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Beitrag vom 15.06.2008
Fever von Leslie Kaplan – jetzt als Taschenbuch erschienen
Stefanie Denkert
Zwei Abiturienten ermorden eine Frau, die sie sich nach dem Zufallsprinzip ausgesucht haben. Ein klassischer "acte gratuit", der zunehmend wie Blei auf der Seele der misogynen jungen Männer liegt.
Als der Roman einsetzt, ist die Tat bereits vollbracht und die LeserInnen begleiten die Protagonisten Damien und Pierre in den ersten Folgewochen nach ihrem ´perfekten´ Mord. Monatelang hatten die langjährigen besten Freunde an ihrem Plan gearbeitet, nachdem Damien erkannte, dass die meisten Mörder nur überführt werden, weil sie ein Motiv haben und in einer Beziehung zu dem Opfer stehen. Doch wer sollte die beiden philosophisch-interessierten Abiturienten überführen, wenn sie sich ihr Opfer ´zufällig´ aussuchen? Wäre es dann überhaupt eine Verbrechen, wenn es kein Motiv gibt?
Natürlich muss das Opfer weiblich sein, denn die körperliche Unterlegenheit lässt die jungen Männer stark sein. Und es sollte eine Prostituierte sein, denn keine/r wird sie vermissen, überlegen sich Damien und Pierre. Ausgerechnet in ihrem eigenen Pariser Kiez schlagen sie dann zu - und tatsächlich: niemand verdächtigt die beiden Täter, die bereits am nächsten Tag zum ´business-as-usual´ (Schule, Nebenjob, Familie) übergegangen sind.
Doch die Tat geht nicht spurlos an den jungen Männern vorbei: langsam aber sicher stellen sich bei ihnen Albträume, Desinteresse, Aggressionen und Wahnvorstellungen ein. Verfolgungswahn und Zweifel werden zu ständigen Begleitern: War der Zufall, durch den sie sich vor Entdeckung geschützt glaubten, doch nicht so zufällig? Hatte das blonde Opfer nicht große Ähnlichkeit mit der verehrten, aber unerreichbaren Philosophielehrerin Madame Martin und auch mit der berühmten Sängerin Alice Snow?
Die Banalität des Bösen
Eine gedankenlose Äußerung von Damiens Großvater René über die Prozesse gegen die Nazis ("Für ein Verbrechen muss es einen persönlichen Beweggrund geben. Einen Grund, ein Motiv. Aber wenn man Befehle befolgt... Ich finde nicht, dass man dann von einem Verbrechen sprechen kann."), weckt in den beiden Abiturienten sofort einen Forschungsdrang und so beginnen sie im Stadtarchiv nach ihren Vorfahren zu suchen. Im Gegensatz zu René hat Pierres Großvater Elie, ein galizischer Jude, seit Jahren das Schweigen gewählt - so wie sein Enkel Pierre sich nun entschließt, zu seiner schrecklichen Tat zu schweigen. Gibt es womöglich ein Muster in ihrer Familiengeschichte, dem sie unbewusst folgen?
AVIVA-Tipp: Leslie Kaplans "Fever" sollte in den Kanon der großen französischen Existentialismus-Werke aufgenommen werden, denn ihr Roman steht denen von Jean Paul Sartre oder Albert Camus in nichts nach. Bei "Fever" steht nicht das Verbrechen, sondern die Auswirkung auf die Täter im Vordergrund, und das macht es zu einem psychologisch spannenden Roman über die "Banalität des Bösen" und die Absurdität der Realität sowie des Seins.
Zur Autorin: Leslie Kaplan wurde in Amerika in einer jüdischen Familie polnischer Herkunft geboren, sie wuchs in Paris auf, wo sie heute als freie Autorin lebt. Auf Deutsch sind von ihr erschienen "Der Exzess" (1988), "Der Verbrecher" (1989), "Brooklyn Bridge" (1989), "Die andere Seite des Flusses" (1990) und "Das Buch der Himmel" (1991).
Leslie Kaplan
Fever
Ãœbersetzt von Sonja Finck
Bvt Berliner Taschenbuch Verlag, 1. Aufl., erschienen im März 2008
Broschiert: 207 Seiten
ISBN-10: 3833305185
ISBN-13: 978-3833305184
Ca. 11, 90 Euro