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Beitrag vom 14.08.2008
Das weiße Abendkleid - Victoria Wolff
Daniela Besser
Victoria Wolff entführt in das Paris der 30er Jahre, in dem vier Frauen mit unterschiedlicher Herkunft und Lebensentwürfen eine Veränderung ihres Lebens erfahren, als sie sich ihren Wünschen stellen
2006 erschien "Das weiße Abendkleid" als gebundenes Buch im AvivA-Verlag, im September 2008 bringt es der btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House als Taschenbuch heraus.
Wie der Titel verrät, steht im Mittelpunkt dieses Buches ein weißes Abendkleid, "La joie tremblante" – "zitternde Freude" genannt, das eine besondere, weil verzaubernde Wirkung auf die Menschen – Trägerinnen wie BetrachterInnen – ausübt. Doch zugleich ist diese Kleid nur Zweck zu etwas anderem.
Denn die wirklichen Heldinnen sind vier Frauen, die durch dieses einzigartige Kleidungsstück sich und ihr bisheriges Leben in Frage stellen. Und nicht nur das. Sie gehen auch einen – den entscheidenden – Schritt weiter: Sie verändern ihr Leben!
Die Protagonistinnen sind vier Frauen in unterschiedlichem Alter: Zum Ersten Anne Lund, eine glamouröse Filmschauspielerin, die mit ihrer Schwester Maria Barthoud, einer Kaufmannsgattin, aus Schweden nach Paris gekommen ist. Beide ganz verschieden und doch gleichermaßen in ihren Gewohnheiten gefangen. Beide müssen letztlich erkennen, dass sie unglücklich sind.
Obwohl Anne Lund die erste Besitzerin des Kleides ist (wenn man das überhaupt so sagen kann), wird es eine andere vor ihr tragen, und damit einen entscheidenden Einfluss auf ihr Leben nehmen. Das neunzehnjährige Mannequin Sonja Putilew, die mit ihrem Vater aus Russland gekommen ist und mit diesem zusammenlebt.
Die Leben dieser beiden Frauen kreuzen sich schicksalhaft und alles kommt in Bewegung, nichts bleibt wie es war.
Das Kleid setzt nach diesen beiden seine "Mission" bei Maria Barthoud fort, um schließlich bei der jungen Ilka Wahla anzukommen. Diese ist dereinst in Wien Medizinstudentin gewesen, musste aber als Jüdin von dort vor den Nazis nach Paris fliehen. In Paris arbeitet sie nun als Hausangestellte bei der Barthoud und bekommt das Kleid von ihr geschenkt. Für Ilka Wahla bedeutet dieses Kleid einen Neuanfang ihres Lebens, sie tut etwas, was sie vorher nie gewagt hätte. Und auch sie findet nach all den schrecklichen politischen und damit verbundenen persönlich-schmerzlichen Ereignissen (ihr Vater wurde ermordet) einen neuen Sinn im Leben.
Es gibt viele wunderbare, zum Nachdenken anregende und zugleich ermutigende Textstellen, hier nur eine kleine Kostprobe: "Warum nur die, warum nicht ich? Glück ist für alle da. Hol es, pack es, gib dir Mühe! Das war ihre neue Melodie, Glück will verdient werden, erobert werden. Und sie wollte es verdienen und sich Mühe geben, denn sie kannte den Preis."
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin: Victoria Wolff – "Die Welt ist blau"
AVIVA-Tipp: Der Roman verknüpft episodenhaft, in wunderbar interessanter und schlüssiger Weise die Geschichten dieser Frauen und stellt die Frage nach ihrer Identität, nach dem je eigenen "richtigen" und "falschen" Leben. Alle vier müssen etwas wagen, müssen ihr gewohntes Leben in Frage stellen, um sich selbst zu finden. Sie entdecken dabei ihre rebellische Seite, handeln gegen Konventionen und entscheiden sich somit für ein selbstbestimmtes Leben – und finden ihr Glück.
Und glücklich macht auch die Lektüre dieses Buches, in dem sich auf jeder Seite brillante Sätze finden – ein wahrer Schatz an Aphorismen - , deren Komposition nicht gezwungen, sondern leicht daher kommt. Ein Buch für jede Frau – für jedes Alter. Ein Buch zum immer wieder lesen, das mit zeitlosen Lebensweisheiten funkelt. Es könnte Einfluss auf ihr Denken (und vielleicht ja auch Handeln) haben, und somit eine Buch-Freundschaft für´s Leben sein.
Zur Autorin: Victoria Wolff wurde 1903 in Heilbronn geboren. Die deutsch-jüdische Autorin verfasste Artikel und Reiseberichte für renommierte Zeitungen. Neben einem biographischen Roman über George Sand veröffentlichte sie mehrere Bücher über die Lebenswelt moderner Frauen. 1933 emigrierte sie mit ihren Kindern in das Künstlerdorf Ascona. Freundete sich dort mit den Schriftstellern Leonhard Frank, Erich Maria Remarque, Ignazio Silone und der Theaterschauspielerin Tilla Durieux an, mit denen sie einen künstlerischen Austausch pflegte, der sich auch in ihrem Buch "Das weiße Abendkleid" niederschlägt. 1939 musste sie die Schweiz verlassen, konnte jedoch in den USA nach schweren Anfängen seit Beginn der 40er Jahre durch den Verkauf der Filmrechte von "Das weiße Abendkleid" erfolgreich als Drehbuchautorin arbeiten. Victoria Wolff schrieb "Das weiße Abendkleid" 1938 im Schweizer Exil. Es ist voller Anspielungen auf Ereignisse und Personen ihrer Zeit: Die Pariser Modewelt, die politischen Ereignisse sowie private Bekanntschaften der Autorin zu KünstlerkollegInnen. Victoria Wolff starb 1992 in Los Angeles.
Victoria Wolff
Das weiße Abendkleid
AvivA-Verlag, erschienen September 2006
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Anke Heimberg
Gebunden, 280 Seiten - mit Stadtplan und Parisfotos
ISBN: 978-3-932338-28-1
Preis: 18 Euro
Victoria Wolff
Das weiße Abendkleid
btb Verlag, erschienen September 2008-08-13
btb Bd.73740
Kartoniert, 271 Seiten mit Abbildungen
ISBN 3-442-73740-0
ISBN 978-3-442-73740-6
Preis: 8 Euro