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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 20.09.2012


Daniela Sannwald und Christina Tilmann - Die Frauen von Babelsberg. Lebensbilder aus hundert Jahren Filmgeschichte
Ingeborg Morawetz

Im Jahr 2012 feiert das Filmstudio Babelsberg seinen hundertsten Geburtstag. Einst für Asta Nielsen geschaffen, blickt es heute auf eine große Zahl berühmter Frauen in seinen Hallen zurück.




Die Geschichte des Filmstudios Babelsberg rankte sich bereits in seinem Gründungsjahr um den rasanten Aufstieg einer durchsetzungskräftigen Frau. 1912 finanzierten die Einnahmen aus Asta Nielsens ersten beiden Filmen den Ankauf des Studiogeländes und den Bau des Glasateliers. Im Debutfilm des Studios, Der Totentanz von Regisseur Urban Gad, spielte sie noch im gleichen Jahr die Hauptrolle.

Einst eine erfolglose Theaterschauspielerin, gelangte sie im Medium Film, das Anfang des 20. Jahrhunderts noch ein Novum war, zu internationaler Anerkennung. Babelsberg war ihr Sprungbrett zum Erfolg, doch auch umgekehrt wäre das Filmstudio ohne ihre Unterstützung nicht zu dem geworden, was es heute ist. Und Asta Nielsen war kein Einzelfall: Die Herausgeberinnen von "Die Frauen von Babelsberg", Daniela Sannwald und Christina Tilmann, zeigen auf, dass der Film in seiner Entstehungsgeschichte eng verknüpft ist mit den Karrieren kreativer, experimentierfreudiger und entschlossener Frauen. Und "der Film" bedeutet in Deutschland seit nunmehr hundert Jahren: Babelsberg.

Im nun vorliegenden Werk zum Jubiläum des Studios stellen Sannwald und Tilmann in Zusammenarbeit mit vierzehn zeitgenössischen Autorinnen und Autoren aus Journalismus und Filmwissenschaft das Filmstudio Babelsberg und die Frauen vor, die zehn Dekaden lang in dieser Metropole des deutschen Films ein- und aus gingen.
So schrieben unter anderen Kerstin Decker, Jürgen Trimborn und Günter Krenn Beiträge zu Regisseurinnen wie Thea von Harbou und Diven wie Marlene Dietrich, während Sannwald und Tilmann sich vor allem den Fakten widmeten.
Neben siebzehn Portraits beinhaltet das Buch eine Einleitung zur Entstehung des Films und vier Situationsaufnahmen aus den ersten Jahren des Studios, die sich thematisch lose um die Aufgabenbereiche an einem Filmset gruppieren und mit kurzen Texten versehen sind.

Obwohl dieser einführende Teil viele interessante Daten und Fakten nennt und solides Wissen zur Rolle von Frauen vor und hinter der Kamera liefert, wirkt er in seiner Konzeption unstrukturiert. Die einzelnen Erklärungen, Statistiken und Bebilderungen sind eine Anhäufung von allem, was sich zur weiblichen Seite Babelsbergs finden lässt. Was sich den LeserInnen in dieser überbordenden Einleitung aber deutlich zeigt, ist die Vielfalt der Beschäftigungsfelder in denen Frauen zu einer Zeit, in der Berufsausübung für sie keine Selbstverständlichkeit war, beim Film tätig sein konnten. Film und Kino wurden in ihren Anfangsjahren nicht ernst genommen. Die Arbeit galt als einfach und unwichtig, wurde für Frauen als "gerade angemessen" erachtet. Diese ergriffen die Chance, unbemerkt Kreativität und Einfluss walten zu lassen.

Der erste Spielfilm der Welt konnte so von Alice Guy, einer Sekretärin, in einem Garten gedreht werden - ihre Versuche wurden von ihrem Chef wohlwollend belächelt. Diese unbekannte Geschichte ist ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass 82 Oscarverleihungen stattfinden mussten, bis 2010 zum ersten Male einer Frau, Kathryn Bigelow, der Oscar für die beste Regie überreicht wurde. Die auf die einleitenden Kapitel folgenden Portraits von Schauspielerinnen, Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen werden mit dem Hintergrund dieser Fakten auf ein anderes Fundament gesetzt: Wer waren sie wirklich, diese starken und zerbrechlichen, schönen und wandelbaren Frauen?

Die nur wenige Seiten langen Bio- und Filmographien sind durchgängig fast romanhaft zu lesen und liefern die wichtigsten Informationen über die jeweilige ins Scheinwerferlicht gestellte Akteurin der Filmgeschichte. Sensibel werden den LeserInnen sowohl glanzvolle, als auch vom Unglück getrübte Laufbahnen nähergebracht.
Die Tatsache, dass die aus den vergangenen hundert Jahren ausgewählten Leinwand- und Regiegrößen von AutorInnen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen präsentiert werden, lässt ein kurzweiliges Lesen zu, die sich abwechselnden Stile halten die LeserInnen wach und bei Laune und scheinen den unterschiedlichen Charakteren der portraitierten Frauen angepasst zu sein.

Natürlich funktioniert eine Chronologie der weiblichen Stärken Babelsbergs nicht, ohne eine Stellungnahme dazu zu beziehen, wie sie sich in politisch brisanten Jahren und während der beiden Weltkriege positionierten.
Was Leni Riefenstahl betrifft, geschieht das sehr entschieden: Barbara Sichtermann stellt die Regisseurin, die unter dem nationalsozialistischen Regime mit ihren Propagandafilmen Ruhm erntete, als ehrgeizige Künstlerin vor, die ihrem Werke zuliebe Scheuklappen trug. Die Liebe zur Kunst machte Riefenstahl blind für die Grausamkeiten, die sich in Deutschland ereigneten.
Hildegard Knef, "das Gesicht der Stunde Null", wurde im Gegensatz dazu erst nach Kriegsende erfolgreich, obwohl sie bereits seit 1943 unter der schützenden Hand von Joseph Goebbels in kalkulierten Beziehungen zu Schauspielern und Regisseuren versucht hatte, Bekanntheit zu erlangen.

Auch das wird in "Die Frauen von Babelsberg" als gegebene Tatsache formuliert.
Ebenso wird die Zensur der DEFA-Filme in der DDR in den zeitlich entsprechenden Portraits als ein uneingeschränkt zu kritisierender Fakt präsentiert.
Für LeserInnen, die sich mit dem Thema bisher nicht auseinander gesetzt haben, bleibt somit nur, den bekundeten Varianten des Erzählten Glauben zu schenken und die nötige Skepsis nicht zu verlieren.
In einer Jubiläumsausgabe ist der Mut zur entschlossenen Darstellung eine deutliche Aussage: so ist "Die Frauen von Babelsberg" mehr Huldigung als Sachbuch, mehr Ehrung als Chronik.
Schon im November 2012 machen die Babelsberger Frauen mit dem Filmstart von "Anleitung zum Unglücklichsein" wieder von sich Reden. An der Produktion beteiligt war auch Silke Buhr, deren Portrait ebenfalls im Werk zu finden ist.

Zu den HerausgeberInnen:

Daniela Sannwald
ist promovierte Filmhistorikerin, -publizistin und Kuratorin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in deutscher und US-amerikanischer Filmgeschichte. Zu ihren Veröffentlichungen zählen unter anderem "Filmkonzepte: Michael Haneke" (2011, Hrsg. mit Thomas Koebner), "Romy Schneider. Wien – Berlin – Paris" (2009, Hrsg. mit Peter Mänz) und "Hildegard Knef. Eine Künstlerin aus Deutschland" (2005, Hrsg. mit Kristina Jaspers, Peter Mänz).

Christina Tilmann ist Kulturjournalistin und Filmredakteurin beim Tagesspiegel und lehrt Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Unter ihren Veröffentlichungen finden sich unter anderem "Eine Preußin in Hollywood. Marlene Dietrich", in: "Preußens Eros, Preußens Musen. Frauenbilder aus Brandenburg-Preußen", (2010, Hrsg. Sven Kuhrau, Isabelle von Marschall); "Kinos auf dem Kurfürstendamm", in: "Heimweh nach dem Kurfürstendamm", (2009, Hrsg. Michael Zajonz, Sven Kuhrau).

AVIVA-Tipp: Als Überblick und Einstieg zur Geschichte des Filmstudios Babelsberg und der großen Frauen in seiner Entwicklung eignet sich dieses Buch hervorragend. Es ist unterhaltsam, interessant und abwechslungsreich, im richtigen Maße bebildert und nach der ersten Überforderung durch das von Informationen überladene Vorwort übersichtlich aufgebaut.

Die Frauen von Babelsberg: Lebensbilder aus hundert Jahren Filmgeschichte
Hrsg.: Daniela Sannwald/ Christina Tilmann

Edition Ebersbach, erschienen Februar 2012
Broschiert, 128 Seiten
ISBN-13: 978-3869150598
19,80,- Euro
www.edition-ebersbach.de

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Literatur

Beitrag vom 20.09.2012

AVIVA-Redaktion