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Beitrag vom 28.09.2003
Martha Grimes & Inspector Jury
Ilka Fleischer
Im jüngsten Kriminal-Roman "Die Trauer trägt Schwarz" aus der Inspector-Jury-Reihe verfolgt unser Londoner Held bis zur letzten Seite falsche Fährten - mit fatalen Konsequenzen...
Ja, auch Bestseller-Autorinnen bleiben nicht verschont - vom kreativen Loch. Das ist grundsätzlich verständlich. Und Martha Grimes, die US-amerikanische Crime-Lady mit dem Faible für das ur-britische Ambiente, gilt dennoch nicht zu Unrecht als einer der schillerndsten Sterne am zeitgenössischen Krimi-Himmel. Ein Großteil ihrer brillanten Inspector-Jury-Serie hat mir so manches regnerische Wochenende erhellt. Denn Mrs. Grimes, Mr. Jury und ich - wir haben schon die kniffeligsten Fälle miteinander gelöst.
Dabei führt die Krimi-Autorin ihren Helden oft in eine bipolare Welt zwischen Arm und Reich, Adel und Sub-Proletentum, Savoir-Vivre und Überlebenskampf. Hand in Hand mit dem hypochondrischen Sergeant Alfred Wiggins lässt Martha Grimes Inspector Richard Jury und seinen blaublütigen Freund Melrose Plant vor der Kulisse des traditionsbewussten Vereinigten Königreiches ermitteln. So ist jeder Band nach einem real existierenden englischen Pub benannt.
Die Autorin selbst wurde in Pittsburgh / USA geboren, studierte an der Universität in Maryland und unterrichtete lange Zeit kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins University. Sie lebt heutzutage abwechselnd in Washington D.C. und Santa Fe (New Mexico) und hat kürzlich ihren 18. Inspector-Jury-Roman veröffentlicht.
Dass serielle Routine und Qualitäts-Verlust einher gehen, wird oft zu unrecht behauptet. Häufig gewinnen die Haupt-Charaktere Jahr um Jahr an Facetten und persönlicher Reife. Nicht zuletzt dafür wurde Martha Grimes schon vielerseits hochgelobt. Eine besonders geglückte Web-Site, die dieser Bewunderung geschuldet ist, findet sich auf den Seiten der Krimicouch, wo alle wiederkehrenden ProtagonistInnen der Serie vorgestellt werden.
Gerade vor dem Hintergrund der gesammelten kriminalistischen Erfahrung gibt es eine Handvoll belletristischer Faux-Pas´, die unverzeihlich sind. Zwei davon hat die Bestseller-Autorin in ihrem jüngsten Werk "Die Trauer schrägt Schwarz" (O: "The Lamorna Wink") begangen - und mir damit fast meinen Krimi-Samstag vergällt.
Der Plot klingt zunächst spannend: Im vor-weihnachtlichen London werden auf einer Großbaustelle die Überreste einer Frau und eines Säuglings geborgen. Inspektor Jury wird daraufhin von seinem alten Freund und Kollegen Mickey Haggerty gebeten, einen ominösen Fall wieder aufzurollen, der in die Kriegsjahre zurückreicht. Haggerty, selbst unheilbar erkrankt, ist der Überzeugung, nur Jury könne die Tragödie aufklären, die sich damals innerhalb der vermögenden Londoner Brauerei-Familie Tynedale abgespielt hat.
Die eine Tote, so mutmaßt er, ist Alexandra Tynedale. Das tote Kind sei aber nicht - wie damals angenommen - Erin Riordin, das Baby des Kindermädchens, sondern die eigentliche Erbin Masie Tynedale. Das Kindermädchen, so seine These, hätte seine eigene Tochter Erin schlicht als Alexandras Tochter ausgegeben, um in den Genuss der stattlichen Erbschaft zu gelangen. Noch bevor Jury die Ermittlungen aufnimmt, kommt Simon Croft, ein enger Freund der Tynedales um´s Leben, der an einer historischen Aufarbeitung jener Kriegsjahre gearbeitet hat. Ein Zufall? Nachdem sich Melrose Plant als Gärtnergehilfe Zugang zum Brauerei-Clan verschafft hat, mehren sich die Zweifel...
Nein, der Gärtner war´s nicht. Aber abgesehen von regnerischen Wochenenden finde ich fast nichts ärgerlicher als die ungewollte Decouvrierung des Täters im ersten Krimi-Zehntel. Selbst Leserinnen ohne kriminalistische Erfahrung und außergewöhnliche Kombinationsgabe werden die transparenten Indizien schnell auf die richtige Fährte führen. Nicht so unseren ansonsten scharfsinnigen Vorzeige-Inspector. Der schafft es, sich im 478-seitigen Labyrinth der Neben-Schauplätze zu verlieren, um am Ende dem Tod ins Auge zu schauen. Selbst schuld, möchte frau da fast meinen.
Und hier kommen wir zum Ärgernis No. 2: Zwar können Happy-Ends zu happy sein und Bitter-Ends zu bitter. Und ohne einen goldenen Mittelweg fühlt sich so manche Leserin in ihrer Intelligenz beleidigt. In einigen Genres mögen sich daher Open-Ends anbieten. Und auch bei TV-Krimi-Serien mag dabei so mancher Crime-Junkie am Ball bleiben. Bei der kriminalistischen Lektüre allerdings wird ein offenes Ende - stirbt unser Held nun, oder nicht? - schnell zum ultimativen Abturner. Wollte sich Mrs. Grimes vielleicht nur eine kreative Pause verschaffen, um Inspector-Jury bei Bedarf ganz sang- und klanglos zu beerdigen?
Zum Glück hat schließlich Amazon mein Wochenende gerettet. Selten bin ich für die Zeitverzögerung durch die Übersetzung ins Deutsche so dankbar gewesen. Hätte es doch ansonsten keine Möglichkeit gegeben, das Überleben des Heroen anhand der englischen Neu-Erscheinungen zu überprüfen...
Die Trauer trägt schwarz.
von Martha Grimes
Gebundene Ausgabe - 478 Seiten - Goldmann
Erscheinungsdatum: September 2003
ISBN: 3442309751
Preis: EUR 22,90200866135975" .