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Beitrag vom 28.09.2012
Tania Witte - Leben nebenbei
Maria Mikityla
In ihrem Fortsetzungswerk erzählt die Autorin, wie es mit den ProtagonistInnen aus ihrem Romandebut "Beziehungsweise Liebe" weitergeht. Größtenteils genderqueere Identitäten wirbeln im Berliner...
... Großstadtleben erneut heteronormative Begehrensstrukturen durcheinander. Der Einsteig ist auch möglich, ohne den Vorgängerroman gelesen zu haben.
Eine narzisstische Karrierefrau, eine Schwangere, die sich selbst als "letzte Butch der Stadt" bezeichnet, ein Vater, der gleichzeitig Mutter ist und eine alternde Schildkröte namens Fräulein Rottenmeier sind schon mal verheißungsvolle Zutaten für eine Romanhandlung. Es treffen Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch einen Weg finden, oder finden müssen, miteinander umzugehen oder sich zu ignorieren.
Tania Wittes verschiedene Figurschöpfungen entwickeln ungewöhnlich schnell ein serientaugliches Eigenleben, das eine Einordnung zwischen "L-Word" und einem tatsächlich queeren "Queer as folk" problemlos ermöglicht. Acht HauptdarstellerInnen und verschiedenste Verwicklungen von Liebe, Sex und Begehren prallen aufeinander. Auch einen Fan haben die ungewollten Serienstars. Die vermeintliche Putzfrau Miriam Schäfer entwickelt ein eigentümliches Interesse an ihrer "Bezugsgruppe", das erst am Ende des Romans entschlüsselt wird.
Das Erzähltempo ist wie beim Vorgängerroman beträchtlich und die queere Messlatte wird mal tiefer und mal höher angelegt. Am eindrucksvollsten bei Transfrau Liza, die mit Nicoletta ein Kind zeugt und sich nichts sehnlicher wünscht als ein heteronormatives Familienmodell bei den Schwiegereltern in Bayern. Doch auch deren Lebensgefährte Clemens, der sich vor der Beziehung zu Liza nur beiläufig mit Gender-Thematiken auseinandergesetzt hat oder Marte, die ihren Kinderwunsch unabhängig von ihrer großen Liebe Tekgül durchsetzt und schließlich Trost über einen unfassbaren Schicksalsschlag in einer Heterobeziehung findet, zeigen eindrücklich, welch verschwurbelte Wege das Leben gehen kann.
Drei der Hauptdarstellerinnen sind unsterblich in das, mehrfach betont, magere Model Tekgül verliebt. Irritierend dabei ist, dass diese, trotz ihrer zweifelsohne wichtigen Rolle, die gehaltloseste Person der gesamten Geschichte bleibt. Doch sie ist nicht die einzige, auch Sandys und Lizas Innenleben wird vernachlässigt. Sie werden lediglich von Außen gespiegelt. Letztere sind für die zentrale Handlung allerdings nur marginal von Bedeutung, während Tekgül eine zentrale Schnittstelle darstellt. Es ist teilweise recht schwierig, zu den Figuren eine tiefergehende Verbindung aufzubauen, denn letztendlich ist nicht ganz klar, mit welcher Begründung welche der Figuren Tiefgang erhält und welche nicht.
Was eine/n trotzdem mitreißt sind die geschickten Situationsbeschreibungen und unaufgeregt erzählten Sexszenen, die allerdings auch immer nur mit Tekgül stattfinden. Die Geschichte ist spannend und wie das Leben überladen und voller Ungleichzeitigkeiten. Berlin spielt die unersetzliche Hauptstadtkulisse. Dabei werden die verschiedenen Bezirke gewohnt klischeehaft, jedoch nicht unangenehm in Szene gesetzt.
Zur Autorin: Tania Witte lebt und schreibt seit 2004 in Berlin. Sie ist Mitherausgeberin des ebenfalls im Querverlag erschienenen Bandes "Drag Kings. Mit Bartkleber gegen das Patriarchat" (2007) und veröffentlichte in diversen Anthologien. Um der Stille des Schreibens etwas entgegenzusetzen, gründete sie als Spoken-Word-Performerin mit einigen anderen Künstlerinnen "Shut Up And Speak", die Berliner Spoken-Word-Bühne für Frauen und Trans*. Hier tritt sie als CayaTe auf (spanisch für "Sei still" oder "Halt´s Maul"), ihr alter Ego, das die Grenzen von Wort und bewegtem Bild austestet. 2011 brachte sie ihren ersten Roman "Beziehungsweise Liebe" heraus.
Tania Witte im Netz: www.taniawitte.de
AVIVA-Fazit: Nach der Hälfte des Buches werden Tania Wittes ProtagonistInnen zum Teil des eigenen Bekanntenkreises. Ein großes Aber liegt in der Tatsache, dass dies eben erst nach der Hälfte passiert. Die Fülle an Figuren, die sich alle einen ähnlich wichtigen Platz in der Handlung erobern wollen, lässt ein zweidimensionales Gefühl zurück, das den Verlauf der Geschichte subversiv untergräbt und ein Bedürfnis nach mehr Tiefgang zurücklässt.
Leben nebenbei
Tania Witte
Preis: 14,90 Euro
Querverlag, erschienen September 2012
Broschiert, 328 Seiten
ISBN:978-3-89656-202-9
www.querverlag.de
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