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Beitrag vom 01.10.2007
Kleinstadtknatsch. Von Miriam Toews
Marietta Harder
Mit 1.500 EinwohnerInnen hat Algren einen Ruf zu verteidigen: Es ist die kleinste Stadt Kanadas. Nun muss der Bürgermeister verhindern, dass mehr Leute sterben, als geboren werden – und umgekehrt.
"Sie würde ja dann zu den Einwohnern zählen und er hatte nicht genügend Tote zum Ausgleich." Bürgermeister Hosea Funk lebt in ständiger Angst, sein verschlafener Ort könne zu groß oder zu klein und somit am 1. Juli nicht von dem Premierminister besucht werden. Wie schafft er es bloß, die gerade geborenen Drillinge und den unvorhergesehenen Einzug von zwei Großstädterinnen auszugleichen? Am Hemdkragen zupfend denkt er täglich über seine Aufgabe nach – denn viel mehr gibt es für ihn nicht zu tun in Algren, der (hoffentlich bald wieder) kleinsten Stadt Kanadas. Und da in diesem Kaff nicht viel passiert, wird es auch den LeserInnen schnell langweilig. Zwar erfahren sie aus dem Leben einzelner BewohnerInnen und nehmen an Ausflügen in die Vergangenheit teil, doch so richtig in Schwung will die Geschichte nicht kommen. Und ob es nun genau 1.500 StädterInnen sind oder nicht, spielt nur für Hosea Funk eine große Rolle.
Allerdings macht die oft direkte, mit Ironie gespickte Schreibweise der Autorin Miriam Toews das Lesen interessanter. Neben Sprüchen der stets betrunkenen Mähdrescher-Sue amüsieren die Vergleiche Toews und die bildliche Sprache: "... während Lorna sich die Hände vor den Mund schlug wie Munchs Modell für den Schrei, sie allerdings vor Lachen."
Auch bringt der Running Gag mit der zappelnden Summer Feelin zu Beginn noch zum Schmunzeln, denn das kleine Mädchen zittert am ganzen Körper, wenn sie sich freut und sieht aus, als würde es gleich abheben. Je öfter die Autorin jedoch darüber schreibt (gefühlt alle zehn Seiten...), desto ermüdender und vorhersehbarer wird dieses "Ereignis".
Ob es ein Happy End gibt? Werden die EinwohnerInnen am Zähltag genau 1.500 sein? Und falls ja: Wie hat Hosea Funk, Bürgermeister von Algren das angestellt? Auch hier hält das Buch leider keine Überraschungen bereit...
Zur Autorin: Miriam Toews, geboren 1964 in Steinbach, einer kanadischen Provinz, lebt heute als Journalistin und Autorin in Winnipeg. Sie studierte Geisteswissenschaften und Journalismus und erhielt zahlreiche Preise für ihre bisherigen Bücher. So wurde "Ein komplizierter Akt der Liebe" (A Complicated Kindness) 2005 mit dem renommierten Governor General´s Literary Award ausgezeichnet und für "Kleinstadtknatsch" (A Boy of Good Breeding) bekam sie 1998 den McNally Robinson Book of the Year Award. Miriam Toews zählt zu den erfolgreichsten kanadischen SchriftstellerInnen und gab 2006 ihr Debut als Schauspielerin: Sie spielte in Carlos Reygadas Film "Stilles Licht", der demnächst in deutschen Kinos zu sehen sein wird.
AVIVA-Fazit: Heimlichkeiten in der Kleinstadt, eine sich neu entflammende Liebe zwischen ehemaligen Vertrauten und ein durchgeknallter Bürgermeister – dieses Buch bietet zahlreiche Ereignisse, die jedoch wenig spannend und selten komisch sind. Die Handlung dreht sich im Kreis und bietet wenig Überraschendes. Nur der Erzählstil Toews ist stellenweise amüsant.
Lesen Sie auch unsere Rezension zu Miriam Toews Roman "Ein komplizierter Akt der Liebe".
Miriam Toews
Kleinstadtknatsch
Originaltitel: A Boy of Good Breeding (erschienen 1998)
Aus dem Englischen von Christiane Buchner
Berlin Verlag, erschienen September 2007
272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-8270-0731-5
18 Euro
www.berlinverlag.de