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Beitrag vom 20.11.2002
Erri de Luca: Der Himmel im Süden
Gaby Miericke-Rubbert
Der Himmel im Süden von Erri de Luca - eine Liebesgeschichte über Bäume, Gesichter, Wolken und Sinne
Der Himmel im Süden, wo ist der eigentlich? Der illegale Einwanderer Selim meint den Himmel über Afrika, sein italienischer Freund, der Gärtner, spricht hingegen vom argentinischen.
Sie leben beide in der Erinnerung an "ihren" Süden: Selim sehnt sich nach seiner Familie, und er, der Gärtner, verliert sich immer wieder in Gedanken an seine erste große Liebe in Südamerika.
Beide wohnen sehr zurückgezogen in einem kleinen Städtchen in Süditalien, der Afrikaner, um als Blumenverkäufer seine Familie finanziell versorgen zu können, der Gärtner, um Ruhe vor den Schatten seiner nicht verarbeiteten Vergangenheit zu finden. Und sie werden zu Freunden, verbunden durch die äußerst sinnliche und zugleich behutsame Art, mit der sie die Welt beobachten und erleben.
Nach beinahe 20 Jahren ist der Gärtner, der Ich-Erzähler dieser Geschichte, nach Italien zurückgekehrt. Als junger Mann war er seiner argentinischen Freundin Dvora in ihre Heimat gefolgt, hatte mit ihr gemeinsam im Untergrund gegen die dortige Militärdiktatur gekämpft und mußte hilflos mit ansehen, wie Dvora von den Militärs umgebracht wurde. Dann die traumatische Zeit der Flucht, bis er schließlich nach gefahrenvoller Odyssee, stets mit einer Waffe in der Jackentasche, nach vielen Jahren und noch mehr Umwegen wieder in seiner süditalienischen Heimat angekommen war.
Nun hofft er bei Bäumen, Blumen und Büchern, in der Abgeschiedenheit Süditaliens seinen inneren Frieden zurückzugewinnen. Wie in den Jahren der Flucht, wo er bei Frauen und Wirtshausbesitzern Wohlwollen und Unterstützung gefunden hat, hilft ihm jetzt die Liebe der jungen Prostituierten Laila, endlich wieder ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit zu empfinden. Doch die neu gewonnene Idylle wird jäh durch eine Entscheidung Lailas in Frage gestellt und zwingt den Gärtner, einen erneuten Kampf für die Rettung seiner Liebe aufzunehmen.
De Luca schreibt, wie man denkt. Sprunghaft und assoziativ werden Erlebnisse aus der Vergangenheit verwoben mit Situationen der Gegenwart. Das Gestern überschattet immer wieder das Hier und Jetzt, ein Morgen scheint es nicht zu geben.
Eine wunderbare Erzählung, die sinnlich und empfindsam sich leise zwischen großen Gefühlen, traumatischen Erfahrungen und sensiblen Beobachtungen vorwärts tastet. Die einfache Sprache spürt scheinbar flüchtige Momente auf, Blicke, Gesten, Gerüche, die bedeutsam werden, um Menschen und Situationen in ihrem Wesen zu charakterisieren.
Die karge Schönheit seiner lyrischen Prosa übt eine derartig fesselnde Faszination aus, dass ein mehrmaliges Lesen und Entdecken der Geschichte beinahe unausweichlich scheint.
Erri de Luca:
Der Himmel im Süden
Roman
Rowohlt Verlag, 2002
ISBN 3-498-03912-1
Preis: 14,90 EUR200448390175"