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Beitrag vom 24.01.2008
Marianne Awerbuch. Von Berlin nach Palästina - Von Israel nach Berlin
Annegret Oehme
Der Hentrich und Hentrich Verlag gibt die Memoiren einer mutigen Wissenschaftlerin heraus, die trotz aller Hindernisse ihren Traum bis zuletzt verfolgte und sich mit 57 Jahren habilitierte.
Erinnerungen aus einem streitbaren Leben
"Ich nach Deutschland? Niemals! Lieber verhungere ich hier [...]."
Den Überredungskünsten ihrer FreundInnen und Familie ist es zu verdanken, dass Marianne Awerbuch entgegen ihrer sonst so unumstößlichen Überzeugung 1966 in das Land ihrer Kindheit zurückkehrt, um an der Freien Universität Berlin zu promovieren. Der Aufenthalt wurde länger als geplant. Am 6. Juni 2004 verstarb die geliebte oder verhasste, streitbare, aber stets wahrhaftige Pädagogin und Judaistin in Berlin.
Marianna Selbiger, 1917 geboren, war Tochter eines gut bürgerlichen jüdischen Hauses. Schon als Kind, das - so Marianne selbst - durch seine starke Willenskraft auffiel und manche verschreckte, war ein Studium ihr größter Traum. Um dem näher zu kommen begann sie früh, systematisch die bedeutendste deutschsprachige Literatur von Goethe über Nietzsche bis hin zu Thomas Mann zu lesen.
Doch im Januar 1933 ergreifen die Nationalsozialisten die Macht und auch Mariannes Träume mussten begraben werden. Zunächst beschäftigte sie sich intensiver mit dem Judentum und wurde bei einer zionistischen Jugendorganisation aktiv, durch die sie auch ihren späteren Mann kennen lernte.
Es folgte die Ausbildung am für damalige Zeiten höchst modernen pädagogischen Seminar Nelly Wolfsheims, das sie zwar mit ungeliebten Kolleginnen konfrontierte, aber den Grundstein für ihre spätere Tätigkeit als Pädagogin legte.
Im Januar 1939, gelingt es Marianne mit ihrem nun angetrauten Mann, Max Awerbuch, und einigen Schützlingen aus Deutschland zu flüchten.
Das harte Leben in Palästina schildert Marianne mit äußerst gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite stehen die Erfahrungen, die sie im Kibbuz sammelte, in dem sie und ihr Mann Ausgrenzung und Ablehnung erfuhren, und zum Verlassen genötigt wurden, auf der anderen Seite schildert sie die Situation in den Jahren vor der Staatsgründung Israels als von großer Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit geprägt.
Diese ambivalente Sicht auf die Dinge durchziehen Marianne Awerbuchs gesamte Memoiren und eröffnen den scharfen Blick einer Frau, die den Eichmann-Prozess als einziges Politikum sah und sich auch nicht fürchtete, ihren SchülerInnen ein völlig anderes Bild auf das christliche Mittelalter zu vermitteln, als es sich ihre israelischen KollegInnen wünschten.
Die Leistung dieser streitbaren Frau, die für Wahrheit und Gerechtigkeit eintrat, lassen sich nicht hoch genug einschätzen, war sie es doch, die maßgeblich am Aufbau des renommierten Institutes für Judaistik an der Freien Universität beteiligt war. Bis zuletzt mischte sie sich auch in öffentliche Diskussionen ein, wie zum Beispiel über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin.
Ihr Mut, Ehrgeiz und unbändiger Wissensdrang schlägt sich auch in der Tatsache nieder, dass Marianne Awerbuch im Alter von 53 Jahren promovierte und sich mit 57 Jahren habilitierte.
Hermann Simon und Hartmut Zinser haben Marianne Awerbuchs Aufzeichnungen ihres Lebens, wie sie es in ihrem Testament verfügte, unverändert, lediglich mit hilfreichen Anmerkungen versehen, herausgegeben. Leider enden diese zum Zeitpunkt ihrer Promotion.
Beigefügt sind den eigentlichen Erinnerungen ein Vorwort der Herausgeber, die Grabrede Winfried Sühlos und ein englischsprachiger Aufsatz ihres Sohnes, der der Sicht seiner Mutter auf die Dinge noch seine eigene hinzufügt.
AVIVA-Tipp: Spannend, kritisch und humorvoll wirft Marianne Awerbuch einen selbstkritischen Blick auf ihr Leben und mehr als ein halbes Jahrhundert Geschichte.
Marianne Awerbuch
Erinnerungen aus einem streitbaren Leben. Von Berlin nach Palästina - Von Israel nach Berlin
Jüdische Memoiren Band 15
Hentrich & Hentrich Verlag, erschienen November 2007
524 Seiten, Hardcover
26 Euro
ISBN 978 3 938485 39 2