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Beitrag vom 08.12.2012
Miriam Gebhardt - Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor
Claire Horst
Eigentlich nervt schon der Titel und die Anmaßung, die darin steckt. Es gibt keine Feministinnen mehr, und daran ist Alice Schwarzer schuld, das scheint die Leitaussage dieses ungefähr 300sten...
... Buches zu Schwarzer zu sein.
Ich nenne mich Feministin, und ich kenne noch ziemlich viele weitere Frauen, die das tun, sogar solche unter dreißig – auch wenn die Autorin sich das kaum vorstellen kann. Auch der Klappentext irritiert: Der deutsche Feminismus werde "von einer einzigen Medienfigur besetzt", ist da zu lesen. Das einerseits zu beklagen und dann andererseits mit einer weiteren Schwarzer-Biografie zu diesem Medienzirkus beizutragen, anstatt sich der sehr lebendigen feministischen Bewegung zu widmen, ist zumindest widersprüchlich, vielleicht aber auch wohlkalkuliert. Anklagen verkaufen sich besser. Wer kauft schon ein Buch mit dem Titel "Dem Feminismus geht es gut"?
Gebhardt ist nicht die einzige, die den gegenwärtigen Feminismus als kaum existent wahrnimmt. So wird Alice Schwarzer in einer Besprechung von Gebhardts Buch im Deutschlandradio tatsächlich als "bekennende Feministin" bezeichnet, so als sei das ein Titel, den frau sich nur mit der größten Überwindung anhängen könne. Dass in demselben Land, von dem da gesprochen wird, unzählige Lehrstühle für Gender Studies, nebenbei aber auch Politgruppen, Blogs, Zeitschriften und Fanzines mit feministischer Ausrichtung existieren, kommt in dieser Darstellung gar nicht vor.
Gebhardts Darstellung der politischen Lage in Deutschland ist akkurat: Immer noch ist der Gender Pay Gap unverändert groß, sind Frauen auf allen leitenden Ebenen unterrepräsentiert, existiert das Ehegattensplitting immer weiter. Ebenso erhellend sind ihre persönlichen Betrachtungen zu ihrer Karriere im männerdominierten Sportjournalismus und der ebenso frauenfeindlichen Hochschullandschaft. Daraus bastelt sie aber in der Folge den Vorwurf an Schwarzer, sich weiterhin an den alten Hüten Pornografie, Abtreibung und neuerdings auch dem politischen Islam abzuarbeiten, statt die "wirklich wichtigen" Fragen anzugehen.
Die Ablehnung einiger von Schwarzers Thesen ist nachvollziehbar, tatsächlich hat ihre Pauschalverurteilung des Islam ebenso wie ihre Arbeit als Kolumnistin der Bild-Zeitung bei vielen großes Unbehagen ausgelöst. Nur ist der Zusammenhang nicht ganz ersichtlich. Persönliche Anfeindungen gegen Schwarzer als "alten Bären", der am Nasenring durch die Fußgängerzone geführt werde, als "Mutation zum Monster, abschreckend für Männer und Frauen zugleich" sind einfach nur eine peinliche Unverschämtheit. Dass Schwarzer eine "Fernsehfeministin" sei, die wir uns nicht zur Diskussion der Geschlechterordnung, sondern zur Unterhaltung leisteten, ist vielleicht nicht falsch, aber sicher nicht nur ihr selber anzukreiden.
Wer zwingt eigentlich all ihre KritikerInnen, Alice Schwarzer als Übermutter zu interpretieren und sich ständig von ihr absetzen zu wollen? Gebhardts umfassende historische Darstellung der Erfolge und Misserfolge der deutschen und internationalen Frauenbewegung, angefangen bei Mary Wollstonecraft und Olympe de Gouge und den frauenfeindlichen Angriffen von Aufklärern wie Kant und Rousseau, hätte gewonnen, wenn sie sich nicht mit einer kritischen Nacherzählung von Schwarzers Biografie zwischen zwei Buchdeckel hätte quetschen müssen.
Für Gebhardt besteht der Feminismus in Deutschland einzig aus den beiden Strömungen des Differenz- und des Gleichheitsfeminismus, die sie verkürzend als den "Ändere dich gefälligst"- und den §Werde, der du bist"-Feminismus bezeichnet. In Deutschland gebe es keine Verbindung zwischen Theorie und Praxis, einen Third Wave-Feminismus habe es nie gegeben, außer vielleicht Charlotte Roche und ein paar andere, die sie mit einer Handbewegung vom Tisch wischt. Auf der Straße kenne die niemand. Es ist schon gewagt, einerseits Schwarzer ihre Medienpräsenz vorzuwerfen und zugleich anderen Feministinnen nicht einmal einen Platz in der Geschichte einzuräumen, weil die ja keineR kenne.
Der "Kargheit und Fantasielosigkeit" des heutigen Feminismus stellt Gerhardt die Mitgliederzahl des "Bundes Deutscher Frauenvereine" entgegen, die 1918 320.000 betragen habe. Waren das noch Zeiten. Bis Alice Schwarzer kam? Nein, so einfach macht es sich Gebhardt nicht, die natürlich weiß, welche Einschnitte der Nationalsozialismus bedeutete. Nur zieht sie auch daraus wieder Rückschlüsse auf Schwarzers Fehler: So wichtig der Hinweis auf die Rolle von Frauen als Täterinnen im Nationalsozialismus, auf Frauenrechtlerinnen wie Henriette Fürth ist, die im Einklang mit den Nazis für die Zwangssterilisierung von Menschen mit Behinderungen eintrat, so unfair ist es, daraus einen Vorwurf an Alice Schwarzer abzuleiten, die geschichtsvergessen eine "ambivalenzfreie Position in Sachen Abtreibung oder Präimplantationsdiagnostik" vertrete.
Im Rekurs auf Schwarzers Autobiografie nennt Gerhardt sämtliche Momente, die Schwarzer vielen so unsympathisch machen: die Mythisierung der eigenen Familie als samt und sonders mutiger WiderstandskämpferInnen, die Betonung der eigenen Reflexionsfähigkeit schon als Kleinkind, ihre teilweise rassistischen und unsolidarischen Äußerungen, ihre Eitelkeit und Herrschsucht, ihre Vorwürfe an heterosexuelle Frauen, sich mit der "Orgasmuslüge" unterdrücken zu lassen, das Kokettieren mit der Boulevardpresse, die Lustfeindlichkeit der PorNo-Kampagne und so weiter. All das ist bekannt und richtig. Nur, was soll es bringen, es noch einmal zu erzählen?
AVIVA-Tipp: Zuzustimmen ist vielen von Gerhardts Thesen, die Judith Butlers Theorie gegen Schwarzers vereinfachende Kritik verteidigt, für eine Verbindung von Theorie und Praxis plädiert und sich sowohl gegen binäre Einteilungen als auch gegen die Nutzbarmachung von Emanzipationsbestrebungen für das neoliberale System ausspricht. Nur schade, dass sie es in dem altbekannten Modus der Abgrenzung von Schwarzer tut, den sie zugleich anderen vorwirft. Zudem kann die Autorin sich leider nicht entscheiden, ob sie nun die Geschichte der Frauenbewegung erzählen oder eine Anklage an Alice Schwarzer äußern will. Als Einstieg in die Geschichte der Frauenbewegung trotzdem ein umfassend recherchiertes und unterhaltsam zu lesendes Buch.
Zur Autorin: Miriam Gebhardt ist Historikerin und Journalistin. Neben ihrer journalistischen Arbeit unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, den Stern und mehrere Frauenzeitschriften promovierte sie in Münster und habilitierte sich mit einer Arbeit über "Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. Eine Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert" (2009). Sie ist Privatdozentin an der Universität Konstanz, bei DVA erschien von ihr zuletzt die Biographie "Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet" (2011). (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: miriamgebhardt.de
Miriam Gebhardt
Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten
Verlag: DVA Sachbuch, VÖ: 17. September 2012
ISBN: 978-3-421-04411-2
19,99 Euro
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