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Beitrag vom 09.10.2012
Fariba Vafi - Kellervogel
Clarissa Lempp
Die iranische Autorin erzählt von einer jungen Frau und Mutter, die ihre Vergangenheit seziert, während sich ihre Zukunft auflöst. Eine poetische und kurzweilige Meditation über das Leben.
In einer Stadt im Iran lebt eine junge Mutter und Ehefrau. Die Lebensverhältnisse sind einfach, aber die junge Familie weiß ein Haus ihr Eigen zu nennen. Während ihr Ehemann Amir, der Zukunft zugewandt, eine immer größere Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit und damit für ihn außerhalb des Irans entwickelt, versinkt die namenlose Hausfrau in Vergangenheitsbewältigung. Der Tod des Vaters, die ewig jammernde Mutter, die die eigenen Töchter sehr unterschiedlich wertschätzt - ihre schnittig bis poetischen Reflektionen schweben wie Geistergeschichten durch das Haus. Nachdem Amir schließlich das Land verlässt und nur noch auf "Heimatbesuch" kommt, drängt er die Familie zum Nachzug. Die junge Frau muss sich einer Entscheidung stellen.
"Kellervogel" ist der Debutroman der iranischen Schriftstellerin Fariba Vafi, der direkt 2002 nach seiner Erscheinung im Iran u.a. mit dem Yalda-Preis ausgezeichnet wurde. Vafi kommt aus dem Kurzgeschichten erzählen. Das macht sich auch in ihrem Debut bemerkbar. Schon der unvermittelte Einstieg in die Gedankenwelt der namenlosen Protagonistin legt das Thema fest. "Das ist die Volksrepublik China. Ich war noch nie in China, aber ich stelle mir vor, es muss dort wie in unserem Viertel aussehen." Die Freiheit in der Unfreiheit suchen, die Möglichkeit der Flucht aus einem erdrückenden System, ohne sich örtlich zu entwurzeln oder zu politisieren. Sie übt den stillen Aufstand. Das Wohnviertel wird von der Ich-Erzählerin beschrieben, wie eine eigene Figur des Romans. Die Stadt, die ebenfalls namenlos bleibt, wird zur Verbündeten in der Einsamkeit. Ebenso wie das Haus. Zwischen Keller und Küche entsteht kein Gefängnis für die Protagonistin, sondern Raum für einen radikalen und ehrlichen Austausch mit sich selbst.
Zur Autorin: Fariba Vafi wurde 1963 in Täbris im Iran geboren. Neben "Kellervogel", der zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurde, schrieb sie weitere Romane und wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Teheran.
AVIVA-Tipp: "Kellervogel" erzählt in einer unaufgeregten Sprache vom Selbstverständnis (iranischer) Frauen. Mit genauer bis analytischer Beobachtungsgabe und dem Willen nicht alles, aber es für sich selbst richtig zu machen, stellt sich die Ich-Erzählerin ihrer Vergangenheit und der Gegenwart. Ein schönes Buch, das sich der universellen Frage der persönlichen Freiheit widmet.
Fariba Vafi
Kellervogel
Mit einem Nachwort von Said
Aus dem Persischen übersetzt von Parwin Abkai
Rotbuch Verlag, September 2012
160 Seiten, 12,5 x 21,0 cm, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-86789-167-7
16, 95 Euro
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