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Beitrag vom 02.11.2011
Gwendoline Riley - Joshua Spassky
Kristina Tencic
Mit der kratzig verrauchten Stimme der Hoffnungslosigkeit lässt die britische Autorin ihre Figuren zum Sprachrohr für ihre herrlich melancholische Warnung vor dem Untergang werden.
Eine Frau, ein Mann, ein Hotelzimmer, viel Alkohol. Es scheint eine Szene eines amerikanischen Road-Trip-Movies zu sein, in dem frau sich da wiederfindet, jedoch mit dem Unterschied, dass kein durchgedrehter Trip vorangeht, noch folgt, bei dem Treffen zwischen den spröden Romanfiguren Nathalie und Joshua. Ins provinzielle Ashville, North Carolina, haben sie ihr Rendezvous gelegt, die mehr oder weniger erfolgreiche Schriftstellerin und Teilzeitkellnerin mit Flugangst und Lebensmittelpunkt im englischen Manchester, und der träge Theaterregisseur Joshua Spassky. Man/frau trifft sich alle paar Monate, hat Sex, trinkt, schläft seinen Rausch aus und fängt gleich wieder von vorne an. Zwischendrin werden noch ein paar Worte über die Welt, Literatur, das Leben und die Vergangenheit gewechselt.
"Sich erinnern hat was Pornografisches, findest du nicht?"
Es ist aber wohl genau diese Ziellosigkeit die beide verbindet und ihre Anziehung ausmacht. Und es ist wohl genau die Nicht-Stabilität, welche Natalie an dem haarigen und dickbäuchigen Joshua so attraktiv findet, denn mit einem am Whisky hängenden, nie erwachsen werdenden Jungen muss frau zumindest keine lebensweisenden Entscheidungen treffen.
Es ist nur so ein Gefühl, eine Spekulation, das Nathalie in den Wahnsinn treibt und zu "bockigen Gesten der Verzweiflung" veranlasst. Es ist die Angst, dass da nichts mehr ist, für was es sich lohnt alles Schlechte dieser Welt hinzunehmen. Sie macht harte, krasse Aussagen, die sie jedoch alsbald mit einem "ich weiß nicht", oder einem "Wahrscheinlich. Könnte sein" relativiert und somit der Bedeutungslosigkeit frei gibt, gegen die sie eigentlich anzuschreiben versucht.
Die Autorin Gwendoline Riley findet dafür den Ausdruck "aposomatisch", der dieses Warnen und Abschrecken beschreibt, welches sie ihren Figuren auf den Leib schneidert und uns durch deren Alkoholdunst in die Tristesse einer Generation hüllt, die dem Untergang, der Melancholie, geweiht ist, und mitten ins Nirgendwo zu flüchten versucht. Diese zu kritisieren und ihnen das Spiegelbild ihres eigenen Untergangs vorzuhalten, hat sich Riley mit ihrem Werk scheinbar entschlossen.
"Ich glaube die aposomatische Anmache ist – also man macht jemanden aposomatisch an, wenn man wirklich niemanden mehr zum Reden hat. Es ist Ausdruck aggressiver Hoffnungslosigkeit. Die Bücher zum Beispiel, die ich geschrieben habe, sind vielleicht wie zweimal mit dem Fuß Aufstampfen. Deine Stücke auch. Oder das genaue Gegenteil davon."
AVIVA-Tipp: Es ist eine "Literatur des ewigen Wundenaufkratzens" welche die junge Schriftstellerin hier mit Verve zelebriert. Zynisch, von einer Tristesse umhüllt und mitunter hoffnungslos ist die Stimmung in dem auf ein provinzielles Hotelzimmer konzentrierten Kurzroman der britischen Schriftstellerin. Es fühlt sich an wie ein überstandener Katertag, ein zwischen Alkoholausdünstungen, matschigem Kopf und Lebenszweifeln dahin dümpelnder Tag, der jedoch notwendig sein kann, um sich und seine Zeit zu überdenken und der Leere zu entkommen.
Zur Autorin: Gwendoline Riley Bereits mit ihrem Romandebüt "Cold Water" erhielt die 1979 geborene Autorin viel Aufmerksamkeit und wurde mit dem Betty Trask Award 2002 ausgezeichnet. Auch ihr zweiter Roman "Krankmeldungen" wurde mit viel euphorischer Kritik bedacht. Die junge Autorin lebt in Manchester.
Gwendoline Riley
Joshua Spassky
Schöffling Verlag, erschienen 2011
Gebundene Ausgabe,168 Seiten
ISBN: 978-3-89561-356-2
19,95 Euro
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