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Beitrag vom 17.08.2007
Der Teufel fährt Radl
Clarissa Lempp
Andrea Maria Schenkel stellt ihren zweiten Krimi "Kalteis" vor. Dabei setzt sie auf das Erfolgsrezept des preisgekrönten Debuts "Tannöd": ein authentischer Mordfall und bayrischer Sprachfluss.
Ende der 30er Jahre: Süß ist der Traum vom Glück in der Stadt und sehnsüchtig treibt es die Mädchen vom Land in die Anstellung nach München. Auch
Kathie entflieht der Enge des dörflichen Lebens und findet sich mit der lockeren Anna in den Münchner Nachtlokalen wieder. Schnell wird ihr klar, dass auch in München nur Mägde und Bedienstete gesucht werden. Viel leichter lässt sich ein freies Leben mit Gelegenheits-Prostitution finanzieren. Dunkelhaarig, kräftig und hübsch passt sie allerdings in das Opferschema des Frauenmörders, der seit einiger Zeit mit dem Fahrrad München und Umgebung in Grauen und Schrecken versetzt…
Nach dem großen Erfolg ihres Debuts
Tannöd verlässt sich Andrea Maria Schenkel auch bei ihrem zweiten Roman auf das Authentische. Ebenfalls liegt hier ein wahrer Fall zugrunde. Johann Eichhorn, der in Schenkels Erzählung zu Josef Kalteis wird, wurde
1939 wegen vielfacher Vergewaltigung und Mord in München in einem Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet. Interessanterweise war er NSDAP-Mitglied und führte ein hervorragend durchgeplantes Doppelleben, was Schenkel völlig außer Acht lässt. Dabei könnten hier spannende Konflikte des nationalsozialistischen Frauenbilds, als auch des Umgangs mit Kriminalität und Abweichung im Nazi-Deutschland herangezogen werden.
Sprachlich bedient sich der Krimi wieder dem bayrischen Erzählrhythmus. Was bei
Tannöd aber eine eindringliche, fast hypnotische Wirkung beim Lesen erzeugte, wird in
Kalteis derart ausgereizt, dass die ständigen Wiederholungen und Satzbauumkehrungen leicht zum Stopper, wenn nicht gar zum Ärgernis werden.
Kalteis konzentriert sich weniger auf die Auswirkungen der Tat, als auf diese selbst und
so arbeitet sich jedes Fragment zum Mord hin, der schließlich in der letzten Vernehmung von Josef Kalteis sein bestialisches Gesicht offenbart. Gerade die Passagen des Vernehmungsprotokolls scheinen aber wenig durchdacht und lassen kaum ein Gefühl für den Mörder oder seine Taten entstehen. Viel mehr wirkt die detailierte Beschreibung der Verstümmelungen der Frauenleichen als letzte Worte Kalteis´ und des Romans doch eher reißerisch. Dazu gelernt hat Andrea Maria Schenkel aber in einem Fall mit Sicherheit: nach den
Plagiatsvorwürfen beim Vorgänger Tannöd, durch den Journalisten Peter Leuschner hat sie bei
Kalteis nicht auf die Quellenangaben verzichtet…
Zur Autorin: Andrea Maria Schenkel lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg. Ihr erster Roman Tannöd (2006) wurde mit dem Deutschen Krimi Preis 2007 (1. Platz ) sowie dem Friedrich-Glauser-Preis 2007 (Debüt) ausgezeichnet.
AVIVA-Tipp: Zwar gelingt es Andrea Maria Schenkel auch hier wieder, in einfachsten Sätzen die Charaktere klar und greifend zu erzählen,
Kalteis besitzt aber lange nicht die gleiche Kraft wie
Tannöd. Schenkel bleibt eine genaue Beobachterin, beweist aber nicht die entsprechende Empathie. Es bleibt auf den dritten Roman zu warten, um Andrea Maria Schenkel zur Meisterin des Heimatkrimis zu krönen oder ihr erfolgreiches Debut als Glücksgriff zu enttarnen…
Zum Weiterlesen: Rezension zu
TANNÖDInterview mit Andrea Maria SchenkelAndrea Maria Schenkel
KalteisRoman
Edition Nautilus, erschienen August 2007
Broschur, 152 Seiten
12, 90 Euro
ISBN 978-3-89401-549-7