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Interviews
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Beitrag vom 15.09.2002
Erica Fischer, Autorin von Jaguar & Aimée - Teil 2
Sharon Adler
1943 im englischen Exil geboren, wohin ihre Eltern - der Vater war Österreicher, die Mutter polnische Jüdin - 1938 geflüchtet waren. 1948 kehrte sie mit der Familie nach Wien zurück.
AVIVA-BERLIN: Wie beurteilen Sie das Bild Israels in den Medien, und woher kommt die Sympathie der Deutschen für die Palästinenser?
Erica Fischer: Ich habe mich aus dem Nahost-Konflikt immer herausgehalten. Ich wollte mich dazu nicht äußern. Ich habe keinerlei zionistische Tradition in meiner Familie. Meine Mutter war in ihrer Jugend Kommunistin. Ihre Familie war in Warschau sehr auf Assimilation bedacht. Deshalb spielte das Judentum in meiner Erziehung keine Rolle und ich habe erst Ende der achtziger Jahre angefangen, mich damit ernsthafter zu beschäftigen.
Und doch gab es da immer eine gewisse Sensibilität: Ich erinnere mich in den 80er Jahren an ein Gespräch mit einem österreichischen Journalisten. Er sagte, er würde keine israelischen Avocados kaufen. Das war die Zeit, als ich selbst im Früchte-Boykott gegen Südafrika engagiert war. Da habe ich mich schon gefragt: Wieso Israel und nicht Südafrika?
Ich habe auch keine besondere Nähe zu Israel. Ich war einige Male dort und fand es sehr interessant und aufregend, vor allem das Gefühl, unter lauter Juden zu sein. Aber ich bin von meiner politischen Einstellung her eine Linke, also grundsätzlich gegen Besatzer, gegen Imperialisten und auf der Seite der Schwachen. Insofern stehe ich politisch auf der Seite der Palästinenser. Die Selbstmordattentate finde ich allerdings unerträglich, dieser ganze arabische Macho-Märtyrerkult.
Die jungen Menschen identifizieren sich wahrscheinlich mit den vermeintlichen Opfern. Das finde ich auch grundsätzlich richtig. Aber die Dinge sind nicht so einfach, wie es die Leute gern hätten: das klare Bild von den Bösen auf der einen Seite und den Guten auf der anderen. Ich denke jedoch, dass diese Tendenz in Deutschland nicht ausgeprägter ist als in Frankreich und anderswo. Ich zögere, das direkt einer antisemitischen Grundströmung zuzuordnen.
Es wird aber viel zu wenig wahrgenommen, dass es neben der Sharon-Politik in Israel auch eine Friedensbewegung gibt, immer gegeben hat. Gerade der Nahost-Konflikt hat einen sehr komplizierten historischen Hintergrund, an dem Deutschland nicht unbeteiligt ist.
Man kann wohl nicht radikal und differenziert gleichzeitig sein. Wenn ich mich an mich selber als radikale Feministin erinnere, so war ich vermutlich sehr männerfeindlich. Habe einzelne Männer für das gesamte Patriarchat verantwortlich gemacht. Andererseits habe ich immer zu jenen gehört, die bereit waren, den Dialog zu führen. Den Dialog abzubrechen, bedeutet Krieg. Solange man spricht, ist noch Hoffnung. Ich habe den Kontakt zu Männern nie abgebrochen.
AVIVA-BERLIN: Wo sehen Sie Ihre eigene jüdische Identität?
Erica Fischer: Ich war fünf, als ich nach Wien kam. Was mir meine Mutter vermittelt hat, war das Wissen um den polnischen Antisemitismus einerseits und ihr eigenes Unbehagen, im Naziland Österreich zu leben. Das hat sich mir schon als Kind eingeprägt. Ich war immer sehr stolz auf meinen englischen Pass und meine englische Staatsbürgerschaft und hatte eine große Distanz zu Österreich. Als Kind und als Jugendliche konnte ich aber nicht artikulieren, was die Ursache war. Ich bin erstmals 1965 - während einer antisemitischen Welle an der Wiener Uni - für ein Jahr weggegangen, erst nach England, dann nach Italien. Ich hatte das Gefühl, es keinen Augenblick länger ertragen zu können. Insofern war schon ein Bewusstsein da, aber ich habe das mehr allgemein politisch verstanden. Wie stark das alles mit mir persönlich zu tun hatte, habe ich damals nicht erkannt.
Das zweite Mal war während der Zeit, als Waldheim Bundespräsident von Österreich war, 1986. Jeden Sonntag ging meine Mutter auf den Stephansplatz, um mit den Leuten über Antisemitismus zu diskutieren. Ich konnte nicht verstehen, wie sie sich dem aussetzen konnte. Die zweite Generation ist da ja oft viel empfindlicher, ich wollte damit nichts zu tun haben.
1988 ging ich - frisch verheiratet - nach Köln, und erst in Deutschland habe ich ernsthaft begonnen, mich mit meinem jüdischen Hintergrund zu beschäftigen. So habe ich einmal einen Artikel über jüdischen Feminismus geschrieben, habe gelesen, wie amerikanische jüdische Feministinnen mit ihrer Religion umgehen und fand das sehr spannend. Als ich 1994 - frisch geschieden - nach Berlin kam, habe ich bewusst jüdische Zusammenhänge gesucht, hatte eine jüdische Therapeutin und bin auch einige Male in der Synagoge gewesen. Aber die Religion erschließt sich mir nicht. Doch immerhin habe ich es geschafft, meine Beklommenheit los zu werden, mich nicht mehr zu schämen, dass ich so wenig über das Judentum weiß. Jetzt weiß ich gerade genug. Ich muss nicht religiös sein, um Jüdin zu sein. Aber ich finde die Tradition schön und bedaure, davon so wenig mitbekommen zu haben.
Eine jüdische Bekannte - Ruth Beckermann - hat ein Buch über Juden im Nachkriegsösterreich geschrieben mit dem Titel "Unzugehörig". Das ist mein Lebensproblem: Ich habe mich immer unzugehörig gefühlt. Dieses Gefühl der Unzugehörigkeit wird nie vergehen.
AVIVA-BERLIN: "Ni oublié, ni pardon" und "Juden müssen immer Angst haben" - das sind Zitate aus dem Band "Die Liebe der Lena Goldnadel". Empfinden Sie das auch so?
Erica Fischer: "Ni oublié, ni pardon" - im Bezug auf die Nazigeneration ganz sicher. Das stand auf dem Grab einer umgebrachten Familie. Bezogen auf die nachfolgende Generation muss man nichts verzeihen, weil sie nichts dafür kann. Was ich den jüngeren Leuten allerdings nicht verzeihe, ist, dass sie nicht genug nachfragen. Wenn ich junge Leute nach ihren Großeltern frage, sagen sie: "Ich habe es versucht, aber sie wollen nicht reden" oder aber: "Ich bin jung, was geht mich das an?" Diese mangelnde Auseinandersetzung mit der eigenen Familie muss man kritisieren.
Aber ich habe bei Lesungen auch Menschen meiner Generation kennen gelernt, die es getan haben und die psychisch schwer angeschlagen sind. Das sind zwar Einzelfälle, aber ich habe gesehen, was passieren kann, wenn man sich der familiären Wahrheit stellt.
Wenn ich mit jungen Leuten über eine meiner Geschichten aus "Lena Goldnadel" spreche, in der der Vater einer jungen Jüdin nicht will, dass seine Tochter einen Deutschen heiratet, bekomme ich als erstes zu hören: "Die Juden sind ja genauso Rassisten wie die Nazis". Dieser Nazi-Vergleich, der auch in der Nahost-Debatte immer wieder kommt, ist schrecklich.
AVIVA-BERLIN: Und was halten Sie von Möllemann?
Erica Fischer: Ich denke, dass die FDP von den Möllemann-Äußerungen profitieren wird und dass die am rechten Rand abschöpfen werden. Dieser Hass gegen Michel Friedmann: Er ist einfach zu selbstbewusst für die Leute. Er ist aggressiv und fordernd, sieht gut aus, und das macht ihn für sie unerträglich. Ein Jude darf so nicht sein. Da merkt man dann doch, dass der Antisemitismus knapp unter der Oberfläche liegt. Manchmal denke ich, ich sehe die Lage vielleicht doch zu positiv. Aber wenn ich hier lebe, muss ich ja auch einen positiven Bezug zu meiner Umgebung haben. Ich will nicht paranoid sein.
Und als Ausländerin, die ich bin - ich bin ja auch nicht wahlberechtigt -, finde ich es hier leichter als in Österreich. Was hier passiert, geht mir nicht so sehr unter die Haut. Und auf jeden Fall wurde hier mehr aufgearbeitet als in Österreich, keine Frage.
AVIVA-BERLIN: Sie lieben jüdische Friedhöfe und können Stunden damit zubringen, die Namen auf den Grabsteinen zu lesen. Was fasziniert Sie daran?
Erica Fischer: Diese Namen sind für mich mit der Trauer über eine vergangene, versunkene Zeit verbunden, die ich natürlich auch romantisiere. Es ist ein Phantasieren über etwas, was verloren gegangen ist, unwiederbringlich.
AVIVA-BERLIN: Kennen Sie auch diese spezielle Fragestellung: Ähhh, sind Sie.....Jude? Ich selber entgegne immer: Erstens bin ich Jüdin und zweitens ist es kein Schimpfwort, Sie können es ruhig aussprechen.....
Erica Fischer: Oh ja, das kenne ich. Diese Angst, das Wort in den Mund zu nehmen, weil es früher ein Schimpfwort war. Das ist heute noch stark ausgeprägt.
AVIVA-BERLIN: Auf Ihrer taufrischen Website findet sich der Satz: "zwei Staatsbürgerschaften, aber keine Kinder".
Erica Fischer: Ja, das stimmt, zwei Staatsbürgerschaften, aber keine Kinder.
AVIVA-BERLIN: War das eine bewusste Entscheidung?
Erica Fischer: Rückblickend war es wohl eine Entscheidung, die ich aber nicht bewusst getroffen habe, es war einfach das Leben. Nach `68 war die Zeit so ungeheuer interessant. Ich bin Anfang der 70er Jahre mit dreißig in der Frauenbewegung aktiv geworden. Damals hätte ich mir das mit dem Kind allmählich überlegen müssen. Ab und zu habe ich darüber nachgedacht. Aber immer war das, was ich gerade gemacht habe, so viel aufregender als die Vorstellung, ein Kind zu haben. Das Bedürfnis war nicht so stark. Heute wäre es schön, eine erwachsene Tochter zu haben. Es ist ein Aspekt des Lebens, der mir entgangen ist.
AVIVA-BERLIN: Ihr Traum?
Erica Fischer: Mein Traum wäre es, eine jüdische Geschichte aus Wien zu schreiben. Ich bin jetzt bereit, mich meinem österreichischen Anteil auszusetzen. Dort nachzubohren, wo es am meisten weh tut, mir am nächsten kommt.
Ich denke, Literatur ist immer auch die Suche nach den eigenen Spuren. Wunderbar fand ich "Die Vertreibung aus der Hölle" von Robert Menasse. Er hat seine Familiengeschichte in eine hochliterarische Form gegossen. Mich haben immer wieder Leute gefragt, warum schreibst du nicht über deine eigene Familie? Aber damit will ich vorerst nichts zu tun haben. Vielleicht später einmal, wenn ich siebzig bin...