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Beitrag vom 18.11.2007
Rose Ausländer – Deiner Stimme Schatten
Annegret Oehme
Anlässlich ihres 20. Todestags am 3.1.2008 veröffentlicht der Herausgeber Helmut Braun im S. Fischer Verlag "Gedichte, kleine Prosa und Materialien aus dem Nachlass" der jüdisch-deutschen Dichterin.
"Gefangen wer aus sich nicht auswandern nicht in sich einwandern kann"
Am 3. Januar 2008 jährt sich zum 20. Mal der Todestag dieser besonderen Dichterin, die, trotz aller damit assoziierten Schrecken, ihrer Muttersprache zutiefst verbunden blieb, in ihr lebte und atmete.
Zu Unrecht ist der Name "Rose Ausländer" immer noch sehr unbekannt, denn ihre Gedichte können sich durchaus mit denen Else Lasker-Schülers oder Mascha Kalékos messen.
Geboren wurde die Lyrikerin unter dem Namen Rosalie Beatrice Ruth Scherzer am 11.5.1901 in Czernowitz. Die damalige Hauptstadt der Bukowina galt als Vielvölkerstadt und brachte bedeutende Künstler und Wissenschaftler hervor. Nach fast 200 Jahren wurde dieses kulturelle Zentrum von den Nationalsozialisten zerstört.
Beseelt vom geistigen Klima ihrer Heimatstadt nahm sie das Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie an der dortigen Universität auf.
Wegen finanzieller Sorgen ihrer Familie, die sich nach dem Tod des Vaters einstellten, gab sie ihr Studium auf und wanderte nach Amerika aus, um dort als Bankangestellte zum Unterhalt beizutragen. Begleitet wurde sie von ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer, den sie 1923 heiratete. Nach nur drei Jahren ließ das Paar sich scheiden und Rose kehrte 1931 mit ihrer großen Liebe, dem Schriftsteller und Graphologen Helios Hecht, nach Czernowitz zurück.
Bereits in Amerika hatte sie das Schreiben begonnen und Texte veröffentlichen können. Zurück in Europa verstärkte sie ihre schriftstellerische Tätigkeit und war unter anderem für die Zeitschrift "Der Tag" und das Czernowitzer Morgenblatt tätig. 1939 wurde ihr erster Gedichtband unter dem Titel "Der Regenbogen" publiziert. Doch während des Krieges gingen sowohl die Restauflage des Buches, als auch ihre Tagebücher und Essays über Spinoza, Plato und Freud verloren.
Auf Drängen einiger FreundInnen, die sich um die immer bedrohlicher werdende Situation in Europa Gedanken machten, emigrierte sie 1939 nach New York. Noch im selben Jahr kehrte sie jedoch nach Czernowitz zurück, um bei ihrer schwerkranken Mutter zu sein.
Nachdem im Juli 1941 die Deutschen Truppen Czernowitz besetzten, wurde das alte jüdische Viertel zum Ghetto gemacht, in das auch Rose Ausländer und Paul Celan gebracht wurden. Bald verband die beiden eine Freundschaft und sie lasen sich ihre Gedichte vor. Gemeinsam konnten sie sich in Kellern verstecken, als die Deportation in ein Vernichtungslager drohte.
1944 wurde Czernowitz befreit und mit Zwischenstation in Bukarest verlies Rose Ausländer zum dritten Mal ihre Heimat mit dem Ziel USA. Sie wurde Fremdsprachenkorrespondentin und verfasste von da an ihre Gedichte in Englisch. Ein weiteres Treffen mit Paul Celan im Jahr 1957 prägte sie jedoch entscheidend. Er machte sie mit der Moderne vertraut, die sie so stark beeindruckte, dass sie – nun in ganz neuem Stil – wieder in Deutsch zu dichten beginnt.
1965 schließlich ließ sie sich in Düsseldorf nieder, wo sie auch bis zu ihrem Tod am 3. Januar 1988 lebte. Obwohl sie ab 1971 in das Nelly-Sachs-Altenheim der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf zog und mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen hatte, sind die folgenden Jahre, in denen der größte Teil ihres Werkes entstand, die produktivsten.
Das Schreiben war für Rose Ausländer lebensnotwendiger Trieb. Dabei sah sie auch die Verpflichtung, den Worten Raum zu geben und betonte immer wieder, dass sie für ihre Mitmenschen schrieb und ihnen gehöre.
Ihre Gedichte, die häufig ganz auf Satzzeichen verzichten, zeichnen sich durch eine hohe Musikalität und das Erfinden neuer Metaphern aus. Vieles bleibt dabei nicht verschlüsselt sondern erschließt sich den LeserInnen und nimmt sie mit hinein in die Gedanken der Dichterin. Immer wieder thematisiert wird die Widersprüchlichkeit der Welt, die tragischen Erlebnisse während des Holocaust, aber auch die Beziehung zur Sprache und die Liebe.
"Deiner Stimme Schatten" stellt einen wundervollen Band mit Gedichten aus dem Nachlass der Poetin dar. Diese werden ergänzt durch Faksimile, kürzere Aufsätze und Notizen. Dabei wird ihre Hassliebe zu New York ebenso thematisiert, wie das Sprachproblem der LiteratInnen im Exil.
Der Nachlass der Dichterin umfasst etwa 20.000 Seiten Manuskript, unter denen es sicher noch viele Schätze zu Tage zu fördern gilt.
Zum Herausgeber: Helmut Braun ist es hoch anzurechnen, dass er sich seit der ersten Begegnung mit Rose Ausländer im Jahr 1975 um die Popularität ihres Werkes bemühte und sie bis zu ihrem Lebensende beriet und unterstützte.
Als Arthritis ihre Handbewegungen stark einzuschränken begann, fungierte Helmut Braun als Sekretär und brachte fortan ihre Ideen zu Papier.
AVIVA-Tipp: In einer unveröffentlichten Notiz heißt es "[...]das stillste Gedicht hat eine Stimme und will so reden, daß viele, wenn möglich alle Menschen es hören. Allein gelassen, schläft es ein, es stirbt nicht – es schläft den Dornröschenschlaf, jeder der es liest, wie es sich sucht, wie es aus dem himmlischen Nichts entstanden ist, der seine wahre Gestalt sieht, der es liebt, ist der erlösende Prinz, erweckt es." "Deiner Stimme Schatten" bietet eine vortreffliche Möglichkeit, die poetischen Schätze Rose Ausländers zu entdecken und zu erwecken.
Rose Ausländer
Deiner Stimme Schatten. Gedichte, kleine Prosa und Materialien aus dem Nachlass
Helmut Braun (Herausgeber)
S. Fischer Verlag, erschienen Oktober 2007
128 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-10-001528-0
17,90 Euro
Weitere Informationen zu Rose Ausländer finden Sie unter:
Rose Ausländer-Stiftung