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Beitrag vom 11.02.2004
Interview mit der frischgebackenen Rabbinerin Elisa Klapheck - Teil 2
Sharon Adler
Sie studierte Politische Wissenschaft und arbeitet als Journalistin und Autorin. Die Mitbegründerin von "Bet Debora" ist außerdem Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, daneben..
AVIVA-Berlin: Im Jahr 2000 haben Sie die Biographie der ersten Rabbinerin weltweit "Fräulein Regina Jonas" herausgebracht und damit auch ihre Streitschrift veröffentlicht ("Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?"). Wie sind Sie auf sie gestoßen? Welche Resonanz gab es auf das Buch?
Elisa Klapheck: Ich bin eigentlich nicht auf sie gestoßen, sondern habe Mitte der 90er Jahre erstmals durch einen Artikel über sie erfahren. Meine Freundin, die deutsch-amerikanische Theologin Katharina von Kellenbach, hatte diesen Artikel geschrieben. Bis dahin war Regina Jonas vollkommen in Vergessenheit geraten. Selbst ihre einstigen Schülerinnen und Kollegen, von denen eine ganze Reihe die Nazizeit überlebt hatten, haben nie über sie gesprochen. Als ich dann 1998 mit den Vorbereitungen der ersten Bet-Debora-Tagung beschäftigt war, rief ich den Direktor des Centrum Judaicum, Dr. Hermann Simon, an und fragte ihn, ob demnächst mit einem größeren Buch über Regina Jonas zu rechnen sei - eine Biographie oder eine Edition ihrer Streitschrift - und wir die Autorin zur Tagung einladen könnten. Hermann Simon bedauerte mir sagen zu müssen, dass sich bisher niemand für eine größere Publikation interessiert habe. Nach einer Sekunde des Schweigens fragte er dann, ob ich dieses Buch schreiben wolle. Nach noch einer Sekunde des Schweigens sagte ich dann zu. Dieser Moment wurde natürlich zu einem Wendepunkt in meinem Leben.
Die Resonanz auf das Buch später war enorm. Die erste Auflage 1999 war innerhalb weniger Wochen vergriffen, im Jahr 2000 erschien die zweite Auflage, inzwischen ist in der "Miniaturen"-Serie des Verlages noch eine von mir geschriebene Biographie über sie erschienen und im Herbst erscheint eine englische Übersetzung des Buches in einem amerikanischen Verlag. Ich werde fast jeden Monat zu einem Vortrag über Regina Jonas eingeladen. 60 Jahre nach ihrer Ermordung hat sie posthum doch noch ihren Platz als Wegbereiterin des weiblichen Rabbinats eingenommen. Die Leute wollen jetzt endlich wissen, wer sie war.
AVIVA-Berlin: Schon früh wusste Regina Jonas, dass sie Rabbinerin werden wollte. 1944 wurde sie im Alter von 42 Jahren nach Auschwitz deportiert und vergast. Sicher wollten Sie ihre Geschichte vor dem Vergessen bewahren. Darüber hinaus - könnte man sagen, Sie fühlen sich mit ihr verbunden, haben Sie Ihr Studium auch für sie gemacht?
Elisa Klapheck: Für sie direkt nicht. Aber irgendwie war sie schon mit dabei. Sie hat in ihrer Streitschrift viel rabbinisches Schrifttum verarbeitet und wurde - trotz ihrer Ermordung 1944 - zu meiner Lehrerin. Sie war es eigentlich, die mir die Grundlagen der rabbinischen Argumentationssystematik beibrachte. Während ich noch an dem Buch arbeitete, war mir mitunter, als würde sie mich direkt fragen: Na, und was ist jetzt mit dir? Zeitweilig habe ich mich natürlich mit ihr identifiziert. Ich bin aber ganz anders als sie - gehe auch andere Wege.
AVIVA-Berlin: Während der Jüdischen Kulturtage 2003 forderten Sie die Abhängung eines in der Villa Elisabeth ausgestellten Bildes. Warum?
Elisa Klapheck: Das Bild war Teil einer Ausstellung der Künstlergruppe "Meshulash" zum Thema "Jiddisch". Man sieht mich tanzend auf einem Berliner Dach. Das Gemälde assoziiert "Fiddler on the Roof" - sozusagen als "Rabbi on the Roof". Ich trage Tefillin (Gebetsriemen) und einen Tallit (Gebetsschal). Ich hatte dem Künstler, Sigurd Wendland, ursprünglich meine Zustimmung gegeben, dies zu malen. Trotzdem muss man das Bild als eine Interpretation des Künstlers sehen. Die Dargestellte ist nicht wirklich identisch mit mir. Als es zu Kritik kam - wegen der Gebetsriemen, die, wenn überhaupt, nur Männer öffentlich tragen -, habe ich jedoch nicht die Abhängung des Bildes gefordert. Kunst muss frei sein, ihre Zensur ist der Beginn einer unfreien Gesellschaft. Das Bild enthält zudem Ebenen, für die ich stehe: ein Judentum, das Freude bereitet, ein Judentum, in dem getanzt werden darf, in dem es eine intime Beziehung zu Gott gibt (ausgedrückt durch die Gebetsriemen), ein Judentum, in dem neben einer geistig-intellektuellen immer auch eine erotisch-mystische Komponente bestanden hat, ein Judentum, in dem sich Frauen selbstbestimmt ausdrücken können - und vor allem: ein Judentum, das heute in diesem Land, in dieser Stadt, ja in Berlin-Schöneberg, da, wo ich lebe, seinen Ort haben kann. Ich möchte gewiss keine religiösen Gefühle verletzen. Ich verstehe, wenn manche schockiert sind, eine Frau mit Gebetsriemen zu sehen. Aber ich selbst war vor 20 Jahren auch noch schockiert, als ich die erste Frau im Tallit, im Gebetsschal, sah und empfand dies als Travestie - obwohl ich doch Feministin war! Heute weiß ich, dass dies reine Gewöhnungssache ist.
AVIVA-Berlin: In der taz vom 9. Dezember 2003 forderten Sie die Freiheit der "toleranten Stadt". Sie sind dafür, dass die gläubige Muslima ein Kopftuch tragen kann, wann immer sie will. Warum?
Elisa Klapheck: Im Berliner Projekt "Sarah - Hagar", in dem Jüdinnen, Christinnen und Musliminnen in einen politischen Trialog getreten sind, habe ich einfach zu viele Musliminnen kennen gelernt, die zwar ihre Haare bedecken, aber trotzdem demokratisch und weltoffen denken. Die Debatte um das Kopftuchverbot fördert ein Klima der Intoleranz, in der wir demokratisch eingestellten Muslime nicht mehr als solche erkennen können. Grundsätzlich bin ich für mehr Religion in unserer Gesellschaft. Keine Frage, Lehrer, die indoktrinieren und anti-demokratisch eingestellt sind, haben an unseren Schulen nichts zu suchen. Das hat aber nichts mit dem Kopftuch zu tun, sondern hängt vom Verhalten jedes einzelnen Lehrers ab.
Darüber hinaus erschreckt mich der aggressive Ton in der Debatte. Viele, die ein Kopftuch-Verbot fordern, sprechen mit derart unverhohlenem Hass, dass ich mich frage, ob da nicht ganz andere, unverarbeitete Motive mitschwingen. Mich erinnert die Debatte an die Zeit des 19. Jahrhunderts, in der die Juden in Deutschland zwar die Bürgerrechte erhielten, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie jegliche äußerliche Anzeichen ihres Judentums aufgeben sollten - während Christen ungeniert weiterhin ihr Christentum öffentlich leben durften. Diese Scheintoleranz macht die Menschen nicht toleranter. Im Gegenteil. Wir brauchen heute gute Musliminnen und Muslime, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern einen modernen, weltoffenen und westlich geprägten Islam entwickeln. Die muslimischen Frauen im Projekt "Sarah - Hagar" sind genau um einen solchen Islam auf dem Boden der Demokratie bemüht. Aber sie werden täglich in die fundamentalistische Ecke abgeschoben. So berauben wir Nicht-Muslime uns unserer eigenen Chance eines Miteinanders in der Einwanderer-Gesellschaft, die wir nun mal geworden sind.
AVIVA-Berlin: Sie haben einmal gesagt, "Normalität" sei unjüdisch ("Ihr sollt nicht so sein, wie die andren Völker"). Wann beginnt für Sie die Normalität zwischen Juden und Nichtjuden?
Elisa Klapheck: Nie. Judentum zielt einfach nicht auf das Normale (Profane) im Leben, sondern auf das Besondere (Heilige) ab. Deswegen wird alles im Judentum zu etwas Besonderem. Für mich persönlich bedeutet das, dass ich gar keine normalen Beziehungen zu meinen Freunden, Bekannten und Kollegen anstrebe. Ich möchte besondere Beziehungen zu ihnen haben und in jeder einzelnen Beziehung das Besondere wertschätzen. Wenn wir alle eines Tages in der Lage sind, das Besondere in uns und in den Anderen wertzuschätzen, uns gegenseitig also nicht mehr klein machen, sondern groß - dann dürfte die messianische Zeit endlich erreicht sein.
Informationen zu Bet Debora im Netz unter:
www.bet-debora.de