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Beitrag vom 29.07.2012
Eva Züchner - Der verbrannte Koffer. Eine jüdische Familie in Berlin
Anke Gimbal
Die Recherche über einen Berliner Mordfall aus dem Jahr 1938 führte die Autorin zur Geschichte von Walter Caro, der erfolglos versuchte, dem NS-Terror zu entkommen, und zur Geschichte seiner ...
... Familie und des Berliner Umfelds.
Walter Caro, stellvertretender Geschäftsführer der Fabrikations- und Exportfirma Siegfried Heumann, war Jude. Er war "Volljude" wie die Nazis es ausdrückten, wenn jemand vier jüdische Großeltern hatte. 1938 wurde er verdächtigt, seine Freundin, das Mannequin Tilly Albrecht ermordet zu haben. Trotz erwiesener Unschuld geriet er in die Mühlen der NS-Justiz, denn Tilly war "arisch" und die kurze, möglicherweise sogar beendete Verbindung zwischen den beiden eine "Rassenschande". Eva Züchner rekonstruiert sein Leben bis zu seiner Ermordung 1944 oder 1945 in Auschwitz. Sie rollt dabei das Schicksal einer alteingesessenen Berliner Kaufmannsfamilie während der NS-Zeit auf und bezieht weitere Lebensläufe sowohl der HelferInnen als auch der Verfolger mit ein, deren Lebenswege sich hier kreuzen.
Die ProtagonistInnen stehen für zahllose ähnliche Schicksale, darunter:
Siegfried Heumann und seine Frau, die nach dem Boykott ("Kauft nicht bei Juden") ihres Unternehmens, der "Arisierung" des Betriebes und der Liquidation in die Niederlande emigrierten und schließlich doch in Auschwitz ermordet wurden.
Das Ehepaar Bernstein, Freunde der Caros, die nach Shanghai auswanderten, weil sie keinen anderen Aufnahmestaat fanden. Salomon Bernstein starb dort nach kurzer Zeit an der Ruhr, seiner Frau gelang die Weiterreise in die USA.
Kurt Caro, Walters älterer Bruder, der im Sammellager Rosenstraße landete, das durch die "Fabrikaktion", ein Protest im Jahre 1943 meist weiblicher nichtjüdischer Angehöriger gegen die Internierung der jüdischen Ehemänner oder Familienmitglieder, bekannt wurde.
Dr. Georg Grosscurth, ein Arzt, der Untergetauchte in seiner Wohnung und im Krankenhaus versteckte, zum Freundeskreis des Chemikers Robert Havemann gehörte, 1943 von der Gestapo verhaftet, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
Rolf Isaaksohn, ein "U-Boot", d.h. ein untergetauchter Jude, der erst Pässe für andere Juden fälschte, darunter auch für die Brüder Walter und Werner Caro, dann aber zum "Greifer", d.h. Denunzianten und Täter wurde.
Werner Togotzes, der als Kriminalkommissar und Leiter der Mordkommission "Albrecht" Walter Caro "verhörte", in verschiedenen Funktionen Karriere in der SS machte und 1954 zum Leiter der West-Berliner Mordkommission ernannt wurde. Im Ruhestand wurde er 1964 noch einmal kurz und ohne Konsequenzen mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Sein Nachruf schließt mit den Worten "Er war ein braver Mann."
Walter Caros Geschichte zeigt, und das ist nicht neu, wird aber hier durch die Familiengeschichte sehr persönlich: Viele Täter führten nach 1945 ein normales Leben mit ihren Familien und setzten ihre Karrieren fort. Darüber kann mensch, wenn sie denn aufgearbeitet wurden, unter anderem in den Nachkriegsgeschichten der Polizei oder den der Ministerien lesen. Die Opfer waren entweder tot, waren nach der Ermordung ihrer Familien alleine und/oder kämpften mit den Folgen der Schikanen, Folter, Zwangsarbeit und Entrechtung. Eine Entschädigung wenigstens für die verlorenen materiellen Güter blieb ihnen verwehrt oder sie war nach jahrelangem Kleinkrieg mit den Ämtern lächerlich gering.
AVIVA-Tipp: Lesen gegen das Vergessen. Es gibt Archive, Schreiben, Projekte und Vereine gegen das Vergessen. Dieses Buch sollte mensch lesen, um nicht zu vergessen, nicht die Geschichte aber vor allem auch nicht Menschen wie Walter Caro und seine Familie.
Zur Autorin: Eva Züchner, geboren 1942 in Berlin, wuchs in Kleinmachnow bei Berlin und Barcelona auf. In Berlin studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaft und Neuere Geschichte. Sie arbeitete als Ausstellungskuratorin und Archivleiterin am Landesmuseum Berlinische Galerie. Schwerpunkte ihrer bisherigen Publikationen sind die klassische Moderne und Dada Berlin. Ihr erstes Buch "Der verschwundene Journalist" (2010) porträtiert Eva Züchners Vater, ein Journalist im "Dritten Reich". (Quelle: Verlagsinformationen, www.berlinverlage.com)
Eva Züchner
Der verbrannte Koffer. Eine jüdische Familie in Berlin
Bloomsbury Verlag im Berlin Verlag, erschienen 2012
Gebunden, 159 Seiten
ISBN-13: 9783827010506
Euro 18,90
Weitere Infos unter:
www.berlinverlage.com