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Beitrag vom 09.04.2008
Als Jüdin versteckt in Berlin. Margot Friedlander mit Malin Schwerdtfeger
Sharon Adler
"Versuche, dein Leben zu machen". Diese Worte hinterließ die Mutter der 21-jährigen Margot Bendheim, als sie deportiert wurde. Sechzig Jahre später erzählt sie ihre bewegende Geschichte.
Die Geschichten der Holocaust-Überlebenden ähneln sich und sind doch niemals gleich. Es sind nicht mehr viele, die heute noch davon erzählen können. Und oft fangen sie erst spät damit an, ihre Geschichte nieder zu schreiben. Wie Margot Bendheim, die seit ihrer Heirat Friedlander heißt.
Minutiös beschreibt sie in ihrem Buch "Versuche, dein Leben zu machen. Als Jüdin versteckt in Berlin" die schrittweise Entrechtung und den verzweifelten, schließlich gescheiterten Versuch der Emigration. Auch das Leben vor der Machtergreifung Hitlers schildert Margot Friedlander, erzählt von ihrer unbeschwerten Kindheit und Jugend in Berlin, davon, wie sich ihre Mutter Auguste "Guschi" noch als ledige junge Frau 1919 mit einem Knopfgeschäft selbständig gemacht hat. Wie sie ihren Vater kennen gelernt, geheiratet und schließlich die Kinder Margot und deren vier Jahre jüngeren Bruder Ralph, genannt "Bubi", bekommen hat.
Damals war jüdisches Leben noch möglich, und Margot erinnert sich noch heute an viele Details aus ihrer Zeit am jüdischen Gymnasium. Daran, wie die Familie die jüdischen Feiertage begangen hat und sie beschreibt plastisch die geliebten Familienmitglieder, von denen kaum eine/r überlebt hat.
Sie schildert, wie sich das Deutschland, das sie kannte und liebte, veränderte, wie die Menschen zu MitläuferInnen, DenunziantInnen, MörderInnen und manchmal auch zu HelferInnen wurden. Heute, sechzig Jahre später, erzählt Margot Friedlander gemeinsam mit der Schriftstellerin Malin Schwerdtfeger ihre Erinnerungen.
Am Tag, an dem ich untertauche, nehme ich den Judenstern ab.
Am Mittag des 20. Januar 1943 will sich die 21-jährige Margot Bendheim mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Ralph treffen, um endgültig vor der Gestapo aus Berlin zu flüchten, doch sie erfährt von einer nichtjüdischen Nachbarin, dass ihr Bruder kurz zuvor abgeholt wurde. Und auch die Mutter kommt nicht – sie hinterlässt ihrer Tochter nur ihre Handtasche. Darin befindet sich ein abgegriffenes Notizbuch mit Adressen von Konsulaten, Visastellen, Kontakten und außerdem ihre Bernsteinkette.
Margot Friedlander besitzt diese Dinge noch heute – zusammen mit Handtüchern aus Theresienstadt.
Die Mutter lässt ihr folgende Botschaft ausrichten: "Ich habe mich entschlossen, mit Ralph zu gehen, wohin immer das auch sein mag. Versuche, dein Leben zu machen."
Margot taucht unter, sie färbt sich die Haare rot und lässt ihre Nase operieren, um nicht als Jüdin aufzufallen.
"Der Untergrund – das ist bisher nichts als ein zielloses Umherlaufen in Straßen, die ich gut kenne, die aber plötzlich fremd und gefährlich erscheinen. Ab heute muss ich fürchten, jemandem zu begegnen, der mich kennt.
Ich senke den Kopf, wenn andere Menschen mir entgegenkommen.
Aber niemand beachtet mich. Die Gesichter der Leute sind hinter Schals und Mantelkragen versteckt. Sie haben es eilig, sie gehen zur Arbeit.
Ich gehe nirgendwohin. Ich gehe einfach."
Mut, Verrat und der Willen, zu überleben
Fünfzehn Monate dauert das Leben im Untergrund, bei Helfern, die jedoch nicht alle uneigennützig handeln. Manchmal kann sie nur ein paar Tage bei Menschen bleiben, die sie nicht kennt, manchmal sind es Wochen. Doch immer ist Margot bedroht und mit ihr das Leben ihrer Helfer – Juden und Nichtjuden. Dreimal entkommt sie der Gestapo nur knapp. Im April 1944, fällt sie jüdischen "Greifern" in die Hände, wird nach Theresienstadt deportiert, erlebt, wie viele dort sterben oder nach Auschwitz deportiert werden. Margot Bendheim überlebt. Ihre Mutter und ihr Bruder, ihr Vater und viele Verwandte und Freunde werden in Auschwitz ermordet.
Margot Bendheim emigriert 1946 mit ihrem Mann, den sie in Theresienstadt kennen gelernt hatte, in die USA.
Zur Autorin: Margot Friedlander, geboren 1921 in Berlin, überlebte bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt Verfolgung und Krieg fünfzehn Monate lang im Untergrund in Berlin. 1946 emigrierte sie in die USA und lebt heute in New York. Die Filmdokumentation von Thomas Halaczinsky über Margot Friedlander mit dem Titel "Don´t call it Heimweh" eröffnete das 11. Jewish Filmfestival Berlin und Potsdam 2005. Erstmals seit ihrer Emigration 1945 besuchte die damals 82-jährige Margot Friedlander ihre Heimatstadt Berlin.
Zur Co-Autorin: Malin Schwerdtfeger, geboren 1972 in Bremen, studierte ab 1992 Judaistik und Islamwissenschaft in Berlin. Unternahm bereits als Jugendliche erste literarische Versuche und begann Mitte der 1990er Jahre mit dem Verfassen von erzählender Prosa, die in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurde. Sowohl ihr Prosadebut, die Erzählungssammlung Leichte Mädchen als auch ihr erster Roman Café Saratoga wurden von KritikerInnen und LeserInnen begeistert aufgenommen. Diverse Auszeichnungen. Die Autorin lebt in Berlin.
AVIVA-Tipp: Ein bewegendes Buch. Margot Friedlander setzt mit "Versuche, dein Leben zu machen" denen, die nicht überlebt haben, ein Denkmal wider das Vergessen.
Margot Friedlander, Malin Schwerdtfeger
Versuche, dein Leben zu machen
Als Jüdin versteckt in Berlin.
rowohlt Berlin, erschienen 07.03.2008
Hardcover, 272 S. Zahlreiche s / w Abbildungen. Lesebändchen.
19,90 Euro
ISBN: 3871345873
EAN: 9783871345876