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Beitrag vom 30.03.2013
Johanna Adorján - Meine 500 besten Freunde. Stories
Sharon Adler
In ihrem Debutroman "Eine exklusive Liebe" erzählte die Kulturjournalistin die Geschichte ihrer Großeltern, die als ungarische Juden den Holocaust überlebten. Nun lässt sie in pointierten und ...
... vortrefflich angelegten Kurzgeschichten Menschen agieren, die, erfunden oder nicht, im weitesten Sinne ebenfalls zur Familie gehören.
Ihre Wahlheimat Berlin, die Stadt, in der die 1971 in Stockholm geborene Autorin heute lebt, ist die Kulisse, vor der ihre ProtagonistInnen agieren. Diese sind so skurril und sonderbar, dabei aber auch einzigartig wie die Stadt selbst, auf deren Bühne sie sich bewegen. Mit ihren Erzählungen aus dem "neuen" Berlin lässt Adorján alle menschlichen Eigenarten und Schwächen, von Eitelkeiten über Verklemmtheiten bis zu Hemmungslosigkeiten in der Gedankenwelt der Portraitierten zu Wort kommen.
Keine Merkwürdigkeiten lässt sie aus, nichts entgeht dem Blick der Autorin. Ihre Charaktere bewegen sich zwischen Einsamkeit, Narzissmus oder Großstadtkoller, und während die Leserin noch rätselt, wen die Autorin zum jeweiligen Vorbild ihrer kaleidoskopsartig angelegten Short Stories erkoren hat, wird ihr bewusst, dass sie ebenso gut wie die in ihrem Band abgebildeten Figuren hätte vorkommen können.
Denn: "Meine 500 besten Freunde" zeigt einen (guten) Querschnitt durch die selbsternannte Berliner Schickeria und ihre ParasitInnen. Ob die intrigante Feuilleton-Praktikantin, die alles, wirklich alles für das eigene Fortkommen tun würde oder die nach außen mitfühlende Yogalehrerin, die ihre SchülerInnen abgrundtief verachtet bis zur beschickerten Jungschauspielerin, die auf dem Filmball vergeblich versucht, beobachtet zu werden - Johanna Adorján gelingt es auf böse-schönste Weise, deren Innenleben und geheimste Gedankengänge drastisch-plastisch darzustellen.
"Wir saßen damals oft im Borchardt. Ein paar Jahrzehnte später waren wir tot, aber wir saßen oft im Borchardt damals und hielten das alles für sehr wichtig. Dass wir einen Tisch in der Mitte bekamen – einer dieser guten Tische, die nicht jeder bekommt -, dass wir mit ausgesuchter Höflichkeit von den Kellnern behandelt wurden, dass man uns hier und da ein Kompliment machte, das alles genossen wir sehr. Ich würde gerne sagen, dass Eva es mehr genoss als zum Beispiel ich, aber das wäre gelogen."
In den scharf und präzise beobachteten Szenen ihrer ProtagonistInnen bildet die Autorin deren verkorkstes Innenleben in glasklarer Sprache ab, zeigt auf, wie diese fortwährend damit beschäftigt sind, sich darzustellen, sich selbst und andere hinters Licht zu führen und vor allem anderen Bedeutung zu erlangen.
AVIVA-Tipp: Herrlich amüsant, manchmal schockierend, dann wieder anrührend sind diese kleinen feinen Geschichten aus der spitzen Feder der Johanna Adorján, von der wir noch viel mehr lesen wollen. Perfekt wäre es, diese Settings auf der großen Leinwand zu sehen.
Zur Autorin: Johanna Adorján, 1971 in Stockholm geboren, studierte in München Theater- und Opernregie.
Von 1996 bis 1999 arbeitete sie als Journalistin in der Redaktion von Jetzt und als freie Autorin unter anderem für Spiegel, Woche, Süddeutsche Zeitung, Elle, Cinema, Tagesspiegel, Focus. 1999 Autorin beim Tagesspiegel. Seit 2001 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin. 2004 veröffentlichte sie im Alexander Verlag ihr erstes Theaterstück, "Die Lebenden und die Toten". Das Drehbuch "Schwesterherz", das sie zusammen mit Heike Makatsch schrieb, wurde unter der Regie von Ed Herzog verfilmt. "Eine exklusive Liebe" ihr erstes Buch, erschien 2009 ebenfalls im Luchterhand Verlag und wurde in sechzehn Sprachen übersetzt. Johanna Adorján lebt in Berlin.
Johanna Adorján
Meine 500 besten Freunde
Luchterhand Literaturverlag, erschienen 25. Februar 2013
Gebunden, 256 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, Leinenband mit Prägung und Lesebändchen
ISBN: 978-3-630-87354-1
Euro 18,99
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"Eine exklusive Liebe" von Johanna Adorján
"Eine exklusive Liebe", gesprochen von Johanna Adorján