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Beitrag vom 28.02.2002
Die Wunder von Chanukka - Jüdische Fest- und Feiertage in Geschichten
Victoriah Szirmai
Ergreifend schöne Geschichten jiddischer Autoren zu jüdischen Feiertagen
Um es gleich vorweg zu schieben: Dieses Buch stellt NICHT den fünfhundertzweiundachtzigsten Versuch dar, einem Nichtjuden die jüdischen Festtage und die damit verbundenen Bräuche nahe zu bringen. Nein! Hier handelt es sich vielmehr um eine ergreifend schöne Sammlung von Geschichten, die jiddisch schreibende Autoren aus längst vergangenen Zeiten um die besagten Feiertage herum woben, mal heiter oder gar komisch, mal nachdenklich und sogar tragisch - doch immer gewürzt mit dem den Juden so eigenen kräftigen Schuss augenzwinkernder Selbstironie, einem selten hohen Maß an beißend-scharfer Intelligenz und, nicht zuletzt, einer Spur Wehmut, als wüssten die Geschichten um ihr kommendes Schicksal.
Eine Mischung wie diese ist dem jahrtausend alten talmudgebildeten Gehirnschliff zu verdanken, den die allermeisten männlichen Juden vor allem in der Diaspora erhielten - selbst wenn sie später nicht im religiösen oder juristischen Bereich Beschäftigung fanden und sich profaneren Tätigkeiten zuwenden mussten - wusste man doch, dass dies das einzige Mittel war, welches den Erhalt eines verstreuten Volkes sicherte. Deshalb hatte selbst der einfachste jüdische Kutscher zumeist eine Eloquenz auf beachtlicher Niveauhöhe vorzuweisen, was sich in den volkstümlichen Geschichten niederschlägt. Freilich jedoch konnte Sprachwitz allein nicht vor Hunger bewahren - und so ist auch die Armut ein oft wiederkehrendes Leitmotiv, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichten spinnt.
Dominiert wird die Sammlung von jenen drei Autoren, die in der jiddischen Literatur als das "Dreigestirn der jiddischen Klassik" gelten: Izchak Lejb Perez (1851-1915), Scholem Alejchem (1859-1916) und Mendele Mojcher Sforim.
Als ihr legitimer Nachfolger gilt der hier ebenfalls mit zahlreichen Geschichten vertretene Scholem Asch (1880-1957), der durch den - in diesem Falle - Fluch seiner späten Geburt noch den gewaltsamen Untergang (s)einer ganzen Kultur und das von der Shoah gerissene Vakuum in Europa mitzuerleben gezwungen war.
Die Welt des osteuropäischen Schtetl mitsamt ihren Wunderrabbinern und kabbalistisch-mystischen Gleichnissen, Schauplatz aller Geschichten dieses Buches, wurde im Zweiten Weltkrieg so gründlich vernichtet, dass die Geschichten als Relikte der Vergangenheit zu verstehen sind - einer Vergangenheit, deren Erbe, abgesehen von vereinzelten chassidischen Gemeinden im heutigen Israel, vollständig ausgerottet ist. Auch das amerikanische Judentum, bestehend aus europäischen Exilanten, kann nicht als Bewahrer der mystischen Tradition gelten, flüchtete man sich dort doch kollektiv, vielleicht sogar als Ersatzreligion, in die Mysterien der Psychoanalyse.
So bleibt der traurige Schluss, dass es die Konditionen, unter denen diese Geschichten entstanden sind, nicht mehr gibt und auch nie mehr geben wird. Mitsamt den Juden wurden auch ihre volkstümlichen Geschichten ermordet. Und da, um es mit den Worten der streitbaren jüdischen Philosophin und Autorin Salcia Landman zu sagen, "talmudgebildete Skeptiker bei den Überlebenden so rar wie sommersprossige Schwarze", sein dürften, kann diese Geschichtssammlung nur als eine Art Tor dienen, das dem Leser einen winzigen Blick auf unwiederbringbar Verlorenes gestattet.
Als Lesebuch selbst stellt es eine gewissen Anforderung an sein Publikum, denn unmöglich ist es, den feinen Witz (und manchmal auch: die vielen jiddischen Begriffe) zu verstehen, ohne ein Mindestmaß an Vorbildung in jüdischer Kulturgeschichte zu besitzen, ähnlich der altüberlieferten Anekdote des Schmulik, der seinem Nachbar "Chutzpe" vorgeworfen hat von von diesem nun wegen Beleidigung verklagt wird. "Chutzpe, das heißt lediglich soviel wie Frechheit", versucht er den Richter zu beschwichtigen. "Frechheit haben Sie also zu Ihrem Nachbarn gesagt?" fragt der Richter zurück." Nun ja, nicht genau", antwortet Schmulik, denn "Chutzpe ist Frechheit mit Kojech". - "Und was ist Kojech?" - "Nu, Kojech heißt Gewalt." - "Also eine gewaltige Frechheit?" - "Nein, Kojech ist Gewalt mit Sechel!" - "Und was ist Sechel?" - "Naja, Sechel ist Verstand". - Der Richter bemüht sich: "Also haben Sie Ihrem Nachbarn eine gewaltige, mit Verstand begangene Frechheit vorgeworfen?" - "Nicht doch", gibt Schmulik zurück, Sechel, "das ist Verstand mit Ta¹am"! - "Und was um alles in der Welt heißt Ta¹am?", ruft der Richter entnervt. (- hier sei unseren Lesern erklärt, dass sich Ta"am am besten mit Stil, Geschmack, Eleganz und dergleichen übersetzen lässt -) "Nu, Euer Ehren möge entschuldigen, aber das kann man einem Goj nunmal nicht erklären!"
Wohltuend von ähnlichen Sammlungen hebt sich diese ab, indem ihr (bis auf ein sehr gelungenes Essay über das jüdische Kalenderjahr von Heinrich Simon) keine langen und besorgniserregend romantisch-verklärten Erklärungen zum Judentum beigefügt worden sind - vielmehr lässt man die Geschichten ganz für sich allein sprechen.
Atmosphärisch unterlegt werden diese durch die Bilder des an Marc Chagall gemahnenden, weißrussischen Künstlers Anatoli L. Kaplan, einem Zeitgenossen der versammelten Erzähler. Mit Kreide und Pinsel bringt er fertig, was die jiddischen Autoren mit Worten taten: Sie alle sind die letzten Chronisten der kulturell reichen ostjüdischen Lebenswelt.
Mit einem Beitrag zum jüdischen Kalender von Heinrich Simon
und Reproduktionen nach Originalen von Anatoli L. Kaplan.
Gesammelt und herausgegeben von Ingetraud Skirecki
Aufbau Verlag, Berlin
344 Seiten
Preis: 35,74 EUR
ISBN: 3-351-02897-0 http://www./?r=aviva-berlina3745c696143e275cc37d59b88bcbdf6" target="_blank">