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Beitrag vom 28.03.2012
Dodo - Leben und Werk. Life and Work. 1907-1998. Herausgegeben von Renate Krümmer
Sharon Adler
Der Band sowie die Werkschau stellt erstmals das Oeuvre der unkonventionellen jüdischen Berliner Künstlerin Dodo (1907–1998), geborene Dörte Clara Wolff vor. Auch das wechselvolle Leben dieser ...
... ungewöhnlichen Frau wird von unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Während sich die Sammlerin und Kunsthändlerin Renate Krümmer an Dodo annähert, erinnert sich deren Tochter Anja Amsel an ihre Mutter und die Künstlerin.
Spät wiederentdeckt: Werk und Leben der Künstlerin Dodo im Berlin der 1920er-Jahre
Die Berliner Künstlerin Dodo (1907–1998), eigentlich Dörte Clara Wolff, geriet nach ihrer erzwungenen Emigration nach London im Jahr 1936 wie so viele andere ExilantInnen nach dem Krieg zu Unrecht in Vergessenheit - eine Frau, die zwischen 1927 und 1930 im pulsierenden Berlin der Weimarer Zeit große Erfolge als Illustratorin feierte. Dieser Erfolg war hauptsächlich dem starken Willen Dodos, wie sie sich selbst von frühester Kindheit an nennen ließ, zu verdanken. Nachdem sie zunächst dem Wunsch ihrer Eltern nachkam, und auf einer Schule für höhere Töchter in Hauswirtschaft und Kochen unterrichtet wurde, konnte sie sich durchsetzen und eine Kunstschule besuchen.
Im Herbst 1923 begann sie ihre Kunstausbildung an der privaten Reimann Schule, die im Ruf stand, "ausschweifende Lebensformen" und individuelle Sichtweisen zu tolerieren. Im Herbst 1926 verließ Dodo die Schule und arbeitete unmittelbar im Anschluss als Freiberuflerin, verdiente ihr eigenes Geld und war somit unabhängig von ihren Eltern. Die Künstlerin produzierte Illustrationen für Artikel von Polly Tieck und fertigte Modezeichnungen, Aquarelle und Goachen für das Berliner Tageblatt sowie Karikaturen für die Satirezeitschrift Ulk an. Der Einsatz verschiedenster Stilmittel ist ein Zeichen ihrer Vielseitigkeit, kann aber auch als Indiz dafür gedeutet werden, dass sie noch auf der Suche nach ihrem eigenen Stil war – den sie jedoch bald fand. Sie avancierte zu einer der Gefragtesten ihrer Zeit. Bald schon wurde sie um Kostümentwürfe für die damals noch unbekannte Marlene Dietrich und die Sängerin und Diseuse Margo Lion angefragt. Nach der Premiere am 15. Mai 1928, und vor allem durch das Duett "Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin" wurden diese beiden bekannt und Dodo erhielt danach "unendlich viele Tickets für Aufführungen am Kürfürstendamm".
Durch die Freundin Polly Tieck, die als kritische Journalistin arbeitete und in einer Frauenbeziehung lebte, lernte Dodo ihren späteren Ehemann, den jüdischen Rechtsanwalt und Notar Hans Bürgner kennen. Die Geburt der beiden gemeinsamen Kinder stürzte Dodo in eine tiefe Depression, die sich in verschiedenen ihrer Werke manifestiert. Kommerziell hat sie in dieser Zeit nicht gearbeitet. Ein Umstand für das Ausbleiben von Aufträgen war die Wirtschaftskrise, besonders aber nach 1933 die Tatsache, dass sie Jüdin war. Erst nach 1934 konnte sie wieder veröffentlichen – allerdings ausschließlich für jüdische Publikationen wie etwa die Jüdische Rundschau, das Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde oder das Israelitische Familienblatt.
Einen Wendepunkt in ihrem persönlichen Leben stellte das Zusammentreffen mit dem charismatischen Carl Gustav Jung-Schüler Gerhard Adler dar, in den sie sich verliebte und ihm bald nach Zürich folgte – nachdem sie in der Zwischenzeit eine Beziehung mit der Reformpädagogin und Schriftstellerin Tami Oelfken gelebt und eine Abtreibung durchgemacht hatte. In ihren Arbeiten "Dodo, Zwischen zwei Männern", 1933, "Dodo, Ohne Titel (Liebe unter Frauen)", 1934, und "Madame wünscht keine Kinder" aus dem Jahr 1933 stellt sie ihre innere Zerrissenheit aufs Deutlichste dar.
In Zürich ließ sich die Künstlerin von Jungs engster Mitarbeiterin Toni Wolff analysieren und verarbeitete ihre Träume in Bildern: "Ein Gespräch ist gut zu zweit, so nackt und scharf wie durchgeschnittnes Glas", so Dodo, die durch die Analyse zu der Serie der "unbewussten" Bilder" inspiriert wurde. Mal surreal, dann wieder im Stil der Neuen Sachlichkeit. Die Farbwahl – changierend zwischen pastellig und kräftig – verdeutlicht das Gefühlschaos der Malerin.
Im Jahr 1936 emigrierte Dodo nach London, die Freundin Tami Oelfken half dabei, ihre beiden Kinder zu ihr zu bringen. Sie ließ sich von Bürgner scheiden, den sie im Jahr 1945 zum zweiten Mal heiratete, da sie ihrerseits unter der Ménage à trois litt, denn Gerhard Adler unterhielt eine langjährige Beziehung zu Hella, seiner späteren Frau.
Bürgner war als Jude von dem allgemeinen Anwalts-Berufsverbot betroffen und ebenfalls nach London ausgewandert, er unterstützte von dort den jüdischen Kindertransport nach England. Dodo konnte künstlerisch im Exil nicht mehr an die Berliner Jahre anknüpfen. Sie illustrierte Kinderbücher, entwarf Grußkarten und Layouts für Kataloge, produzierte Gebrauchsgrafiken. Nach dem Krieg zeichnete sie hauptsächlich Stillleben und Portraits, in den 1970er Jahren begann sie, eine große Anzahl von Gobelins zu besticken.
AVIVA-Tipp: Dem Engagement der Sammlerin und Kunsthändlerin Renate Krümmer ist es zu verdanken, dass das in Vergessenheit geratene Werk von Dodo wiederentdeckt und nun in Buchform und im Rahmen von Ausstellungen einer Öffentlichkeit erstmalig zugänglich gemacht werden konnte. Die Faszination, die diese große Künstlerin und ihre zeichnerisches Werk bei den BetrachterInnen auslöst, ist auch heute noch ungebrochen. Ihr von Brüchen geprägtes Leben spiegelt authentisch den Geist dieser Zeit wieder, die ebensoviele Talente hervorbrachte wie zerstörte.
Die erste Werkschau ("Dodo (1907-1998) - ein Leben in Bildern") vom 1. März - 28. Mai 2012 in der Kunstbibliothek Berlin umfasste rund 120 Arbeiten aus allen Lebensphasen: mondäne Modegrafik, Illustrationen für Ulk, die so genannten "unbewussten" Bilder ihrer privaten Turbulenzen während einer 1933 in Zürich durchlebten Psychoanalyse, Illustrationen für jüdische Zeitschriften sowie Arbeiten aus dem Londoner Exil.
Vom 22. Juni bis 9. September 2012 wurden die Werke von Dodo in der
Ben Uri Gallery, The London Jewish Museum of Art gezeigt.
www.benuri.org.uk
Dodo - Leben und Werk/Life and Work
1907-1998
Herausgegeben von Renate Krümmer
Texte von Anja Amsel, Margitta Giera, Renate Krümmer, Miriam-Esther Owesle, Adelheid Rasche
Hatje Cantz Verlag, erschienen 2012
Deutsch/Englisch
216 Seiten, 185 farbige Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag
24,90 x 30,70 cm
ISBN 978-3-7757-3274-1
Euro 39,80
Weitere Informationen finden Sie unter: www.hatjecantz.de
Weiterlesen:
Swantje Kuhfuss-Wickenheiser: Die Reimann-Schule in Berlin und London 1902-1943. Ein jüdisches Unternehmen zur Kunst- und Designausbildung internationaler Prägung bis zur Vernichtung durch das Hitlerregime. Aachen 2009, ISBN 978-3-86858-475-2.
Renate Wall (Herausgeberin): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil, 1995
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"Juden in Berlin. Biografien", herausgegeben von Elke-Vera Kotowski
(Quellen: Hatje Cantz, AVIVA-Berlin)