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Beitrag vom 20.03.2008
Sigalit Landau – The Dining Hall
Kristina Tencic
Die zeitgenössische israelische Künstlerin Sigalit Landau wurde von November bis Januar 2007/08 in den Räumen der KW-Berlin ausgestellt. Der nun erschienene Katalog reicht jedoch weit darüber hinaus
Es gibt Ausstellungen, die frau/man durchläuft, die Kunst betrachtet, mehr oder weniger beeindruckt von der Schönheit oder Innovation der Werke ist und getrost die Kinder hinter sich herziehen kann. Dann gibt es aber auch Ausstellungen, die man lieber ohne Minderjährige betritt, die Sex, Blut und Gewalt zeigen und die BesucherInnen verstört, mit einem flauen Magen und unter dem Eindruck des schlichten Unverständnisses aus den Räumen entlassen. So eine Ausstellung war Into me/out of me, die vom 26. November 2006 bis 4. März 2007 im KW Berlin gezeigt wurde. Dort sah man unter anderem eine Dose mit konserviertem Kot eines Künstlers, rückwärts gegessene Mahlzeiten und selbstzerstörerische Maßnahmen, wie etwa das Durchstechen gewisser Körperteile. Auch begegnete frau/man in dieser Ausstellung dem Video "Barbed Hulla", welches die Künstlerin Sigalit Landau bei dem Schwingen eines Stacheldraht-Hulla-Hoop-Reifens auf ihrem nackten Körper zeigte.
Scheinbar hat diese Geste Eindruck hinterlassen, denn die Kunst-Werke Berlin zeigten vom 18. November 2007 bis zum 13. Januar 2008 die Einzelausstellung "The Dining Hall" mit Werken der israelischen Künstlerin Sigalit Landau, die sich keineswegs nur mit Videoinstallationen beschäftigt. Zu sehen waren Installationen und sogenannte Readymades, also alltägliche Gegenstände, die in einen künstlerischen Kontext gesetzt werden. Der Name der Ausstellung kam nicht von ungefähr: Sigalit Landau setzt in ihren Werken das Essen und Trinken in den Fokus der künstlerischen Metapher. Besonders deutlich wird ihre Intention bei der ausrangierten Spülmaschine eines Kibbuzes, die sie mit verschiedenen Details aufbereitet hat und als Symbol für die Verdauung und Reinigung, das Kollektiv und die Individuen der Gruppe betrachtet. Ihre Werke zur Nahrungsaufnahme schwanken zwischen privat und öffentlich, sozialistisch und kapitalistisch, Mangel und Überfluss und zeigen die Veränderungen des kulturellen Aspekts.
In diesen Zusammenhang rückt auch eine ausgestellte Küche im 60er Jahre Stil, die an ihre großelterliche Küche erinnern soll. Sie wird zum Symbol der Familienkonstellationen hinter den Gegenständen, aber auch, mit Hilfe des stimmlich eingespielten Interviews mit dem Israeli Abraham Burg, zu einem Zeitdokument. Er erläutert in dem Interview, warum der Zionismus nur ein Vehikel war und man diesen Aggregatszustand überwinden müsste um Hitler zu besiegen. Dass solche Installationen ohne Hintergrundwissen über die Künstlerin und deren Werke nicht verstanden werden können, leuchtet ein.
Diese Funktion erfüllt jedoch der Katalog "Sigalit Landau", herausgegeben von der Kuratorin Gabriele Horn und Ruth Ronen. Es ist ein umfassendes Buch über die Intention und Realisierung Landaus´ Kunst in ihren vergangenen weltweiten Ausstellungen. So sind denn auch die Themen von kosmopolitischer Natur: der Bezug zu Israel, dessen Träume und Traumata, Chancen und Probleme fehlt zwar nie, jedoch abstrahiert sie die Ereignisse und bringt sie durch ihre Kunst in einen soziopolitischen und globalen Kontext. Es ist daher kein Zufall, dass die Ausstellung in Berlin zu besuchen war, denn die Künstlerin erkennt viele Parallelen zwischen den Städten: "In Jerusalem geboren und aufgewachsen, hat Landau am eigenen Leib diese an Konflikten und Identitäten übersättigte Stadt erfahren, eine Stadt, die ewig daran scheitert in dem aussichtslosen Versuch, die Gegensätze in Einklang zu bringen, und Landau bringt genau das von Jerusalem nach Berlin, was Berlin so gut kennt: das Modell zweier Hälften, die sich nicht wirklich zu einem ganzen verbinden lassen."
Bekannt wurde die Künstlerin durch ihre Teilnahme an der documenta x, als sie mit einer Installation zu Fremdheit und Migration auf sich aufmerksam machte. Zehn Jahre nach diesem Ereignis kehrte sie mit ihrer Einzelausstellung nach Berlin zurück und dürfte nun, auch aufgrund des gelungenen Kataloges, der umfassend Landaus Projekte dieser zehn Jahre widerspiegelt, weiter in das Bewusstsein Kunstinteressierter treten.
AVIVA-Tipp: Sigalit Landau zählt zu den bedeutendsten israelischen Künstlerinnen der Gegenwart. Mithilfe ihrer Installationen, Readymades, Videos und Performances reflektiert sie aktuelle und historische Ereignisse in Israel, wirft Gegensätze auf und vereint diese in kosmopolitischen Szenen. Der reich bebilderte Ausstellungskatalog beinhaltet zwar viel Text, jedoch angesichts der wenig eindeutigen Werke Landaus ist dieser sehr erwünscht und aufgrund der ausführlichen Einordnungen und Erklärungen auch hilfreich. Darüber hinaus sind die Texte auf deutsch und englisch verfasst und somit einem breiten Publikum zugänglich.
Zur Künstlerin: Sigalit Landau wurde 1969 in Jerusalem geboren. Sie studierte von 1990 bis 2004 an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem. Neben der Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen u.a. in New York und verschiedenen Orten in Europa, ist sie seit 1995 auch in Einzelausstellungen zu sehen. In Deutschland wurde sie 1997 durch ihre Installation auf der documenta x bekannt. Sie lebt und arbeitet in Tel Aviv.
Sigalit Landau
Hrsg. Gabriele Horn, Ruth Ronen, Text von Ariella Azoulay, Adi Efal, Lia Gangitano, Gideon Ofrat, Ruth Ronen, Shirley Sharon-Zisser, Zvi Szir, Tali Tamir
Verlag Hatje Cantz, erschienen Januar 2008
Gebunden, 290 Seiten, 90 farbige Abbildungen
Deutsch/Englisch
ISBN 978-3-7757-2104-2
30,00 Euro