werden. Und ich würde mir wünschen, dass man dies mehr für sich stehen lässt und nicht solche Bezüge heranzieht.
AVIVA-Berlin: Welchen Eindruck wird der Film Ihrer Meinung bei Publikum hinterlassen? Sie haben sich gegen Klischees bei der Mediendarstellung von Menschen mit türkischen Migrationshintergrund geäußert. Aber könnte nicht auch "Die Fremde" falsch verstanden werden und bestimmte Klischees nähren?
Sibel Kekilli: Ja, wenn ein Film falsch verstanden werden soll, so ist das auch hier möglich. Aber von Anfang an habe ich an dem Drehbuch gemocht, dass es keine Schwarz-Weiß-Malerei betreibt, sondern dass es viele Nuancen enthält.
AVIVA-Berlin: Haben Sie auch direkt Einfluss auf das Drehbuch genommen?
Sibel Kekilli: Nein, im Drehbuch war das alles schon enthalten und beschrieben. Aber zum Beispiel bei der Szene auf der Hochzeit, wo Umay ihre ungewollte Rede hält, haben wir noch Feinheiten miteinander verbessert. Feo hat die türkischen Dialoge in Deutsch geschrieben und dann habe ich diese mit meiner Filmmutter so umgeschrieben, dass man sie in Türkisch sprechen konnte. Der bildliche Ausdruck unterscheidet sich im Deutschen und Türkischen schon sehr.
AVIVA-Berlin: Wie war es für Sie und Ihre jungen Kollegen, in die Film-Rollen hineinzuschlüpfen?
Sibel Kekilli: Es war gut, dass wir uns vorher schon ausführlich kennen lernen konnten. Serhad Can, der Umays jüngeren Brüder spielt, fiel die Szene schwer, in der er mir auf der Hochzeit eine Ohrfeige geben sollte. Er sagte, es sei seine Einstellung, niemals Frauen zu schlagen. Ich habe ihm dann vermittelt, dass das zum Film gehört und dass es wichtig ist, das umzusetzen. Auch Tamer Yigit, der ältere Bruder, hatte zuerst Schwierigkeiten, mich von der Bühne zu zerren.
AVIVA-Berlin: Den Männern in dem Film gelingt es nicht, aus den vorgegebenen Rollenmustern auszubrechen. Welche Ansätze bräuchte es, um dies in der Realität zu überwinden?
Sibel Kekilli: Indem sie innere Stärke entwickeln. Wenn die Jungen von klein auf nicht als Paschas erzogen werden und stattdessen ein tolerantes Verhalten erlernen würden. Dass sie auch Tränen zeigen dürfen und keine Angst davor haben müssen, als Schwächling angesehen zu werden.
AVIVA-Berlin: In dem Film "Die Fremde" erhält Umay Unterstützung von Außen, nachdem sie sich entschieden hat, den Ausstieg aus der sich zuspitzenden Familiensituation zu suchen. Sie wählt den Notruf und die Polizei holt sie mit Nachdruck aus der Wohnung, danach wohnt sie kurzzeitig in einem Frauenhaus. Würden Sie sagen, dass heutzutage das Unterstützungssystem für die betroffenen Frauen funktioniert?
Sibel Kekilli: Nun, man muss erst mal dahin kommen, Unterstützung anzunehmen. Morsal, die Afghanin, die in Hamburg getötet wurde, lebte zuvor schon in einem Jugendheim und kehrte dann wieder zu ihrer Familie zurück. Was natürlich auch zum Teil verständlich ist, da es bestimmt sehr schwer ist, die Familie aufzugeben. Da hat die Hilfe leider nichts genutzt. Ich finde es gut, dass es Organisationen gibt, die versuchen, an dieser Stelle einzusteigen wie zum Beispiel das Jugend-Projekt "Heroes".
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!