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Beitrag vom 30.03.2008
Prof. Dr. Hanna Papanek, Elly und Alexander
Yvonne de Andrés
Revolution, Rotes Berlin, Flucht, Exil – eine sozialistische Familiengeschichte. Ein Dokument und ein eindruckvolles Bild von einem halben Jahrhundert.
Hanna Papanek, geborene Kaiser, erzählt ihre eigene Geschichte und die ihrer Eltern Elly Kaiser und Alexander Stein. Sie gehörten dem sozialdemokratischen Milieu, der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft und der so genannten "Aristokratie" der Abeiterbewegung an. Die Biografin beschreibt die unterschiedlichen Wirkungskreise der Eltern vom zaristischen Russland, dem Kaiserreich und der Weimarer Republik bis in den aufkommenden Nationalsozialismus hinein und die schließlich Emigration über die Tschechoslowakei, nach Frankreich und die USA.
Beide Eltern waren politisch aktiv bei der deutschen Sozialdemokratischen Partei. Die Mutter, Elly Kaiser, war Sekretärin und Archivarin der SPD-Fraktion im Reichstag und gehört einer klassenbewussten sozialdemokratischen Familie an. Sie wohnte in der Hochburg des roten Berlins, in Moabit. Hanna Papaneks Vater, Alexander Stein, war Jude und stammte aus Wolmar (Lettland). 1906 war er als Menschewik vor der zaristischen Verfolgung über Zürich und Leipzig nach Berlin geflohen. Er arbeitete als Journalist für den "Vorwärts", die "Neue Volkszeitung" und als Herausgeber der Zeitschriften "Sozialistische Bildung" und "Bücherwarte". Ab 1925 leitete er als Bildungssekretär der SPD die "Freie Sozialistische Hochschule" in Berlin. Alexander Stein arbeitete und korrespondierte mit den führenden sozialistischen Persönlichkeiten wie August Bebel, Rudolf Hilferding, Karl Kautsky und seiner Familie, Rosa Luxemburg, Karl Marx und Walther Rathenau.
Hanna Papanek beschreibt ihre Eltern so: "Im sozialdemokratischen Milieu meiner Mutter, das damals in Berlin vorherrschte, war mein Vater eine bekannte Persönlichkeit. Meine Tante Frieda drückte es so aus: ´Stein macht die Kultur für die Partei´. Ihre typische Berliner Mischung aus Bewunderung und Spott gilt nicht nur seinem SPD-Parteiamt als Bildungssekretär, zuständig für Arbeiterbildung und Kulturprogramm, sondern auch seiner einigermaßen zwiespältigen Stellung in der Partei: ein Intellektueller und Schöngeist, dazu erst frisch eingebürgerter Jude aus dem Osten."
Mit der Mutter Hanna Papaneks war Alexander Stein allerdings nicht verheiratet. Es war eine Lebensgemeinschaft. Verheiratet war er mit einer russischen Revolutionärin, mit der er noch eine Tochter hatte, Nina. Aus einer weiteren, bereits geschiedenen Ehe, entstammte ein Sohn. Die kleine Hanna, 1927 geboren, wächst glücklich und räumlich getrennt von ihrem Vater als "uneheliches Kind" auf. In jener Zeit ist dies noch ein Grund für Ausgrenzung und Stigmatisierung für die Mütter und ihre Kinder. Seit 1925 haben sich Frauenrechtlerinnen und Sozialdemokratinnen dafür engagiert, einige Paragraphen des BGB zu verändern. "Eine Frau", so argumentierten sie, "die die volle Verantwortung der Mutterschaft zu tragen hat, sollte auch die volle ´elterliche Gewalt´ ausüben dürfen".
Hanna Papanek schreibt rückblickend: "Die völlige Einbindung meiner Familie ins sozialdemokratische Milieu ließ mich nie daran zweifeln, wohin ich gehörte. Mein Identitätsgefühl als Kind enthielt jedoch keinerlei Hinweis darauf, dass ich jüdisch war". In ihrer Umgebung wurde dies nicht bestritten, aber auch nicht betont. Hanna wusste bereits als Sechsjährige im Exil in Prag, dass Juden durch Nazis besonders gefährdet waren.
Im Mittelpunkt des Buches stehen Erinnerung und Wiederentdeckung in der Form von persönlicher Erzählung, wissenschaftlicher Analyse und Selbstreflektion, sowie die Auseinandersetzung mit den Eltern, der erweiterten Familiengeschichte und die Beschäftigung mit wichtigen Sozialdemokraten und deren Familien anhand von Briefen, Fotografien und Dokumenten. Papanek versteht ihre Annäherung als Methode einer teilnehmenden Geschichte.
Beide Eltern haben eine politische Vision. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 flieht die kleine Hanna mit ihren Eltern. Erst im Exil in Prag wohnen Hanna sie als Familie zusammen. Die Fluchtgeschichte über Prag, Paris, Spanien nach New York führt zu vielen Begegnungen mit anderen fliehenden Sozialisten und Juden. Hanna Papanek berichtet, wie sie sich als Zwölfjährige im französischen Exil der "Gruppe Freundschaft", einer Jugendgruppe von österreichischen Exilanten der "Roten Falken", anschloss. Der Aufenthalt im Süden Frankreichs in den OSE-Kinderheimen (Oeuvre de Secours aux Enfants) bestimmt Hannas politische Sozialisation und festigt ihre moralischen Normen von "Gruppenmitgliedschaft, Gruppensolidarität, Freundschaft innerhalb von Gruppen". Hier begegnet sie 1939 ihrem künftigen Schwiegervater, dem Reformpädagogen Ernst Papanek und ihrem späteren Mann Gustav Papanek. Im Kinderheim fühlt sie sich geborgen, doch durch das Herannahen der deutschen Front muss die Familie einen nächsten sicheren Fluchtort finden.
Da das amerikanische Konsulat in Marseille kein Einreisevisum in die USA für ein "uneheliches Kind" und ihre Mutter befürworten würde, wird kurzerhand ein verstorbener Ehemann erfunden. In New York gelandet, versteht die heranwachsende pubertierende Hanna ihren alternden Vater und dessen Parteikämpfe kaum noch. Das letzte Kapitel ist sehr traurig. Es beschreibt, wie die Eltern, speziell der Vater, im Exil, fern ab von der gemeinsamen Sache und der Arbeit mit gleichgesinnten Genossen, vereinsamen. Die New Yorker Umgebung bleibt ihnen zutiefst fremd und wird keine neue politische Wirkungsstätte. Die gelegentliche Veröffentlichung für die Exilpresse orientiert sich ausschließlich an der Vergangenheit und der Zukunft ihrer Heimatländer. "Für eine Sache, an die man leidenschaftlich glaubt, ins Exil gegangen zu sein, sichert den Exilierten weder Anerkennung im Zufluchtsland noch in der Heimat." Die Remigration nach Deutschland kam durch den Tod von Alexander Stein nicht mehr zustande. Mutter Elly und Hanna blieben in New York.
AVIVA-Tipp: Ein spannendes und sehr dichtes Zeitdokument deutscher Geschichte, weit mehr als eine Biografie. Die persönliche Erzählung rekonstruiert mit großer Akribie die Lebensgeschichte der Eltern. Hanna beschreibt sehr ehrlich das persönliche Drama der Flucht. Die Lektüre ist berührend und ergreifend und lässt einen bis zur letzten Seite nicht mehr los.
Zur Autorin: Prof. Dr. Hanna Papanek wurde 1927 in Berlin geboren. Hanna flüchtete mit ihren Eltern, die zum Kreis der deutschen Sozialdemokratischen Partei und deren Exilvorstand (SOPADE) gehörten, über Prag und Paris in die USA (ab 1940). Sie studierte und promovierte in Philosophie an der Harvard University. Als Ethnologin war sie lange in Süd- und Südost-Asien tätig. Hanna Papanek lehrte – heute ist sie emeritiert - in den USA an der Harvard und der Boston Universität und in Indonesien an der University of Indonesia. Sie hat zahlreiche Publikationen über Frauenarbeit, Family Planning, Frauen im Islam, Frauenpolitik und Identität, sowie "ethnographische Lyrik" auf Englisch und Indonesisch publiziert. Im deutschen Sprachraum ist sie hauptsächlich mit mehreren Beiträgen in Sammelbänden zur Exilforschung bekannt.
Hanna Papanek
Elly und Alexander
Revolution, Rotes Berlin, Flucht Exil. Eine sozialistische Familiengeschichte.
Vorwärts Buch, erschienen im Oktober 2006
kartoniert - 579 Seiten
ISBN: 9783866026001
29,80 Euro