Gisela Elsner - Gesammelte Erzählungen in zwei Bänden - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 20.03.2013


Gisela Elsner - Gesammelte Erzählungen in zwei Bänden
Claire Horst

Den meisten LeserInnen dürfte Gisela Elsner nur aus dem biografischen Film "Die Unberührbare" bekannt sein, den ihr Sohn Oskar Roehler über die Schriftstellerin drehte. Dabei verdient nicht nur..




... der kompromisslose Lebensstil Elsners, sondern insbesondere ihr außergewöhnliches Werk Aufmerksamkeit.

Bis zu ihrem Suizid im Jahr 1992 war die Westdeutsche Elsner überzeugte Kommunistin geblieben, die Wende bedeutete für sie eine herbe Enttäuschung. Und nicht nur in ihrer politischen Überzeugung eckte sie an: Bereits ihr Erstlingswerk, der 1964 erschienene Roman Die Riesenzwerge nahm die duckmäuserische Haltung und das SpießbürgerInnentum der BundesbürgerInnen aufs Korn. Ihr schonungsloser Blick auf unbelehrbare Herrenmenschen machte sie ebenso unbeliebt wie ihre Weigerung, sich auf "Frauenliteratur" zu beschränken – ein Begriff, den sie für eine Beleidigung hielt.

Feministin und scharfzüngige Kritikerin des allgegenwärtigen Machismo war sie dennoch, und nicht ohne Grund standen die Riesenzwerge zeitweilig auf der Liste für jugendgefährdende Werke. Zu aggressiv für die allgemeine LeserInnenschaft schreibe Elsner, die Männer ihre Frauen fressen lässt. Thematisch und stilistisch war die Autorin ihrer Zeit weit voraus, und die Zeitschrift Emma (der Elsners Unabhängigkeit übrigens auch nicht passte) bezeichnete sie zu Recht als eine zu früh geborene Schwester Elfriede Jelineks.

Die Germanistin Christine Künzel hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gisela Elsner dem Vergessen zu entreißen. Seit mehreren Jahren gibt sie im Verbrecher Verlag eine Gesamtausgabe heraus. In zwei Bänden sind nun Elsners Kurzgeschichten erschienen. Und die haben es in sich. Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen, der erste Band, enthält Texte aus beinahe 40 Jahren, die zum Teil im gemeinsam mit Elsners Ehemann Klaus Roehler veröffentlichten Band Triboll erstmals erschienen waren, zum Teil in Zeitungen und Anthologien.

Ob Elsner ihre eigene Beerdigung inszeniert und dabei Vorwürfe der Überheblichkeit, Arroganz und Selbstherrlichkeit imaginiert, ob sie sich in die weltfremde und herablassende Lebenswelt einer Industriellengattin hineindenkt oder die moralischen Bedenken europäischer UrlauberInnen darstellt, die afrikanische Männer als "Schattenspender" zwischen sich und der Sonne aufstellen, ihre Darstellung ist immer von absoluter Erbarmungslosigkeit und bitterstem Zynismus geprägt.
Zugleich sind die Texte von einer grandiosen Sprachgewalt und von großem Witz – bei Elsner kein Widerspruch: Die Absurdität gesellschaftlicher Verhältnisse löst Lachen wie Verzweiflung in einem aus.

Weit davon entfernt, nur mit grotesken Sprachbildern zu jonglieren, ist Elsner eine grandiose Satirikerin. Nicht nur der Konservatismus des schnell wiederauferstandenen Unternehmertums in Deutschland, die Parallelwelten des GroßbürgerInnentums und der ProletarierInnen (ein Thema, das sie aus Skrupel aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft nicht weiterverfolgte), auch die Friedens- und Umweltbewegung nimmt sie unter die Lupe. An ihren Freund Ronald Schernikau, als schwuler Kommunist ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung im Nachkriegs-Westdeutschland, schrieb Elsner: "… die Tatsache, dass du mich als eine `geniale Dichterin` bezeichnest, finde ich unpassend. Denn ich bin eine schmutzige Satirikerin. Ich lege großen Wert darauf, keine Dichterin zu sein."

Die Gesamtausgabe macht es möglich, die Entwicklung der Schriftstellerin nachzuverfolgen. Die ersten Texte entstanden noch in ihrer Zeit als Schülerin und umfassen zum großen Teil nur wenige Seiten. Elsner schrieb dazu: "…weil die Zeit eben zu längeren Geschichten nicht ausreichte, das Lehrpersonal unterbrach mich in einem fort bei der Arbeit, wurden aus diesen Geschichten Kürzestgeschichten." Während das Gespür für die Groteske schon in diesen "Kürzestgeschichten" erkennbar ist, gewinnen die Texte mit den Jahren an Sprachgewalt und erinnern in ihrer Verschachtelung an Thomas Bernhard.

Kernpunkt bleiben die gesellschaftlichen Verhältnisse, mit denen Elsner sich zeitlebens nicht abfinden wollte. Ihre Figuren sind deshalb niemals einfach Personen, sondern stellen Rollen dar, wie in der Erzählung "Herr Leiselheimer", ein Unternehmer:
"Etwas Eßbares, bitte, aus dem Flughafenrestaurant, rief er [der Unternehmer Leiselheimer], gereizt allein beim Anblick von Fräulein Böhlich, die nach einer Verbeugung, der Verbeugung einer besonders duckmäuserischen Dienstbotin, wie eine Filmdiva hereinstolzierte, und dann schob er diese Angestellte, die sich seit ihrer Auszeichnung, einer Auszeichnung im Rahmen des Programms der zeitgemäßen Menschenführung, entweder für alles, aber auch alles zu fein, oder aber für nichts, aber auch wirklich nichts zu schade fand, nahezu ruckartig aus dem Büro hinaus, ehe die den Mund aufmachen und die Frage stellen konnte, was erstens ihr Brotgeber unter etwas Eßbarem verstand, was zweitens der Gast ihres Brotgebers, der braungebrannte und somit wie aus dem Süden kommend wirkende Wiegenstein unter etwas Eßbarem verstand und was drittens die Gattin des Gasten ihres von den Angestellten Boss und von den Arbeitern Langohr genannten Brotgebers, die hellhäutige, bleiche, blasse und somit wie aus dem Norden kommend wirkende Frau Wiegenstein unter etwas Eßbarem verstand."

AVIVA-Tipp: Der zweite Band der Erzählungen enthält ein erhellendes Schlusswort der Herausgeberin. Ihre Wiederentdeckung hat Gisela Elsner mehr als verdient. Ihre Betrachtungen zu Geschlechterverhältnissen wie der Brutalität des Kapitalistischen Systems haben an Gültigkeit nichts verloren. Wer sich in ihren gewöhnungsbedürftigen Sprachduktus einliest, wird mit ebenso erhellenden wie unterhaltsamen Texten belohnt. Eine Ausnahmeerscheinung.

Zur Autorin: Gisela Elsner wurde 1937 in Nürnberg geboren, 1992 nahm sie sich das Leben. Für ihr Werk erhielt sie etliche internationale Auszeichnungen, darunter den Prix Formentor für ihren ersten Roman "Die Riesenzwerge". Sie veröffentlichte acht Romane (u.a. "Abseits", "Der Nachwuchs", "Das Berührungsverbot", "Der Punktsieg", "Das Windei"), Erzählungen, Aufsätze, Hörspiele und das Opernlibretto "Friedenssaison". Mitgliedschaft in PEN und DKP. (Verlagsinformationen)




Gisela Elsner
Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen - Gesammelte Erzählungen 1

Broschur, 272 Seiten
15,00 Euro
ISBN: 9783943167047




Gisela Elsner
Zerreißproben - Gesammelte Erzählungen 2

Broschur, 224 Seiten
15,00 Euro
ISBN: 9783943167054
Erschienen 2013


Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Gisela Elsner - Das Berührungsverbot

Gisela Elsner - Fliegeralarm

Gisela Elsner - Heilig Blut

Gisela Elsner - Kritische Schriften. Herausgegeben von Christine Künzel





Literatur

Beitrag vom 20.03.2013

Claire Horst