Joyce Carol Oates. Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 29.03.2008


Joyce Carol Oates. Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon
Clarissa Lempp

Bei einem Autounfall verliert die 15-jährige Jenna ihre Mutter. Von da an erscheint ihr alles in ihrem Leben und vor allem sie selbst jämmerlich. Erst als es fast zu spät ist, findet sie neuen Mut.





Als Jenna ihre Augen öffnet scheint nichts mehr zu sein wie zuvor. Nur verschwommen sieht sie das Krankenhauszimmer in dem sie liegt. Ihr Körper schmerzt und ihr Mund verweigert sich. Um sie herum sind bekannte Gesichter, ihre Tante, ihr Vater. Aber der Mensch, den sie jetzt wirklich an ihrer Seite will, fehlt: ihre Mutter.
In Jennas Erinnerung drängen sich Bilder eines Autounfalls. Bilder von Vögeln, die hochgeschreckt knapp an der Windschutzscheibe vorbei fliegen und Jenna mit sich ziehen, sie fort ziehen, ins Blau. Dort wartet ihre Mutter. Und hier ist alles leicht und Jennas Körper schmerzt nicht mehr. Aber das Blau ist nicht echt. Das Blau ist die Wirkung der Schmerzmittel, die ihr die Krankenschwester verabreicht.

Als Jenna die Reha abgeschlossen hat, zieht sie zu ihrer Tante. Weg von ihrem Vater, der sie und ihrer Mutter schon lange vor dem Unfall verlassen hat. Jenna ist wütend auf ihn. Nach dem Unfall will sie am liebsten allem trotzen. Der Familie ihrer Tante, der neuen Schule, den anderen. Ohne ihre Mutter geht alles schief. Ihr Schädel ist kahl, weil er im Krankenhaus für die Kopf-Operation rasiert werden musste. Sie humpelt, hat Schmerzen im Bein und kann nicht mehr in der Leichtathletik-Mannschaft laufen. In ihrer alten Schule war sie im Team, sie war nicht gut, aber immerhin meistens im Mittelfeld. Ihre Mutter feuerte sie bei den Rennen an. Aber jetzt ist alles anders. Deshalb zieht sie die Mütze tief ins Gesicht. Das schreckt die anderen ab. Jenna will niemanden bei sich haben, sie will nicht erzählen müssen von dem Unglück. Denn Menschen zu lieben, heißt auch, sie verlieren können. Aber dann begegnet sie Crow, dem umschwärmten Rocker aus der Oberstufe, dem sie sofort vertraut, und der wilden Trina, die sich mit Medikamenten und Alkohol betäubt. Jenna will sich mitreißen lassen, sie will den Tod ihrer Mutter vergessen, will vergessen, dass sie vielleicht Schuld am Unfall ist. Jenna will nicht mehr verletzlich sein, nichts mehr fühlen, nicht mehr Jenna sein und flüchtet sich in ein folgenschweres Doppelleben…

Zur Autorin: Die amerikanische Autorin Joyce Carol Oates wurde am 16. Juni 1938 geboren. Sie begann bereits mit 14 Jahren zu schreiben. An der Princeton Universität studierte sie Literatur und Philosophie und lehrt dort heute als Dozentin kreatives Schreiben. Ihre Romane, Erzählungen und Theaterstücke wurden vielfach ausgezeichnet, aber erst mit 64 Jahren fing sie an Bücher für Jugendliche zu schreiben. Für ihren Jugendroman "Mit offenen Augen – Die Geschichte von Freaky Green Eyes" 2006 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Zuletzt erschien "Sexy" 2007 im Carl Hanser Verlag.

AVIVA-Tipp: Joyce Carol Oates erzählt die Geschichte eines Mädchens, das sich nach dem Tod ihrer Mutter quer gegen die Welt stemmt. In bilderreicher Sprache entführt die Autorin in die Innenwelt eines Charakters, der zwischen Todessehnsucht und Überlebenswillen hangelt – gefangen in einer Zwischenwelt von schutzbietender Gefühlsstarre und quälender Verzweiflung. Jennas kühle, behutsame Stimme ergreift immer wieder selbst das Wort und findet schließlich die Stärke, das Unaussprechliche zu benennen.
Ein eindringliches Buch über Trauer, Verlust und die Macht der Gefühle.


Joyce Carol Oates
Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon

Ãœbersetzt aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
Carl Hanser Verlag, erschienen 2008
272 Seiten, Flexibler Einband
ISBN-10: 3-446-20986-7
ISBN-13: 978-3-446-20986-2
16,90 Euro


Literatur

Beitrag vom 29.03.2008

Clarissa Lempp