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Beitrag vom 11.03.2008
May Chidiac - Ich werde nicht schweigen
Britta Leudolph
Die libanesische TV-Journalistin ist das erste weibliche Opfer eines gezielten Bombenanschlags in ihrer Heimat, vermutlich verübt vom syrischen Geheimdienst. Sie beschreibt ihren Kampf zurück...
... ins Leben und ins Fernsehstudio - für die Freiheit des Libanon.
May Chidiac ist im Libanon als kritische Anchorwoman der politischen Berichterstattung des Privatsenders Libanesische Broadcasting Corporation (LBC) allseits bekannt. Sie ist eine selbstbewusste, moderne Frau, die sich gern schön und farbenfroh kleidet. Gleichzeitig trägt sie als praktizierende Christin einen tiefen, unerschütterlichen Glauben in sich.
Im Libanon herrschte seit 1975 ein Bürgerkrieg der bis 1989 andauerte. Selbst in den schrecklichsten Tagen dieses Krieges waren gezielte Attentate auf Frauen tabu. Nach Ende des Bürgerkrieges begann eine Zeit des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, der Libanon stand jedoch weiterhin unter syrischer Besatzung. Nach einem tödlichen Autobombenanschlag auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Februar 2005 wuchs der Druck auf Syrien, dessen politische Führung indirekt und direkt für diesen Anschlag verantwortlich gemacht wurde. Infolge der "Zedernrevolution" musste Syrien seine Truppen bis Ende April 2005 nach fast 30 Jahren Besatzung vollständig aus dem Libanon abziehen.
May Chidiac hat nie verschwiegen, dass ein freier Libanon für sie gleichbedeutend mit einem Abzug aller syrischen Truppen ist.
Der Terror hat den Libanon weiterhin fest im Griff. Seit dem Mord an al-Hariri fielen insbesondere ChristInnen Attentaten zum Opfer, was die Vermutung nahe legt, dass gezielt eine Eskalation zwischen den religiösen Gruppen des Landes forciert werden soll.
Trotz der unzähligen Attentate und Bombenangriffe fühlt sich May relativ sicher in ihrer Heimat, sie hat sich an etwas gewöhnt, an das man sich kaum gewöhnen kann. "Stellen Sie sich vor, ein Granatenhagel geht auf Sie nieder, während Sie sich in den Ruinen Ihrer ehemaligen Wohnhäuser verstecken. Stellen Sie sich die Explosionen vor, die Ihre Fenster erzittern und die Türen Ihrer Wohnung zersplittern lassen. Stellen Sie sich die Kugeln vor, die durch die Straßen pfeifen. Stellen Sie sich Männer vor, die mit dem Rücken an der Wand erschossen werden."
Sie weiß, dass sie auf einer Schwarzen Liste steht, zu kritisch hat sie sich über die Besatzungsmacht Syrien geäußert. Doch sie glaubt erst an die Gefahr, als es zu spät ist: "Ich erkenne an der Explosion, die meinen Schädel schier zerreißt, dass man meinen Tod geplant hat. An den schwarzen Flocken, die auf mich herabsinken, an dem Funkenregen, der meinen Körper verletzt, an der Lawine von glühendem Metall, die meine Haut zerfetzt."
Wie durch ein Wunder überlebt May Chidiac dieses Bombenattentat, doch der Preis, den sie zahlt, ist hoch. Erst nach und nach realisiert sie, was ihr angetan wurde: sie hat einen Arm und ein Bein verloren, zudem innere und äußere Verletzungen und Verbrennungen erlitten.
May Chidiac schildert ihren schweren Weg zurück ins Leben. Sie beschreibt ihre Ohnmacht, aber auch ihre Wut, die sie beflügelt, weiter zu machen. Kraft gewinnt sie durch ihre Familie und Freunde, die, ganz der libanesischen Tradition folgend, nicht von ihrer Seite weichen, aber auch durch das libanesische Volk, das für sie auf die Straße geht.
Zur Autorin: May Chidiac wurde am 20. Juli 1966 in Beirut geboren. Nachdem am 25. September 2005 ein Bombenattentat auf sie verübt wurde, ging sie zur Behandlung ihrer schweren Verletzungen und zur Rehabilitation nach Frankreich. Kurz nach ihrer Rückkehr in den Libanon am 12. Juli 2006 nahm sie ihre Arbeit als TV-Journalistin wieder auf. Chidiac erhielt 2006 den "Courage in Journalism Awards" der "International Women´s Media Foundation" (IWMF) und den "Guillermo Cano World Press Freedom Prize" der Unesco für Pressefreiheit. 2007 wurde sie zum "Ritter der französischen Ehrenlegion" ernannt.
Das ZDF-Magazin "aspekte" zeigte am 15. Februar 2008 den Beitrag "Ich bin noch da!", der neben aktuellen Informationen zum Libanon auch ein Interview mit May Chidiac enthält.
AVIVA-Tipp: May Chidiacs Erinnerungen lassen europäische Alltagssorgen zur Banalität schrumpfen. Ihr Schicksal ist tragisch, doch was sie daraus macht, ist bewundernswert: trotz ihrer schweren Verletzungen kämpft sie weiter für die Freiheit ihres Landes. In ihren Schilderungen stilisiert sie sich nicht zur Heldin, sondern bleibt immer ganz bei sich, schildert ihre schwachen ebenso wie ihre starken Momente. Sie verknüpft geschickt ihre Geschichte mit der des Libanons und macht so die Menschen hinter den alltäglichen Schlagzeilen von Gewalt und Terror sichtbar, gibt ihnen eine Stimme. May Chidiac verfällt nicht in ungezügelten Patriotismus, sondern wirbt um Verständnis für die Menschen des Libanon, die ihre Hoffnung auf Freiheit und Frieden nicht aufgeben wollen.
May Chidiac mit Amal Moghaizel
Ich werde nicht schweigen
Originaltitel: Le ciel m´attendra
Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn
Blanvalet Verlag, erschienen Februar 2008
Gebunden, 256 Seiten
16,95 Euro
ISBN 978-3-7645-0280-5
(Quellen:
FAZ vom 27. September 2005: "Im Libanon hat der Krieg längst begonnen" von Souad Mekhennet
zenith – Zeitschrift für den Orient vom 22. November 2005: "Rote Linien" von Katharina Nötzold)